Worb: Von der Fichte bleibt ein Schmetterling
Die Fichte am Kirchweg in Worb gab zu reden: Während sich die einen über Schatten und Fichtennadeln ärgerten, freuten sich die anderen über denselben Schatten und die Vögel, die im Baum landeten oder nisteten. Jetzt ist die Fichte gefällt, übrig bleibt nur der riesige Strunk. Er bleibt stehen und erinnert an den Baum – und an einen Schmetterling.
Bis zur letzten Minute hatte Desirée Bieri, Mieterin im Kirchweg 19, gehofft, die imposante alte Fichte hinter ihrem Haus noch zu retten. Vergeblich: Um einen langwierigen Rechtsstreit mit dem Verwalter des Nachbarhauses zu vermeiden, hat ihre Verwaltung einem Baumspezialisten den Auftrag gegeben, sie zu fällen.
Am Montagmorgen, gegen acht Uhr, begann ein Team von vier Mitarbeitern der Gartenbaufirma samt ihrem Geschäftsführer, den mächtigen Baum von unten nach oben zu entasten. Gaby Wenger, die von ihrer Wohnung aus bei jeder Tageszeit gerne auf die Fichte blickte, hat zugeschaut. Sie wollte wenigstens mitbekommen, wie sie abgetragen wird, und den Fall der Fichte fotografisch festhalten.
«Jetzt gefällt mir die Fichte auch nicht mehr»
Sie hat uns die Fotos zur Verfügung gestellt: «Damit ein so stolzer Baum nicht einfach klanglos verschwindet.» Um 15.32, als die Baumspezialisten die Spitze kappten, notierte sie für sich: «Jetzt gefällt mir die Fichte auch nicht mehr.» Wie der Stamm schnitzweise abgesägt wurde, hat sie dann nicht mehr festgehalten. 68 Jahresringe hätten die Gärtner gezählt, hörte Gaby Wenger sie sagen.
An diesem Tag hörte Desirée Bieri von ihrer Wohnung aus vor allem die Motorsägen, dann das Aufprallen der Baumabschnitte. Zuschauen mochte sie nicht. Ihr Kommentar: «Mir fehlen die Worte.» Am Dienstagmorgen ist von der Fichte schon kaum mehr etwas zu sehen, übrig sind nur noch der imposante Baumstrunk und die letzten grossen Abschnitte des Stamms.
«So wird ein Kreislauf geschlossen»
Die Arbeiten seien perfekt gelaufen, teilt der Baumspezialist mit, der nach wie vor nicht genannt werden möchte: «Kein Unfall, keine Verletzung, kein Schaden an Einbauten oder Gebäuden, ausser dem Rasen, der mangels Bodenfrosts ein wenig gelitten hat.»
Das gesamte Holz werde für die Wärmeerzeugung weiterverwendet, erklärt er: «So wird auch ein Kreislauf geschlossen.» Der eindrückliche Wurzelstock hingegen bleibe so stehen und erinnere an den mächtigen Baum. Und nach dem Fällen offenbarte ihm der Baum ein komplett neues, ungesehenes Bild: «Ein Schmetterling oder ein Engel ist erkennbar.»
«Es müsste unbedingt etwas Neues gepflanzt werden»
Als am Dienstagvormittag die letzten Stammteile auf den Transporter gehievt werden, schaut Susanne Graber interessiert zu. Sie wohnt auf der anderen Seite der Fichte und hat es 25 Sommer lang genossen, an der angenehmen Kühle darunter zu sitzen: «Ich habe die Fichte Jahr für Jahr geschätzt.» Und doch versteht sie als gelernte Gärtnerin, dass eine Fichte zwischen den Häusern nicht ideal ist. «Ich wusste, dass sie eines Tages wegkommen würde», sagt sie. «Daher habe ich die Arbeiten mit einem verständnisvollen und einem traurigen Auge beobachtet.»
Sie nimmt es pragmatisch und sagt, sie werde halt künftig öfter mit den Kindern in den Wald gehen. Immerhin, sie zeigt auf eine Baumgruppe nebenan, seien ein paar vogelfreundliche Bäume stehengeblieben. Dennoch sagt sie: «Gegen die zunehmende Hitze brauchen wir dringend mehr Grün – es müsste also unbedingt etwas Neues gepflanzt werden!»