Zäziwil - Käsen wie in alten Zeiten

Einmal im Monat wird in der Käserei Eyweid Käse gemacht wie in Urgrossvaters Zeiten. Der «Füürwagechäset» zeigt, wie erfinderisch und schlau unsere Vorfahren waren.

Quentin Schlapbach, Berner Zeitung BZ
Nach Rauch und Käse duftet es beim Eintreten. Wenn man die Augen schliesst, könnte man sich glatt auf einer idyllischen Alp im Berner Oberland wähnen, wo der Alpöhi gerade den Kessel mit der Milch aufs Feuer stellt. Aber wir befinden uns nicht neben einer Bergblumenmatte in den Alpen, sondern in Zäziwil. Der Schauplatz ist kein Alpenstübli, nein, es ist eine moderne Käserei. Der Mann mit den bärenstarken Oberarmen ist nicht der Alpöhi, sondern Urs Glauser, der Käsemeister der Käserei Eyweid.

Wir, das sind gut 25 Schaulustige, die Glauser an diesem Nachmittag über die Schultern schauen. Es ist der erste Mittwoch des Monats. In der Käserei Eyweid bedeutet das: «Füürwagechäset». Was hinter dem Begriff steht, wird gleich am Eingang klar. Dort steht ein Tor. Und hier drin ist er: der Feuerwagen, ein verschiebbarer Feuerkorb auf Rädern. Er hat die Milch, die im Gebäudeinnern in einem riesigen Kupferkessel bereitsteht, schon vor unserem Kommen leicht vorgewärmt. Glauser wirft einen Blick auf das Thermometer neben dem Kessel. «31,5 Grad, sehr gut», sagt er. Die Milch ist bereit für das Lab.

Der Zoll machte erfinderisch

Lab? Wer nicht gerade vom Fach ist, dem wird der Begriff wenig sagen. Das Lab ist ein Enzym, das aus Kälbermägen gewonnen wird. Der Wirkstoff dickt die Milch ein. Den Kälbern hilft das beim Verdauen, dem Käser beim Käsen. Aber wie kamen unsere Vorfahren überhaupt auf die Idee, Milch in einen Kalbsmagen zu pumpen? «Früher wurde in Tiermägen viel transportiert», erzählt Glauser. Ein Tiermagen war quasi der Plastiksack alter Tage. Auch ein Schweinemagen würde die Milch übrigens verdicken. Aber im Gegensatz zum Kälbermagen würde der Käse damit sauer schmecken.

Das Lab braucht einige Minuten, um zu wirken. Die Milch beginnt sich langsam zu verändern. Glauser stüpft mit einer Plastikschaufel leicht an die Oberfläche. Aus der warmen Milch wurde ein vanillefarbener Pudding. «Jemand kann beim Rühren helfen», sagt Glauser. Während er die Plastikschaufel an eine helfende Hand weiterreicht, nimmt er selbst die Harfe zur Hand. Beim Käsen ist die Harfe kein Musik-, sondern ein Rührinstrument. Mit den scharfen Saiten zerteilt Glauser die Masse. Die Rührassistentin schaufelt ihm die bereits zerstückelten Puddingteile mit der Schaufel immer wieder zu, sodass am Schluss unzählige Einzelteile im Kessel schwimmen. Nun kann wieder ordentlich eingeheizt werden. Der Feuerwagen wird neu entfacht und unter den Kessel geschoben. Die Käsemasse kann jetzt gut eine Stunde vor sich hinblubbern.

Schlaue Schweizer

Zeit für eine kleine Geschichtslektion. Der «Füürwagechäset» kam 1848 auf. Der Grund war simpel: Auf Käseexporten wurde damals ein Zoll eingeführt. Die Abgabe wurde pro Stück berechnet. Die schlauen Schweizer Käser fanden eine Lösung, diese Handelshemmnisse zu umgehen: Die Laibe mussten grösser werden. Ergo mussten grössere Kessel her. Aber diese schweren Kessel konnten mit Manneskraft allein nicht vom Feuer geschoben werden. Die Lösung: Das Feuer musste mobil werden. Die Idee des «Füürwagechäset» war geboren.

Zurück zur Praxis. Es ist so weit: Die Käsesaat kann geerntet werden. Glauser bindet zwei Enden eines Tuches an ein gebogenes Blechteil. Die zwei weiteren Enden werden von einer Assistentin gehalten. Glauser gleitet mit dem Blechbogen über den Kesselboden und fischt die Käsemasse aus der Molke. Über 100 Kilogramm ist der Fang schwer. Jetzt sieht man, wieso Käser so kräftige Oberarme haben. Mit Muskelkraft wird der Käse hochgekurbelt und auf den Holztisch neben dem Kessel verfrachtet. Er wird in ein scheinbar viel zu kleines Plastikgefäss hineingepresst. Alle können mithelfen. Mit sauberen Händen und vollem Einsatz pressen die Schaulustigen die teigige Masse in die Form. Die noch heisse Restmolke löst sich vom frischen Käse und läuft die Tischrinnen hinab in einen Behälter. «Ihr dürft probieren», sagt Glauser und pickt gleich selbst ein teigiges Teilchen aus der Masse und legt es sich in den Mund. Der Frischkäse erinnert geschmacklich eher an Milch als an eine Emmentaler-Rezeptur.

Die Arbeit ist für heute getan. Bis der Käse auf dem Teller landet, vergeht noch viel Zeit und Arbeit. Massagen im Salzbad, Nächte in der Reifekammer: Nur so erhält der Käse seinen unverwechselbaren Geschmack. Ein Jahr lang braucht ein «Füürwagechäs», bis er reif ist. Ob man geschmacklich die viele Handarbeit auch wirklich herausfiltern kann, ist noch nicht klar. Der erste «Füürwagechäset» fand letzten Oktober statt. Noch geht es vier Monate, bis der erste Käse alter Machart degustiert werden kann.

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Erstellt: 09.06.2016
Geändert: 09.06.2016
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