Claudia Jaussi: "Bis jetzt war niemand hässig auf mich"
Claudia Jaussi ist anders, als man sich das Oberhaupt einer kleinen Emmentaler Gemeinde vielleicht vorstellen würde. Klassische Sängerin, Journalistin – und eine linke Frau. Beides, links und weiblich, gab es noch nie im Gemeindepräsidium von Bowil. Anderes wiederum entspricht dem Klischee. Inäbnit ist Bowilerin mit Herz und Seele und hat, so rechnet sie vor, keine Handvoll Jahre auswärts gelebt. Und dann in Wichtrach und Konolfingen, also auch nicht weit weg.
Bowil, so wie ganz viele andere Berner Gemeinden, ist traditionelles SVP-Land. Aktuell ist sie die einzige Partei mit Ortssektion, und noch nie war das Präsidium nicht in ihrer Hand. „Bowil ist ländlich. Und nicht links, daran wird sich auch nichts ändern“, sagt Claudia Jaussi. Als rückständig sehe sie das Dorf aber nicht, schiebt sie rasch nach. „Es ist ein offenes Dorf und Zuziehende können sich schnell integrieren.“ Bei ihrem Mann etwa, aufgewachsen in Steffisburg, sei das „zackig“ gegangen mit Anschluss finden. „Er ist jetzt ein Bowiler.“
"Mit den Leuten reden"
Sie selber ist hier geboren, hier aufgewachsen, hat hier einen Sohn und eine Tochter grossgezogen, die inzwischen erwachsen und ausgeflogen sind. Und ist jetzt Gemeindepräsidentin. Die erste Frau im Amt und die erste Linke. Wobei: In der SP Schweiz sei sie zwar Mitglied, aber aktiv schon lange nicht mehr, sagt sie dazu. Auch die Gemeindeversammlungen habe sie vor der Wahl nur sporadisch besucht. „Aber abstimmen und wählen gehe ich immer. Das war Teil unserer Erziehung. Unser Vater war hier in der SP engagiert, als es sie noch gab.“ Die Parteizugehörigkeit spiele am Ende nicht so eine Rolle auf Gemeindeebene. Sie sei bisher nur ein Mal darauf angesprochen worden. „Politik bedeutet, mit den Leuten zu reden.“ Sie wolle „ds Beschte für Bowil“.
Ihre Kandidatur sei auch keineswegs ein Opfer gewesen, niemand musste sie zum Amt überreden. „Ich habe mich selber gemeldet. Es ist eine sehr interessante Aufgabe.“ Nach längerem Überlegen und einem ermutigenden Gespräch mit ihrem Vorgänger Moritz Müller, habe sie sich dafür entschieden, es zu versuchen. Als einzige Kandidatin wurde sie als still gewählt erklärt.
Jaussi ist Redaktorin beim Radiosender Neo 1 und hätte dort ihre Stellenprozente aufstocken können. „Aber ich wollte nicht mehr vom Gleichen, sondern etwas Neues.“
Seit 20 Jahren beim Radio
Zum Radio kam sie durch ein Praktikum als der Sohn im Kindergarten war. Obwohl sie die Ausbildung zur klassischen Sängerin am Konsi als junge Frau nach der Hälfte abgebrochen hatte, blieb ihr die Stimme und konnte sie Gelerntes als Moderatorin anwenden. Das war vor 20 Jahren, seit 12 arbeitet sie als Redaktorin. Von da wiederum könne sie einiges mitnehmen für das neue Amt, sagt Jaussi. „Ich habe kein Problem damit, mich hinzustellen und vor Leuten zu reden. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, der viele abschreckt, sich zu engagieren.“
Die Frage, ob das Amt und der Job zusammengehen, habe sie sich durchaus gestellt und auch Vorkehrungen getroffen. „Die Kollegen und Kolleginnen bei neo 1 wissen, dass ich sie nicht vorab informiere. Und wenn es um Bowil geht würde ich beim Radio in Ausstand treten.“
Beim Treffen mit BERN-OST, wenige Wochen nach Amtsantritt, hat die neue Gemeindepräsidentin schon einige erste Male hinter sich: Die erste Gemeinderatssitzung geleitet, erste Begehungen gemacht, die erste Informationssitzung abgehalten, mit der Swisscom in Sachen schnelles Internet. Erspart blieb ihr bisher die Begleitung eines gemeindepolizeilichen Einsatzes. „Und bis jetzt war noch niemand richtig hässig auf mich.“