Worb - Wattenwil will kein Ballenberg werden
Bauer Ueli Liechti kämpft dafür, dass sich sein Dörfli Wattenwil weiterentwickeln kann – und gegen starre Regeln, die das verhindern.
Wer gerne auf dem Land lebt, fühlt sich in Wattenwil auf Anhieb wohl. Im Dörfli oberhalb von Worb reicht die Aussicht vom Bantiger bis zum Chasseral, vom Gurten bis zum Belpberg. Wenn es dunkel wird, geht unten in der Ebene die riesige Licherkette namens Agglo Bern an. Die Bauernhäuser mit der typischen Ründi und den ausladenden Dächer sind gepflegt. Entsprechend ist das Dörfli im Bundesinventar als «Ortsbild von nationaler Bedeutung» eingestuft.
Doch Wattenwil hat sich verändert. Mehrere Landwirte haben ihren Betrieb aufgegeben oder werden dies bald tun. Zum Beispiel Ueli Liechti. Er bewirtschaftet 8,5 Hektaren Land, in seinem Stall hatten einst zwölf Kühe Platz. Gemäss den neuen Tierschutzvorschriften war der Stall pro Tier aber 1,5 Zentimeter zu schmal. Weil von den beiden erwachsenen Söhnen keiner den Bauernbetrieb übernehmen will, verzichtete Liechti darauf, den Stall umzubauen. Vor fünf Jahren verkaufte er die Kühe, setzte auf Ackerbau und produzierte Futter für einen anderen Landwirt. Dieses Jahr ist er nun 65-jährig geworden, ab 2019 erhält er dadurch keine Subventionen mehr. Also beschloss er, Ende 2018 ganz mit der Landwirtschaft aufzuhören.
Es geht um viel
Ueli Liechti sitzt am Stubentisch. Vor ihm sind Pläne und Reglemente ausgebreitet, die Unterlagen der Worber Ortsplanungsrevision. Gemäss den Papieren soll Wattenwil in der Landwirtschaftszone bleiben und nicht, wie dies die Wattenwiler und eigentlich auch die Gemeindebehörden möchten, zur Weilerzone werden. Der Kanton habe diese Weilerzone dezidiert abgelehnt, erklärt der Worber Gemeindepräsident Niklaus Gfeller (EVP). Also habe man das Dörfli in der Landwirtschaftszone belassen müssen.
Für Wattenwil hat das Folgen. Denn in der Landwirtschaftszone darf die Nutzfläche der Häuser nicht erweitert werden, auch der Einbau von Wohnungen ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich. In der Weilerzone dagegen können ehemalige Bauernhäuser zu Wohnhäusern umgebaut, ehemalige Ökonomiegebäude zu Gewerbe- oder Büroräumen umgenutzt werden. «Landwirtschaftsoder Weilerzone – für uns ist das so etwas wie eine Existenzfrage», sagt Liechti.
Ein langer Kampf
Ueli Liechti ist sich bewusst: «Wir müssen zu unserem Dörfli Sorge tragen.» Man wolle nicht wild drauflosbauen, nicht das Ortsbild verschandeln. «Aber eine massvolle Entwicklung muss doch möglich sein», findet er. Was solle sonst aus den diversen nicht mehr landwirtschaftlich genutzten Häusern werden? Er antwortet gleich selber: «Dann wird kein Geld mehr in die Häuser investiert, und wir werden zu einem zweiten Ballenberg.» Es sei doch sinnvoller, hier, in bestehenden Häusern, Wohnraum zu schaffen, statt grüne Wiesen zu überbauen.
Schon 2000 nahm Liechti einen Anlauf, um Wattenwil in die Weilerzone zu bringen. Die Gemeinde lehnte dies ab, weil sie den Weiler damals an die Wasserversorgung hätte anschliessen müssen. Diese Erschliessungspflicht gibt es heute nicht mehr, sodass die Gemeindebehörden mittlerweile bereit wären, sowohl Wattenwil wie auch das ähnlich geprägte Nachbardörfli Bangerten in die Weilerzone aufzunehmen. Bei Bangerten gab der Kanton in der Vorprüfung sein Einverständnis, bei Wattenwil legte er sein Veto ein.
Fehlerhafte Angaben?
In einer Weilerzone müssen von Gesetzes wegen mindestens fünf ganzjährig bewohnte Häuser stehen, die nicht oder nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Die Hauptbauten sollten nach Möglichkeit in Rufdistanz, also höchstens 30 Meter, voneinander entfernt sein. Gemäss den Vorprüfungsunterlagen der Worber Behörden gibt es in Wattenwil aber nur drei nicht landwirtschaftlich genutzte Gebäude. Der Kanton stützt sich auf diese Angaben, ihm blieb also keine andere Wahl, als die Weilerzone für Wattenwil abzulehnen.
Ueli Liechti schüttelt den Kopf. «Kommen Sie», sagt er und lädt zu einem Spaziergang durch das Dorf. Bei jedem Haus bleibt er stehen, erklärt, wem es gehört, wer hier wohnt. Am Schluss zieht er Bilanz: Mindestens sechs ständig bewohnte Häuser oder Stöckli werden nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Zwar sind sie teilweise mehr als 30 Meter voneinander entfernt, dessen ist sich Liechti bewusst. Im Nachbardorf Bangerten sind sie gemäss den amtlichen Plänen aber ebenfalls bis zu 43 Meter voneinander entfernt. «Und das war für den Kanton kein Problem.»
Neue Hoffnung
Diese Woche hat sich eine Wattenwiler Delegation mit den Worber Behörden getroffen. Es sei ein gutes Gespräch gewesen, bestätigen beide Seiten. «Wir verstehen das Anliegen der Wattenwiler voll und ganz», sagt Niklaus Gfeller. Den Gemeindebehörden wurde beim Treffen bewusst, dass es im Dörfli mehr als drei Nichtlandwirtschaftsgebäude gibt. Gfeller hat den Wattenwilern deshalb empfohlen, Einsprache gegen die Ortsplanungsrevision einzureichen. «So können wir die Situation zusammen mit dem Kanton nochmals anschauen», sagt er.
Es ist also gut möglich, dass der Wunsch nach einer Weilerzone doch noch in Erfüllung geht. Ueli Liechti würde sich darüber freuen. «So könnte unser Dörfli weiterleben.»
Verdichten statt einzonen
Die Zeiten, in denen grosse Grünflächen für Überbauungen eingezont wurden, sind vielerorts vorbei. Auch in Worb: Vor sechs Jahren sagte das Volk knapp Nein zur Ortsplanungsrevision. Am meisten Kritik erntete damals eine Einzonung in Rüfenacht.
Nun haben die Behörden eine neue Ortsplanungsrevision aufgegleist. Diesmal setzt man auf innere Verdichtung: Baulücken sollen geschlossen und Gewerbeareale umgenutzt werden, zudem sind kleinere Bauabstände vorgesehen. Neu ist auch die sogenannte Fairnessregel: Wenn sich Nachbarn einig werden, können sie ihre Grundstücke nochmals dichter bebauen. Damit der Dichtestress nicht zu gross wird, soll ein Fachausschuss eingeführt werden, der die Qualität bestimmter Bauvorhaben prüft.
Mit all den Massnahmen strebt der Worber Gemeinderat ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum von maximal fünfzig Personen pro Jahr an. «Das ist gesünder, als sprunghaft zu wachsen», sagt Gemeindepräsident Niklaus Gfeller (EVP). Die Rückmeldungen während der öffentlichen Mitwirkung hätten gezeigt, dass die Bevölkerung diese Meinung grundsätzlich teile.
Die Unterlagen zur Ortsplanungsrevision liegen bis zum 17. Dezember in der Gemeindeverwaltung Worb auf. Falls Einsprachen eingehen – was sich zum Beispiel bei der Weilerzone Wattenwil abzeichnet (siehe Haupttext) –, folgen Einigungsverhandlungen. Voraussichtlich im ersten Halbjahr wird sich das Gemeindeparlament zu den Plänen äussern können.