Worb - Undurchsichtiges Geschäft – mit Olympiasieger Gian Simmen

Die Worber Empfehlungsmarketing-Firma Livechange verspricht hohe Einkommen – ein unseriöses Geschäft, urteilen Experten.

Simon Jäggi, Der Bund
Mit hochtrabenden Phrasen geizt der Worber Bernhard Hefti auf seiner Webseite Livechange.ch nicht: «Machen Sie Ihr Leben zum grössten Erfolg, und lernen Sie uns als starken Partner kennen.» Gesucht werden auf der Webseite «motivierte Teamplayer», die sich am «Vertriebsaufbau in der Schweiz» beteiligen sollen. Wenn es um Konkretes geht, werden die Infos dünner: Die Rede ist lediglich von «ganz exklusiven Produkten in den Bereichen Lifestyle, Wellness, Fitness und Wohlfühlen». Wie «Bund»-Recherchen ergeben, vertreibt Hefti Produkte des US-Konzerns Forever Living Products (FLP), der seit 1999 auch einen Sitz in Frauenfeld (TG) hat. Forever Living verkauft in erster Linie Aloe-Vera-Produkte. Nach eigenen Angaben wurde FLP 1978 gegründet und macht weltweit drei Milliarden Franken Umsatz.

Facebook-Auftritt finanziert

Empfehlungsmarketing-Seiten selbstständiger Vertreiber finden sich im Web zuhauf. Auf Livechange.ch verbirgt sich aber Erstaunliches: Zu Heftis Team gehört nicht nur ein Ehepaar aus Münsingen, sondern auch ein ehemaliger Olympiasieger – der Snowboarder Gian Simmen. «Als Sportler bin ich es mich gewohnt, selbstständig und zielorientiert zu arbeiten», lässt sich Simmen zitieren. Auf Anfrage bestätigt der ehemalige Snowboard-Profi: «Forever Living Products ist mein Sponsor.» Auf seiner Facebook-Seite hält Simmen das neuste Produkt der Firma in der Hand – den Energydrink FAB mit Guarana.

Der erste Kontakt zu FLP habe über Hefti stattgefunden. Hefti betreibt in Worb das esoterische Zentrum Adlerhorst, in dem etwa Seminare für Reiki und «Immortal Sciences» («praktische Umsetzung alter Weisheiten») angeboten werden. Auf die Frage, wie er in Kontakt mit Hefti gekommen sei, antwortet Simmen: «Über hundert Ecken.»Dass Simmen seinen Namen für eine Multi-Level-Marketingunternehmen hergibt, erstaunt Fachleute. Die Branche geniesst einen zweifelhaften Ruf. Einer, der immer wieder Klagen über Empfehlungsmarketing-Geschäftspraktiken zu hören bekommt, ist Daniel Schlachter, Geschäftsleiter der Zentralstelle für Heimarbeit.

Unrealistische Versprechen

«Mit meinem jetzigen Wissensstand muss ich von dieser Organisation abraten», sagt Schlachter, nachdem er die FLP-Webseite studiert hat. Das Geschäftsmodell sei völlig intransparent: «Für Otto-Normalverbraucher ist nicht ersichtlich, was man für Verdienstmöglichkeiten hat.» Schlachters Einschätzung ist daher deutlich: «Unseriös.» Simmens Engagement hält Schlachter für problematisch. Schliesslich steigere es das Vertrauen potenzieller Interessenten, wenn ein prominenter Sportler hinter einer Organisation stehe. Das Hauptproblem in der Empfehlungsmarketing-Branche sei, dass Versprechen gemacht würden, die nicht realistisch seien, sagt Schlachter. Erfahrungen hätten gezeigt, dass der Verdienst häufig sehr gering sei – entgegen den grossen Versprechungen. Auch die FLP-Webseite ist illustriert mit Menschen in Siegerposen und teuren Villen.

«Eine Illusion für die Mehrzahl»

Dass sich Empfehlungsmarketing selten bezahlt macht, stellt auch Janine Jakob vom Schweizerischen Konsumentenschutz (SKS) fest: «Man sollte sich nicht zu viel Hoffnungen machen, dass man viel verdient. Man muss weit oben in der Pyramide und früh dabei sein.» Sich den Lebensunterhalt zu verdienen entpuppe sich für den Grossteil der Leute als Illusion. Ein Hauptproblem sei, dass die Produkte vielfach überteuert seien – dadurch seien sie nicht konkurrenzfähig. Die meisten Pyramidensysteme kollabierten nach einer gewissen Zeit: «Es spricht sich rum, dass die Unteren nichts verdienen.» Empfehlungsmarketing-Firmen expandierten daher kontinuierlich in andere Länder: «Ist der Markt ausgetrocknet, zieht man weiter.»

Auch FLP setzt, wie etwa auch Herbalife oder Life Plus, auf Nahrungsergänzungs- und Kosmetikprodukte. Im Onlineshop von FLP kostet eine Dose mit 60 Fisch- und Olivenölkapseln zum Beispiel 48.20 Franken. Der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin warnt davor, solche Produkte über Direktmarketingkanäle zu beziehen: «Wer Nahrungsergänzung braucht, soll sie im Fachhandel kaufen und nicht bei dubiosen Firmen ohne professionelle Beratung.»

Immer wieder Anfragen zu Empfehlungsmarketing-Firmen hat Georg Schmid. Er ist Leiter der evangelischen Informationsstelle Rel-Info, die über Sekten Auskunft gibt. Leute, die im Multi-Level-Marketing tätig seien, seien enorm engagiert: «Mit angezogener Handbremse kommt man zu gar nichts.» Die sozialen Beziehungen und Netzwerke würden genutzt, die Teilnehmer versuchten Kunden und neue Verkäufer zu gewinnen. «Dieses Verhalten erinnert Angehörige und Bekannte häufig an ein Verhalten, das man von Sekten kennt.» Die Empfehlungsmarketing-Unternehmen hätten zwar ein missionarisches Auftreten – einen weltanschaulichen Hintergrund hätten sie in aller Regel aber nicht. «Es geht nur ums Geschäft.»

Simmen: «Sehe keinen Haken»

Gian Simmen dagegen hält seinen Sponsor für «absolut seriös». Die Frage, ob er nicht fürchte, seinen Ruf zu beschädigen, verneint der Snowboard-Star. Er habe das Geschäftsmodell geprüft – und erkenne «keinen Haken an der Sache». Das Network-Marketing-System habe sich inzwischen etabliert. «Wenn ich ein Restaurant gut finde, dann empfehle ich es meinen Freunden auch weiter, so ist es auch mit anderen Produkten.» Selber ist Simmen auch als «Distributor» tätig, was bedeutet, dass er Ware bezieht und verkauft sowie weitere Verkäufer sucht. «Ich wollte mir selber eine Meinung vom Geschäftsmodell machen. Man kann auch keinen Fahrbericht von einem Snowboard abgeben, wenn man es selber nicht gefahren ist, das ist nicht glaubwürdig», so Simmen. Sein Engagement halte sich aber in engen Grenzen: «Mir fehlt die Zeit.» Gegen einen lukrativen Nebenverdienst neben seinem 40-Prozent-Pensum habe er aber nichts einzuwenden. Simmen ist bei Swiss Ski als Snowboard-Trainer angestellt.

Auch Simmens Mentor Bernhard Hefti zeigt sich «fasziniert von dieser Geschäftsmöglichkeit»: «Sie steht jedem offen und es gibt weder Druck noch ein finanzielles Risiko.» Hefti ist damit vor drei Jahren gestartet, nachdem er nach 18 Jahren als selbstständiger Therapeut habe feststellen müssen, dass er finanziell an Ort trete. Nun habe er sich ein Passiveinkommen erarbeitet und müsse nicht mehr Vollzeit arbeiten. Am Anfang seien die Zahlen nicht atemberaubend, räumt Hefti ein. Network-Marketing sei ein Geschäft, das durch «regelmässiges und fokussiertes Arbeiten über einen längeren Zeitraum» zum Erfolg führe: «Wer glaubt, in einem Jahr Multimillionär zu werden, täuscht sich und ist am falschen Ort.» Solche Personen seien es leider auch, die dem Ruf des Network-Marketing schadeten. Es gehe nicht darum, möglichst viele «Distributoren» auf der Liste zu haben, sondern sorgfältig ein Team aufzubauen – und dieses zu coachen. Und es sei ihm ein Anliegen, Interessierten «Lösungen im Bereich Wellness, Gesundheit oder Sport» anzubieten: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Produkte mein Leben verändern. Sie können auch das Leben anderer verbessern.»

Empfehlungsmarketing

Ziel des Empfehlungsmarketings ist es vor allem neue «Partner» zu finden, die Produkte verkaufen. Bei Forever Living Products (FLP) nennen sich diese «Distributoren», die wiederum Vertreiber suchen – so entsteht die Downline. Wer gemeinsam mit dieser einen gewissen Umsatz erwirtschaftet, kann aufsteigen, was Prämien und Prozente bringt. So entsteht die Pyramide, die auch verbotenen Schneeballsystemen eigen ist. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kann seit kurzem schärfer gegen Schneeballsysteme vorgehen. Es wird aber erst aktiv, wenn Beschwerden der Bevölkerung eingehen.

www.fairbusiness@seco.admin.ch

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Erstellt: 26.07.2012
Geändert: 26.07.2012
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