Worb - Vier Männer und ein Stück Glas

Was lange währt, wird nicht immer gut: Joe Haiders Singspiel "Rosaly, das Mädchen aus Glas" im Bärensaal Worb.

Brigitta Niederhauser, "Der Bund"
Ein hübsches Vögelchen zwitschert da in immer anderen Käfigen. Und verstummt. Findet auch in der Freiheit nicht zurück zu den glockenhellen Koloraturen, mit denen es einst die Menschen verzauberte. Ein rosa Püppchen aus Glas, so zart wie eine Elfe, ist das Vögelchen, und nicht weniger als vier Männer sind hinter ihm her, einer wort- und stimmgewaltiger als der andere, und jeder will dieses wundersame Stück Glas für sich ganz allein. Allen voran sein Schöpfer, der Glasbläser Gotthelf. Happy End ist keins in Sicht in diesem Märchen aus der bösen, globalisierten Welt, wo die heimeligen Glashütten verschwinden und die chinesischen Kapitalisten damit Profit machen.

Die Story des preisgekrönten Münchner Kinder- und Jugendbuchautors Rudolf Herfurtner hat durchaus das Zeug zu einem modernen Singspiel, und wenn mit Joe Haider noch eine bekannte Jazzgrösse den Soundtrack geschrieben hat, dann ist die Ausgangslage vielversprechend. Der 76-jährige Pianist und Komponist, der von 1985 bis 1995 die Swiss Jazz School Bern leitete und prägte, hatte mit seinem ambitiösen Projekt «Rosaly, das Mädchen aus Glas» allerdings ein wenig Pech. Die aufwendige Produktion, an der nicht weniger als vierzig Berufsmusikerinnen und -musiker beteiligt sind, hätte er gern bereits letztes Jahr in Bern aufgeführt, am liebsten in der Grossen Halle der Reitschule. Doch gemäss Haider haben Vorkommnisse dort im letzten Sommer dazu geführt, dass sich zwei der Sponsoren zurückgezogen hätten, wenn das Projekt in der Reitschule durchgeführt worden wäre. «Wir haben um die Reithalle gekämpft», sagt Haider. «Doch es ist ein teures Projekt, und ohne diese Sponsoren hätten wir es nicht realisieren können.» Andere Lokalitäten in Bern habe man auch geprüft. Doch alle infrage kommenden seien zu teuer gewesen, und darum sei man nach Worb ausgewichen.
 
Dort wird die Inszenierung im Bärensaal als «Welturaufführung» verkauft und damit ausgeblendet, dass bereits 2007 das Schlossfestival Kapfenburg mit einer «Welturaufführung» von «Rosaly» geworben hat. Dazu präzisiert Haider: «Die Inszenierung ist modifiziert worden, in Deutschland wurde ein Melodram aufgeführt, und die Protagonisten haben nur gesprochen, nicht gesungen.»

Wehmütige Dissonanzen

In Worb singen sie nun alle, der Chinese macht den Auftakt, und er bewegt sich, als wäre er aus einer Spielzeugfabrik für aufziehbare Rotarmisten abgehauen. Den märchenhaften Stoff mit deftigen Klischees zu zerkratzen und mit wehmütigen Dissonanzen zu trüben, das hat durchaus seinen Reiz, und Joe Haider setzt am Klavier zu jenen wunderbaren balladigen Ausschweifungen an, für die man ihn in Bern nie vergessen wird. Und mit seiner unaufgeregten Stimme färbt er als Erzähler die Geschichte mit so viel Lakonie ein, dass man einen schönen langen Moment den nur halb voll besetzten Saal mit dem Charme eines frisch gebohnerten Kirchgemeindehauses und den wenig komfortablen Bedingungen für das grosse Orchester vergisst.

Doch der launige Swing der blauen Stunde hält nicht an, denn Haider, der einst auch klassische Musik studierte, hat viel vor, wühlt tief in der Musikgeschichte: Er pusht Barockes, lässt es munter wagnern, mal blinzelt auch Mozart ein wenig mit, und als wäre dies des Guten noch lange nicht genug, wird noch mit Blues und Musicalseligkeit aufgetrumpft. Denn fast jede der Figuren hat ihren ganz eigenen Sound: So darf Rosaly (Jeannette Wernecke), die auch optisch das perfekte Glaspüppchen abgibt, mit wahrhaft glasklaren klassischen Koloraturen brillieren, und die patente Sandy Patton demonstriert mit ihrem Soulgesang, dass das Reich der wahren Königin der Nacht die Klubs sind.

Viel Ausdruckstanz

So differenziert die Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters Strings of Bird die unterschiedlichen Elemente intonieren, so subtil auch Dirigent David McVeigh die Übergänge gestaltet, die musikalischen Versatzstücke lassen sich nicht legieren. Sie zerschellen bis auf wenige Ausnahmen an ihrer Belanglosigkeit. Dort läuft auch das Bühnengeschehen (Regie David M. Zurbuchen) auf. Und spätestens dann, wenn sich junge Damen zum wiederholten Mal in Ausdruckstanz üben und ältere Herren in Coolness, überfällt einen ganz dringend die Frage, ob zu Hause noch Haiders Walzer «Forever» auffindbar ist, den er bei seinem Abschied von Bern gespielt hat. Seinetwegen hat man sich so auf Haiders erste abendfüllende Komposition gefreut.

[i] Aufführungen bis 16. September. www.theaterprojektworb.ch

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Erstellt: 31.08.2012
Geändert: 31.08.2012
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