Werner Tschaggelar: Ein äusserst treuer Gatte

Werner Tschaggelar, der die schweizweit längste Ehe geführt hat, ist 107-jährig gestorben.

Urs Tremp, NZZ am Sonntag

Der Juli 1934 ist ein überdurchschnittlich heisser Monat. Die Zeiten sind unsicher. In Deutschland hat Reichskanzler Adolf Hitler seinen Widersacher Ernst Röhm umbringen lassen. In Österreich wird Bundeskanzler Dollfuss ermordet. Und in Zürich verbietet der Stadtrat politische Demonstrationen. Er befürchtet bürgerkriegsähnliche Zustände. Diesen düsteren Zeichen halten am 12. Juli in der Kirche von Biglen im Kanton Bern der 26-jährige Werner Tschaggelar und die 22-jährige Hanni Rüfenacht ein zuversichtliches Trotzdem entgegen.

Sie versprechen sich ein gemeinsames Leben. Dass ihre Verbindung zur längsten Ehe in der Schweiz werden wird, können weder die Eheleute noch die Hochzeitsgäste ahnen. Auf den Tag genau 79 Jahre wird sie dauern. Hanni Tschaggelar stirbt am Hochzeitstag 2013 – sie ist 102 Jahre alt.

Als Werner Tschaggelar eingeschult wird, bricht gerade der Erste Weltkrieg aus. Der Bub wächst in Worb auf. Der Berner Vorortsgemeinde bleibt er ein Leben lang treu. Im Restaurant Sonne lernt er 1933 an einem Dorffest die Verkäuferin Hanni aus Gümligen kennen. Er ein schöner blonder Mann, sie eine etwas scheue junge Frau. «Es war Liebe auf den ersten Blick», werden beide 75 Jahre später sagen.

Vier Töchter, zehn Enkel und 14 Urenkel sehen die beiden aufwachsen. Und bis zum Tod von Hanni Tschaggelar lebt das Ehepaar in der eigenen Wohnung – und legt sich jede Nacht im gemeinsamen Schlafzimmer ins Doppelbett. «Ich bin zufrieden mit ihr», sagt Werner Tschaggelar wenige Monate vor ihrem Tod. Die Erklärung seiner Frau für die Dauerhaftigkeit der Verbindung ist etwas weniger lakonisch: «Wir haben immer Rücksicht genommen aufeinander, und wir respektieren uns.»

Einfach macht es ihr Werner Tschaggelar nicht immer. Er ärgert sich über vermeintliche Ungerechtigkeiten und über Behördenwillkür und kämpft mit Vehemenz und bis zur Sturheit dagegen an. In Worb gilt er als Behördenschreck, weil er sich in den siebziger Jahren mit allen juristischen Mitteln gegen die «bodenlose Frechheit» wehrt, dass ihm wegen des Baus der neuen Kunsteisbahn die direkte Zufahrt zum Haus abgeschnitten wird. 18 Bundesordner füllt der Schriftwechsel. Einmal ist gar die Polizei im Haus und beschlagnahmt die Schreibmaschine, auf der Tschaggelar die Beschwerden, Protestnoten, Einsprachen und Rekurse tippt.

Tschaggelar verliert den Streit, und mit der Gemeinde versöhnt er sich bis ans Ende des Lebens nicht mehr richtig, obwohl seine Frau still dafür betet. Mit dieser frommen Seite seiner Frau kann der Ehemann allerdings wenig anfangen.

Schreiner hat Tschaggelar gelernt. Später arbeitet er als Werkzeugschärfer. Zeitlebens ist er ein ausgezeichneter Handwerker. «Er kann alles – ausser kochen», sagt seine Frau einmal. Wenn in Worb irgendetwas kaputt ist und geflickt werden muss, ist Werner Tschaggelar zur Stelle. Als Agent einer Versicherung verdient er ein Zubrot. Auch die Eisläufer von der nahen Eisbahn profitieren von Tschaggelars Fähigkeiten: Er schleift die Kufen der Schlittschuhe. Bis heute hängt am Holzschuppen neben Tschaggelars Haus das Schild: «Bitte für Schlittschuhe hier melden.»

Lange Jahre ist Tschaggelar Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Doch als die rote Partei immer grüner wird, geht er auf Distanz. Für seine Generation gehört die uneingeschränkte Mobilität zu den wichtigen Freiheiten für den kleinen Mann. So fährt Tschaggelar Auto bis ins hohe Alter. Er besitzt eine Harley-Davidson und ist Mitglied im Töffklub. Auf Reisen und in die Ferien geht’s per Motorrad oder Auto.

Bis auf die letzten Monate seines Lebens kann Werner Tschaggelar in den eigenen vier Wänden wohnen. Er bezeichnet dies als «grosses Glück». Doch tatsächlich war zu ihren Lebzeiten vor allem auch seine Frau Hanni froh um diese Fügung: «Werner im Altersheim? Da müsste er noch lernen zu gehorchen. Das kann er nicht.»


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Erstellt: 07.06.2015
Geändert: 07.06.2015
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