Worb - Geschüttelt und verdünnt
Spagyros stellt in Worb Komplementärmedizin her. Chefin Jacqueline Ryffel sagt, wo es dem Unternehmen gleich ergeht wie Novartis – und weshalb Homöopathie ihrer Ansicht nach auch ohne Wirkstoff wirkt.
Da stimmen gleich mehrere Klischees zur Komplementärmedizin nicht. Geschäftsführerin Jacqueline Ryffel ist elegant angezogen, sie könnte auch als Versicherungsbrokerin durchgehen. Ein kleiner Pin an ihrem Blazer zeugt von ihrer Mitgliedschaft im Rotary-Club. Und in einer Management-Ausbildung an der Universität St. Gallen hat sich die studierte Pharmazeutin und Homöopathin das betriebswirtschaftliche Wissen geholt.
Auch in den Räumlichkeiten der Spagyros AG sieht es nicht wie in einem alchemistischen Labor, sondern wie bei einem Hersteller von konventionellen Medikamenten aus. Letzteres hat auch mit den staatlichen Auflagen zu tun: Globuli und die meisten anderen Produkte von Spagyros gelten als Arzneimittel und müssen nach entsprechenden Vorschriften hergestellt werden. Vom Pflücken einer Arnikapflanze bis zum fertigen Produkt müssten 150 Produktionsschritte und Bestätigungen visiert werden, sagt Ryffel, während sie Labormantel, Schuhschutz und Haarnetz überzieht. «Die Vorschriften sind für alle gleich, sie gelten nicht nur für Novartis.»
Weil der alte Sitz des Unternehmens in Gümligen zu klein geworden war und sowieso hätte renoviert werden müssen, hat Spagyros Ende August in Worb ein neues Gebäude bezogen. Hier arbeiten knapp 30 Personen. Sie produzieren und vertreiben Medikamente aus den alternativmedizinischen Bereichen Homöopathie, Spagyrik (vergorene und zu Asche verbrannte Pflanzen) und Gemmotherapie (aus Knospen gewonnene Tinkturen).
Insgesamt hat das Unternehmen 15 000 verschiedene Präparate und Produktvariationen im Angebot. Das Unternehmen stellt sie allesamt selbst her – und baut alle Inhaltsstoffe selbst an oder sammelt sie in der Natur. «Ich vertraue diesbezüglich niemandem, deshalb kaufen wir keine halbfertigen Produkte ein», sagt Ryffel. Auf dem firmeneigenen Hof im jurassischen St. Brais bauen fünf Mitarbeiter die benötigten Kräuter nach Bio- und Demeter-Standard an und stellen einige Vorprodukte her.
Bis 100 000-fache Verdünnung
Die Globuli selbst, die kleinen Kügelchen aus reinem Zucker, bezieht Spagyros von einem Hersteller in Deutschland. Im Labor werden die Globuli dann mit den homöopathischen Lösungen versetzt. In der Fachsprache werden sie «imprägniert». Zuvor werden die «Urtinkturen» jeweils bis zum gewünschten Grad mit Alkohol und Wasser verdünnt und geschüttelt, was man «potenzieren» nennt. Spezialisierte Mitarbeiterinnen verdünnen und schütteln die Flüssigkeiten von Hand bis zu einer 200-fachen Verdünnung. Dafür benötigt eine Mitarbeiterin einen ganzen Tag. Für noch höhere Verdünnungsgrade hat das Unternehmen eine Maschine entwickelt, die bis zu 100 000 Verdünnungsschritte durchführen kann.
Die Schulmedizin kritisiert, dass in den verdünnten Tinkturen teilweise kein einziges Molekül Wirkstoff mehr vorhanden ist. Das sei korrekt, sagt Ryffel. Weil einige der Wirkstoffe, wie etwa die Tollkirsche, giftig seien, sei dies auch gewollt. «Aber beim Potenzieren überträgt sich die Information des Wirkstoffs in Form von Energie auf die Schwingung der Wassermoleküle.» Deshalb erziele die Homöopathie mehr Wirkung als den reinen Placeboeffekt. In der Praxis zeige sich sogar, dass die Wirkung umso grösser sei, je mehr verdünnt werde.
Die Wissenschaft widerspricht
Die Wissenschaft stützt diese Theorie nicht. Wikipedia schreibt dazu: «Aus Sicht der Physik handelt es sich bei der Potenzierung um eine reine Verdünnung der Ausgangssubstanz. Die Übertragung einer Wirkung von Substanzen auf das Verdünnungsmittel ist durch keine bekannten physikalischen oder chemischen Gesetzmässigkeiten zu erklären, auch wenn einige Erklärungsversuche sich auf die Quantenphysik zu berufen versuchen.»
Jacqueline Ryffel argumentiert, dass auch die heutige Wissenschaft noch nicht alle Dimensionen erfassen könne. Gleichzeitig betont sie, dass sie die Schulmedizin für wichtig halte. Es gebe aber Momente, in denen sie an ihre Grenzen stosse, etwa bei chronischen Schmerzen oder Migräne. «Es wäre wünschenswert, dass man mehr zusammenarbeiten würde.»
Man wird nicht reich
Die wissenschaftliche Skepsis gegenüber der Komplementärmedizin tut deren Popularität keinen Abbruch. Die Umsätze seien in den letzten Jahren jeweils um 5 bis 10 Prozent gestiegen, sagt Ryffel. Der Jahresumsatz betrage rund 5 Millionen Franken. Das heisst jedoch nicht, dass die Firma im Geld schwimmt. Bei den kassenpflichtigen Medikamenten setzt das Bundesamt für Gesundheit die Preise fest – und diese sind laut Ryffel trotz gestiegenen Anforderungen an die Hersteller seit Jahren nicht mehr erhöht wurden. Auch auf dem deutschen Markt weht Spagyros in Sachen gesetzliche Auflagen ein steifer Wind entgegen. «Wenn man viel Geld verdienen will, muss man nicht in die Komplementärmedizin gehen», sagt sie.
Ryffel, die den Schweizer Frauenlauf mitgegründet hat, hofft trotzdem auf weiteres Wachstum. «Die heutige Generation von Müttern will ihren Kindern nicht bei jeder Mittelohrentzündung Antibiotika verschreiben lassen», sagt die Unternehmerin.
Gegründet vom Zigarettenbaron - Die Wurzeln von Spagyros im Jura
Die Spagyros AG hat ihre Gründung einem Wirtschaftszweig zu verdanken, der für alles andere als Gesundheit steht: der Tabakindustrie. Charles Burrus, Inhaber und Patron der Zigarettenfabrik im jurassischen Boncourt, wollte sein Geschäft diversifizieren und gründete das Unternehmen 1985. Die Gemeinsamkeit von Zigaretten- und Arzneimittelherstellung war das Trocknen der Pflanzen. So lieferte Spagyros damals auch Kräuter an Ricola. Später wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem auch frische Pflanzen zu Tinkturen verarbeitet werden können.
Als Burrus sein Unternehmen 1996 an den Rothmans-Konzern veräusserte (welcher drei Jahre später mit British-American Tobacco fusionierte), stand auch Spagyros zum Verkauf. Jacqueline Ryffel machte sich damals als Apothekerin und Kundin des Unternehmens Sorgen um die Zukunft von Spagyros. Nach einem Treffen mit Charles Burrus waren Ryffel und einige Berufskollegen gewillt, die Firma zu übernehmen. Um genügend Aktienkapital aufzutreiben, suchte Ryffel auch in ihrem Bekanntenkreis nach Geldgebern. Schliesslich klappte es, und Burrus gab der Gruppe um Ryffel den Zuschlag. Ende 1997 zügelte Ryffel das Unternehmen nach Gümligen und wurde dessen Geschäftsführerin und Verwaltungsratspräsidentin.