Worb - Der Arzt, der ehernes Gewebe heilt

Seine Hände sind verhornt, heisse Teller fürchtet er nicht mehr: Roger Bertsch schmiedet noch wie vor 100 Jahren. Und: Er restauriert das Thuner «Brahmsrösi».

Katrin Schregenberger / Der Bund

Es sieht mitgenommen aus, das «Brahmsrösi» aus Thun, das 1933 vom Künstler Hermann Hubacher geschaffen wurde. Der sogenannte Bronzekrebs hat ihr Gesicht weiss gepudert. Die ungebetene Blässe ist auf Witterungseinflüsse zurückzuführen. «Ich weiss noch nicht, ob ich das wieder hinkriege», sagt Roger Bertsch, der die Bronzestatue «heilen» soll. Die Utensilien für die «Operation» liegen schon bereit: Da warten zunächst ein halbes Dutzend Chemikalien, Alkali-Selen-Verbindungen und Salze darauf, die Schäden wegzuätzen. Daneben liegen unzählige Pinsel. Dünne, dicke, flauschige und spärlich behaarte. Eine Atemmaske gehört ebenfalls dazu: «Diese Chemikalien sind hochgiftig», erklärt Bertsch. Neben dem Brahmsrösi stehen Gasflaschen für den Bunsenbrenner. Eine Leiter ist schon aufgestellt, denn die schlimmsten Schäden finden sich am Haaransatz. Der Bronzekrebs liess das Brahmsrösi altern.


Das Brahmsrösi ist nicht die erste Bronzefigur, die der Kunstschmied, Metallrestaurator und Eisenkünstler Roger Bertsch restauriert. Auch das Weltpostdenkmal auf der kleinen Schanze in Bern und das Welttelegrafendenkmal auf dem Helvetiaplatz, die zu zerfallen drohten, stehen dank Bertsch wieder fest auf dem Sockel. Trotz der Erfahrung werde seine Arbeit nicht einfacher: «Ich fange jedes mal wieder bei Null an», sagt Bertsch. Denn je nach Herstellungsort und -zeit, sei die Beschaffenheit von Bronze unterschiedlich. Das Telegrafendenkmal sei zum Beispiel im Ersten Weltkrieg in Italien gegossen worden. «Da habe ich eine halbe Glocke darin gefunden und die Zusammensetzung der Bronze war an jedem Körperteil wieder unterschiedlich.» Gute Bronze, bestehe zu 85 Prozent aus Kupfer und zu 15 Prozent aus Zinn. Dies sei beim Brahmsrösi wahrscheinlich der Fall. Und dies, obwohl die Statue in finanziell schwachen und metallarmen Zeiten - in den Zwischenkriegsjahren - entstand.

Es ist nicht eine klinisch weisse Umgebung, in der die Statue ihre Genesung erfährt. Die alte Industriehalle in Worb, die Bertsch als Werkstatt dient, ist voller Gegenstände. In einer Ecke stapeln sich Triebwerke ausgedienter Kampfflugzeuge, hoch oben ist ein Fahrrad mitsamt eiserner Velofahrerin an einem Regal festgeschraubt. Auf der anderen Seite der Halle steht eine gläserne Vitrine, eine riesige Bronzehand macht einen staunen. «Eine Ersatzhand für das Telegrafendenkmal», erklärt der 49-Jährige.

«Das ist mein Spickzettel», sagt Roger Bertsch und zeigt auf ein geranktes Eisentor. An diesem Original studiert er die Schmiedetechnik alter Meister. Denn Bertsch restauriert nicht nur, sondern schmiedet auch selber. Mit Kunstschmiedfreund Andreas Gerber hat Bertsch zum Beispiel ein geranktes Gruftgitter von 1890 nachgeschmiedet. Und dies mit Methoden wie vor 100 Jahren. So befindet sich im hinteren Teil der Halle eine Feuerstelle, die Esse; ein Amboss steht ihr gegenüber. Unzählige Hämmer hängen an der Wand, mechanische Schmiedegeräte mit Baujahr 1925 ergänzen das Ensemble. Es gebe im Kanton seines Wissens nur noch fünf «richtige» Kunstschmiede, die mit alten Methoden schmiedeten: «In 25 Jahren wird das Schmiedehandwerk verschwunden sein.»

Das Schwierigste an einer Restauration sei, alles auf den ersten Versuch richtig zu machen - und gleichzeitig keine Angst zu haben. «Wenn ich mir überlegen würde, wie teuer diese Objekte sind, könnte ich keinen Finger rühren», sagt er. «Ein Arzt darf ja schliesslich auch keine Angst haben, wenn er Menschen operiert», fährt Roger Bertsch fort und steckt sich eine Zigarette an. Eiserne Menschen zu restaurieren ist wohl so ähnlich, wie richtige zu heilen: reine Nervensache.

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Erstellt: 14.03.2012
Geändert: 14.03.2012
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