Wichtrach - "Im Job-Sharing muss man sich viel besser organisieren"
Mit der Geburt ihrer Tochter hat Gemeindeschreiberin Barbara Seewer ihr Pensum reduziert. Ihre Kaderstelle behielt sie.
Einen Termin mit ihr zu finden, ist nicht einfach. Und in der Regel auch nicht von heute auf morgen möglich. "So ist es halt, wenn man in Teilzeit arbeitet", stellt Barbara Seewer fast entschuldigend fest. Um gleich nachzuschieben: In dringenden Fällen nehme sie sich natürlich immer Zeit. Was jenseits des Tagesgeschäfts laufe, müsse dagegen oft warten.
Doch nun, nach knapp zwei Wochen, ist es so weit. Am Sitzungstisch in der Wichtracher Verwaltung nimmt neben Barbara Seewer, der Gemeindeschreiberin, auch Geschäftsleiter Andreas Stucki Platz, ihr Vorgesetzter. Gemeindepräsident Hansruedi Blatti (FDP) macht die Runde komplett, und zu dritt erzählen sie nun aus ihrem Arbeits- und Politalltag. Davon, wie schwierig es ist, Kaderstellen in den Gemeinden besetzen zu können. Und dass Teilzeitarbeit ein probates Mittel sein kann, das Problem zu entschärfen.
Zumal in der Branche viele Frauen in leitender Position tätig sind und dem Beruf verloren zu gehen drohen, sobald sie Kinder bekommen. Barbara Seewer hat es selber erlebt: Vor Jahresfrist ist die heute 41-Jährige Mutter geworden, und als sie nach der Babypause Ende April die Arbeit wieder aufnahm, machte sie nur noch in reduziertem Pensum weiter. Die restlichen Stellenprozente übernahm eine Kollegin als Co-Leiterin in der Gemeindeschreiberei.
Nach- und Vorteile
Eine solches Jobsharing war auch in Wichtrach nicht immer selbstverständlich. Geschäftsleiter Andreas Stucki sagt es offen. "Zweimal 50 Prozent gibt nicht automatisch 100 Prozent", stellt er fest und klärt auf: Wenn sich zwei Mitarbeiterinnen eine Stelle teilen, sind viel mehr Absprachen nötig. Weil die beiden nicht mehr dauernd im Büro sind und nicht mehr alles selbstverständlich mitbekommen.
Um dem entgegenzuwirken, schreibt Barbara Seewer deshalb jeweils genau auf, was ihre Kollegin am freien Tag verpasst hat. "Man muss sich viel besser organisieren", stellt sie fest. Dazu gehöre auch, genau festzulegen, wer welche Dossiers betreue. Und doch flexibel einspringen zu können, wenn am freien Tag des andern etwas aus dessen Bereich aktuell werde.
Andreas Stucki gesteht ein, dass Wichtrach das Modell nicht ganz ohne Druck so zugelassen hat. Erstmals zum Zug gekommen ist es vor ein paar Jahren, als die Finanzverwalterin Mutter wurde. "Eigentlich wollten wir diese Stelle nach der Babypause mit einem vollen Pensum neu besetzen. Als sich auf das Inserat kaum jemand meldete, mussten die Behörden umdenken. Sie klopften bei der jungen Mutter an und einigten sich mit ihr auf eine Weiterbeschäftigung in Teilzeit. Gleichzeitig motivierten sie eine junge Mitarbeiterin, sich zur Finanzverwalterin weiterzubilden und so die entstehende Lücke zu füllen.
Der Nachteil der Stellenteilung werde bei dieser Lösung durch andere Vorteile aufgewogen, so der Geschäftsleiter. "Wir kannten beide und wussten, was wir an ihnen haben." Zudem zeige die Erfahrung, dass sich junge Mütter sehr gut zu organisieren wüssten. Das wirke sich ebenfalls positiv auf die Arbeit aus.
Ein Bekenntnis
Gleichzeitig stellt Andreas Stucki fest, dass Co-Leitungen in Gemeindeschreiberei und Finanzverwaltung fast nur in einer Struktur mit einem Geschäftsleiter möglich sind. In dieser Funktion ist er der oberste Chef der gesamten Verwaltung, treibt die grossen, abteilungsübergreifenden Projekte voran und führt das Personal. Als ausgebildeter Gemeindeschreiber und Finanzverwalter kann er zudem bei Personalengpässen im Tagesgeschäft einspringen.
Jetzt bringt sich Gemeindepräsident Hansruedi Blatti in die Diskussion ein. Er wird grundsätzlich: "Wenn wir Frauen ausbilden, müssen wir alles Interesse daran haben, dass sie im Beruf à jour bleiben." Wer als junge Mutter ganz aus der Arbeitswelt aussteige, verliere angesichts des schnellen Wandels nur zu rasch den Anschluss. Umso schwerer sei der Wiedereinstieg, wenn der Nachwuchs grösser, die Zeit für den Beruf wieder da sei. "Es braucht in diesem Thema ein Bekenntnis des Arbeitgebers. Wir wollen es ablegen."
Wieder eine Babypause
Für Seewer stand derweil immer fest, dass sie immer in den Beruf zurückkehren wollte. Das entspreche ihrem Naturell, hält sie fest und erinnert daran, dass ihr Kinderwunsch sehr plötzlich doch noch in Erfüllung gegangen ist. Nachdem der Nachwuchs allzu lange ausgeblieben war und sie sich stattdessen voll auf ihr berufliches Weiterkommen konzentriert hatte.
Den Wiedereinstieg ins Berufsleben hat Seewer übrigens von langer Hand vorbereitet. Schon im Sommer vor der Geburt war sie in der Region auf ihre heutige Kollegin aufmerksam geworden. Diese war bereits Mutter, arbeitete als Gemeindeschreiberin nur noch in Teilzeit und wusste gleichzeitig, dass ihre Stelle wieder aufgestockt werden sollte. "Wir gingen aktiv auf sie zu und konnten sie für die Co-Leitung gewinnen."
Das 40-Prozent-Pensum, mit dem sie Ende April wieder eingestiegen war, hat Barbara Seewer Anfang Monat auf 60 Prozent aufgestockt. Denn inzwischen ist die Kollegin zum zweiten Mal Mutter geworden, und wieder ist von allen Seiten Flexibilität gefragt. In der Verwaltung, wo noch ein paar Stellenprozente fehlen, zu Hause, wo sich die Familie neu organisieren musste. Neuerdings hat die Kleine neben dem Papa- und dem Grossmuttertag nur noch zwei statt drei Mamatage. Dafür verbringt sie neu einenTag in der Kita.
Serie - Personalnot in den Gemeinden
Das Problem: Sie stehen im Rampenlicht. Arbeiten nicht selten auch am Abend oder am Wochenende, wenn die anderen freihaben. Gemeindeschreiber, Bau- oder Finanzverwalter zu sein, ist nicht jedermanns Sache. Im Besonderen trifft dies auf die kleinen Gemeinden zu. Vielerorts sind offene Stellen deshalb nurmehr schwer neu zu besetzen. Diese Zeitung nimmt den Mangel an Führungskräften in Gemeinden als Anlass für eine Serie. In verschiedenen Artikeln beleuchten wir das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. (red)