Worb - Ein Mädchen aus Glas verirrt sich in eine Welt aus Stahl
Das Singspiel «Rosaly oder das Mädchen aus Glas» besticht mit einer märchenhaften Geschichte, Musik von Klassik bis Blues und eindrücklichen Sängerinnen und Sängern. Nächste Woche ist Premiere im Bärensaal Worb. Ein Probenbesuch.
Es ist heiss im Bärensaal Worb, in dem ein Symphonieorchester, eine Jazzband, Tänzer und Tänzerinnen sowie Opernstars aus dem In- und Ausland gemeinsam proben. Doch trotz der sommerlichen Temperaturen ist die Konzentration an diesem Nachmittag spürbar.
Erstmals treffen nun die Musiker und Sänger, die bisher getrennt voneinander geübt haben, aufeinander. Regisseur David Matthäus Zurbuchen ist zuversichtlich. Alles klappe schon ganz gut, sagt er. Geprobt wird «Rosaly oder das Mädchen aus Glas», ein Singspiel von Joe Haider (Musik) und Rudolf Herfurtner (Text). Die zierliche Sopranistin Jeannette Wernecke singt und spielt die Titelfigur. Rosaly ist eine Art umgekehrter Pinocchio: weiblich statt männlich, aus Glas statt aus Holz. Und statt Mensch zu werden, zerbricht dieses Püppchen zuletzt wortwörtlich an der Raffgier und Rücksichtslosigkeit der Menschen.
Ihr Schöpfer ist der Glasbläser Gotthelf (William Cohn), der sie eifersüchtig für sich bewahren möchte. «Rosaly kommt gänzlich unschuldig in die Welt und hat keine Ahnung, was sie erwartet. Sie vertraut allen blind und lässt sich von verschiedenen Verheissungen verführen», sagt Sopranistin Jeannette Wernecke über ihre Figur.
Fee und Funken
Gegenseitige Verführung findet auch auf der musikalischen Ebene statt. Die Begegnung zwischen Rosaly und Niniel (Sandy Patton), der Fee der Funken, ist auch ein Zusammenkommen zwischen Klassik, Jazz und Blues. Dass es draussen in der weiten Welt noch mehr zu sehen gibt als in der Glashütte ihres Erschaffers, erfährt Rosaly anhand des Blues. Der helle Koloratursopran der Hauptdarstellerin trifft auf die soulige Stimme der Fee. Tänzerinnen, die die Funken darstellen, bilden eine «Nabelschnur» zwischen den beiden Frauen. Es beginnt eine Art dialogischer Wettstreit zwischen den scheinbar so unterschiedlichen Musikstilen, der in einem harmonischen Miteinander endet.
Joe Haider, Kopf und Initiant des Projekts, sitzt dabei am Klavier und spielt den Erzähler. Er führt uns sprechend in die märchenhafte Geschichte ein, die auch vom Verdrängungskampf einer alten Handwerkskunst, dem Glasblasen, erzählt. «Der alte Gotthelf ist am Ende, weil Herr Wong aus Hongkong seine Glashütte kauft und auf Massenproduktion setzen will», so Haider.
Bühnenbildner Dany Rhyner hat die kleine Bühne in Worb anhand einer Tiefenwirkung vortäuschenden Architektur in die besagte Glashütte inklusive Ofen verwandelt. Dieser Schauplatz kann aber auch zum Variété oder zur Strasse werden. Dort trifft Rosaly auf den umtriebigen Mister Minelli (Mauro Galati), der ihre schöne Stimme zu Geld machen will. Doch Kunst lässt sich nicht so einfach vereinnahmen – auch davon handelt diese Parabel. Der junge Sänger Carel, dargestellt vom Tenor Guido Maria Kober, will das Herz des Püppchens für sich gewinnen. Doch auch dieser Mann erweist sich als unheilvoll, da der Sänger zur Selbstzerstörung neigt.
Leben und streben
So richtig böse Figuren gäbe es allerdings keine, sagt Regisseur Zurbuchen. Vielmehr seien die Charaktere vergleichbar mit denjenigen der Commedia dell’Arte, sprich leicht überzeichnete Stereotypen. Das wird auch deutlich an der Probe, als der alte Gotthelf wie ein tapsiger Bär um seine gläserne Kreatur tanzt und singt: «Mein Püppchen, mein Mädchen – mein Gott – es atmet – es bewegt sich – es lebt!» Ja: Es lebt, und es strebt – nach Erfahrungen, Liebe und Freiheit.
[i] Premiere: Mi, 29. 8., 20.15 Uhr. Bärensaal, Worb. Vorstellungen bis 16. 9.
www.theaterprojektworb.ch