Wichtrach - Eine Räuberbande im fremden Heim
Im Kanton Bern arbeiten rund 1100 Tageseltern. Manche nehmen Kinder auch während der Schulferien auf – so etwa Karin Brügger aus Wichtrach.
Der Kinderlärm ist schon von weitem zu hören. Vor der Türe zu Karin Brüggers Wohnung im ersten Stock eines alten Holzhauses in Wichtrach stehen mehrere Paar kleiner Schuhe, durch die offene Tür dringen Freudenschreie nach draussen. Drei der fünf Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren vergnügen sich im Zimmer hinter der Küche. Matratzen liegen kreuz und quer im Raum, die Mädchen und Jungen machen Purzelbäume und Saltos.
Plötzlich wird es still. «Es hat einen Unfall gegeben», sagt ein 10-jähriger Junge zu Karin Brügger, die mit zwei weiteren Knaben am Küchentisch Hausaufgaben erledigt. «So schlimm wird das wohl nicht sein», erwidert sie. Doch die Tränen beim betroffenen Mädchen fliessen bereits – sie hat sich den Kopf an der Wand angestossen. Ein Kühlbeutel und einige Arnikakugeln schaffen Abhilfe.
Seit 9 Jahren Tagesmutter
Ab nächster Woche ist Brügger zusätzlich gefordert. Während für die Schülerinnen und Schüler dann die Sommerferien beginnen, geht ihr Programm unvermindert weiter. Sie ist seit 9 Jahren eine von rund 1100 Tagesmüttern im Kanton Bern und kümmert sich mit einem 70-Prozent-Pensum um vierzehn Kinder jede Woche, maximal fünf gleichzeitig. Im Gegensatz zu den Tagesschulen ist Brüggers Haustüre auch während der Ferien meist offen. «Im Sommer mache ich normalerweise mit meinem Mann und den eigenen drei Kindern eine Woche Ferien. Die restliche Zeit bin ich Tagesmutter», sagt sie. Karin Brügger weiss: Für berufstätige Eltern ist das gerade auch während der Ferienzeit ein nicht mehr wegzudenkendes Angebot. Das zeigt auch die Nachfrage. Von 2010 bis heute ist die Anzahl Betreuungsstunden im Kanton Bern um 17 Prozent gestiegen – auf 1,67 Millionen Stunden. «Freie Plätze sind immer sehr schnell wieder besetzt», sagt die 40-Jährige. Ihre Arbeit rechnet sie über die Kibe Plus AG ab, die Tageseltern und Kita-Plätze in Köniz, Ostermundigen und Münsingen vermittelt. Der Kanton subventioniert einen Grossteil der Stunden, die Eltern beteiligen sich mit einem einkommensabhängigen Betrag.
Distanz wahren
Für Brügger beginnt die Arbeit jeden Tag um 7 Uhr in der Früh. Dann bringen die Eltern die Sprösslinge. Um 18 Uhr werden sie wieder abgeholt. Zur Schule gehen, zu Mittag essen, Hausaufgaben erledigen oder auch spielen – um das alles kümmert sich Brügger. Wenn die Eltern der Tageskinder einverstanden sind, helfen auch die eigenen Kinder im Alter von 10, 14 und 16 Jahren immer mal wieder bei der Betreuung mit.
Das enge Verhältnis zu den fremden Kindern hat auch eine Kehrseite. Denn Ersatzmutter will und darf Brügger nicht sein. «Schwierig wird es, wenn die Kinder am Abend nicht zu den leiblichen Eltern zurückwollen», sagt sie. Einerseits sei das ja ein positives Signal. Dann wüssten Vater und Mutter, dass sich das Kind bei Brügger wohlfühlt. Andererseits tue das vielen auch weh. Deshalb versucht sie, eine gewisse Distanz aufrechtzuerhalten.
Für den Beruf als Tagesmutter hat sich die 40-Jährige nicht aktiv entschieden. Angefangen hat es mit der Betreuung von Nachbarskindern. Nebenbei hat Brügger lange im Service gearbeitet. Irgendwann wurde ihr das zu viel, die gelernte Köchin konzentrierte sich auf ihre Tätigkeit als Tagesmutter. «So arbeite ich zu den gleichen Zeiten wie mein Mann, kann zu Hause für die Kinder da sein und habe manchmal sogar Zeit, um den Haushalt zu erledigen.»
Dass dies nicht immer möglich ist, wird an diesem Nachmittag klar. Ständig ist Brügger beschäftigt. Ein Kind braucht Hilfe bei den Hausaufgaben, ein anders sucht seinen Velohelm, und wieder eines will schon die ganze Zeit in den Garten Trampolin springen gehen. «Also gehen wir», sagt schliesslich Brügger zu dem Jungen. «Aber danach räumen wir auf.» Ab nächster Woche fallen immerhin die Hausaufgaben weg. Dann bleibt mehr Zeit für Ausflüge in die Badi oder Bräteln im Wald.