Worb - Senioren und Kinder bewerten Bücher
In der Gemeindebibliothek Worb beurteilten Jugendliche und Senioren fünf Bücher des Generationenbuchpreises Prix Chronos. Ältere und Jüngere diskutierten über die gelesenen Geschichten – und kamen sich ein Stück näher.
Herbert Rentsch / Berner Zeitung BZ
Für einmal begegnen sich in der Gemeindebibliothek Worb Jugendliche und ältere Menschen nicht beim Warten vor dem Ausleihpult. Zwölf Schüler und acht Senioren haben sich in einer Ecke rund um einen Tisch im Kreis hingesetzt, um über Jugendbücher zu diskutieren. Das Treffen ist der Schlussabend des Prix Chronos, eines Jugendbuchprojekts der Pro Senectute, bei dem die Worber Bibliothek zum vierten Mal mitmacht.
Alle Anwesenden haben seit letztem Sommer fünf Jugendbücher gelesen, die von Kindern und älteren Leuten handeln. Es sind Geschichten über Mädchen, Knaben und Grosseltern, die miteinander allerhand erleben und sich dabei näherkommen. In der Bibliothek geben nun alle ihre persönliche Rangliste bekannt und nennen Gründe für die Platzierung. «Es war spannend zu lesen», sagen mehrere Kinder zu ihrem Favoriten. Eines der Bücher erhält weniger Zuspruch, weil darin statt nur eine mehrere Geschichten abgedruckt sind.
Hund Samson erreicht Spitzenplatz
Schon bald zeichnet sich ein Spitzenreiter ab: «Samsons Reise». Das Buch erzählt vom alten Hund Samson, der bald sterben wird, und von seinem besten Freund Mats. Der Junge möchte den Hund beim Sterben begleiten. Das gelingt erst, als er mit ihm zu seinem eigenbrötlerischen Grossvater reist. Warum ihnen das Buch gefallen hat, drücken die Worber Kinder mit wenigen Worten und eher gefühlsmässig aus: «Das Buch hat mich berührt. Es ist so schön traurig», schwärmt Schülerin Nina Bleiker.
Projekt entwickelt Eigendynamik
Die Urteile der Erwachsenen fallen differenzierter aus. «Samsons Reise» sei einfühlsam geschrieben, sagt eine Leserin. «An einer Stelle heisst es, der Tod sei nicht schwarz sondern weiss wie Schnee. Das gefiel mir.» Bei einem andern Buch zweifeln einige daran, ob die Kinder es überhaupt verstehen.
In Worb hat die Bibliothek für den Prix Chronos in erster Linie ihre Benützer angesprochen. Bei der ersten Teilnahme machten noch deutlich weniger Leserinnen und Leser mit als heute. «Seither hat das Projekt Eigendynamik entwickelt», sagt Béatrice Wälti, eine der Bibliothekarinnen. «Erwachsene motivierten ihre Enkel, mitzumachen, und Kinder nahmen ihre Freunde mit.» Manchmal sind sogar Grossmütter mit einem Enkelkind dabei, wie bereits zweimal Agnes Muster und ihre Enkel. «Eine gute Erfahrung», sagt sie. «Wir haben oft über die Bücher gesprochen. Das gab jeweils zu diskutieren.» In der Runde werden die Gespräche lebhafter.
Einige Teilnehmer kritisieren, in den Büchern werde das Bild von skurrilen Grosseltern mit teils verrückten Ideen gezeichnet. Das sei übertrieben. Doch Rentnerin Heide Jung findet dies spannend: «Da wird eine Grossmutter ganz anders gesehen als sonst. Zum Beispiel als Mensch, der noch Träume verwirklicht und durch die Veränderung, die das Enkelkind mit sich bringt, zu neuem Leben findet.» Zum zweiten Mal dabei ist Schülerin Anuschka Arni. «Ich fand es interessant, mit älteren Menschen zu diskutieren», sagt sie.
Noch spannender fand sie die Lektüre selbst. «In der Bibliothek hätte ich mir diese Bücher wohl nicht ausgeliehen. Die meisten habe ich aber gerne gelesen.» Nach dem Zusammenzug der Bewertungen werden die Ranglisten der Jugendlichen und der Erwachsenen bekannt gegeben. Die Runde staunt: In beiden Gruppen ist die Reihenfolge der Buchtitel exakt die gleiche.
Prix Chronos
Zum achten Mal wird heuer in der Deutschschweiz der Prix Chronos verliehen – für ein Jugendbuch, welches Generationenbeziehungen thematisiert. Chronos war der griechische Gott der Zeit. Der Preis wird von Pro Senectute Schweiz ausgerichtet und ist mit 2000 Franken dotiert.
Zur Auswahl stehen jeweils fünf Jugendromane, die sich an circa 10- bis 12-jährige Kinder richten. Das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien wählt die Bücher aus. Sie werden in Schulklassen, Altersheimen, Lesegruppen, Seniorenlesezirkeln und so weiter gelesen und bewertet. Mit den Wahlzetteln der Gruppierungen wird das Siegerbuch erkoren. Die Preisverleihung findet dieses Jahr am 10. Mai in Zürich statt.
Rangliste in Worb: 1. «Samsons Reise»; 2. «Grossvater und die Schmuggler»; 3. «Beste Freundin dringend gesucht!»; 4. «Die Oma im Drachenbauch»; 5. «Rosie und der Urgrossvater».