Walkringen - Wenn sie nicht spielt, bevorzugt sie die Stille

Im Rüttihubelbad ging das gut dotierte Kammermusik-Festival in seine zweite Auflage. Im Zentrum und oft auf der Bühne stand die Geigerin Patricia Kopatchinskaja.

Bruno Zürcher, Wochen-Zeitung
Sie ist schwer zu fassen: Erstens weil sich Patricia Kopatchinskaja am Kammermusik-Festival von vielen Seiten zeigt; zweitens weil sie den ganzen Tag organisiert, spielt und übt, und so kaum Zeit findet, um einem Journalisten Fragen zu beantworten.

Die drei internationalen Preise, die Patricia Kopatchinskaja seit dem Jahr 2000 gewonnen hat, öffneten ihr Türen grosser Bühnen. Sie war unter anderem Solistin mit den Wiener Philharmonikern und dem American Symphony Orchestra. Vergangenen Mittwoch stand Patricia Kopatchinskaja auf der Bühne im Rüttihubelbad und spielte – auf ihrer Geige und als Schauspielerin. Die 27-Jährige verkörperte im Märchen «Die Geschichte vom Affen und dem goldenen Ball» die Prinzessin. Der Part der Schauspielerin dürfte für sie spannender gewesen sein als der musikalische. «So etwas zu spielen macht riesig Spass», meint sie und lacht. «Sonst müssen wir immer so ernst sein. Ich konnte die anderen Musiker schnell überzeugen. Alle wollten mal König, Zauberer oder Polizist spielen.»

Wenn der Affe mit Tönen schiesst

Die Kinder sollen mit dem Märchen für die klassische Musik begeistert werden. Wie soll das gehen? Indem man die Vielseitigkeit der Musik aufzeigt: Der König gibt seine Befehle (auf dem Flügel) klar und unmissverständlich an den Polizisten weiter. Dieser versucht den Affen einzufangen, der den wertvollen goldenen Ball gestohlen hat. Doch dies gelingt dem Polizisten nicht, weil sich der Affe mit schrillen Klängen seiner Klarinette verteidigt. Dann befiehlt der König, dass die Prinzessin Geige lernen muss. Doch der Prinzessin, die übrigens auf ihrer Kindergeige spielt, behagt die Geigerei überhaupt nicht. Ihr Lehrer hat seine liebe Mühe, um sie zu einer Tonleiter zu bewegen. Dementsprechend ächzend fallen die Töne aus – zum Vergnügen der Kinder, die jede gelangweilte Geste der Prinzessin mit einem Lachen quittierten.

Übte sie in jungen Jahren gerne? «Ja, ich war von Beginn weg von der Geige begeistert. Ich wollte nie ein anderes Instrument spielen. Ich weiss, vielen anderen ging das nicht so», erzählt Patricia Kopatchinskaja, deren Eltern in ihrer Heimat Moldawien als Volksmusiker auftreten. Ihre Mutter spielt Geige, ihr Vater Cymbal (ein grosses Hackbrett).

Die Kinder lernen mit der Prinzessin die traurigen Moll-Töne kennen und das heitere Dur. Diese Töne erklingen, als die Prinzessin, nach einigem Üben, gemeinsam mit ihrem Lehrer für den König und die Königin zum Tanz aufspielt. Hat auch sie Musik für jede Lebenssituation? «Wenn ich nicht spiele, bevorzuge ich die Stille», sagt die Violinistin. «Ich konzentriere mich, was die Musik betrifft, ganz auf die Bühne. Meine Welt ist die Bühne.»

Wie erlebt sie ihre Welt im abgelegenen Rüttihubelbad? «Wir sind eine grosse Familie; auch das Publikum. Viele besuchten das Festival bereits im vergangenen Jahr, bei der ersten Ausgabe», sagt Patricia Kopatchinskaja, die seit sechs Jahren in der Schweiz lebt und studiert. Es sei ein besonderes Festival, aus zweierlei Sicht: Die Musiker kennen sich und sind miteinander befreundet. «Normalerweise werden wir zusammengewürfelt. Es kann sein, dass ich mit jemandem spielen muss, denn ich ganz und gar nicht mag.» Zweitens spielen die Musikerinnen und Musiker Stücke, die sie selber interessant finden, was eine grosse Vielfalt garantiert, von Klassik bis hin zu zeitgenössischer Musik.

Die Interpreten stammen aus dem In- und Ausland. Sie kenne sehr viele Musiker, sagt Patricia Kopatchinskaja. «Manche haben auf ein finanziell lukrativeres Angebot verzichtet, um hier dabei zu sein.» Wie im vergangenen Jahr amtet die 27-Jährige als Koordinatorin des Festivals. «Beim ersten Festival habe ich sehr viele Erfahrungen gesammelt. Es war nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dank den Sponsoren ist die finanzielle Situation in diesem Jahr besser. Und, alle helfen einander, die Zusammenarbeit klappt gut.»

«Aff, du hast den Ball gestohlen,…»

Einander helfen, tun auch die Kinder im Märchen. Um den Affen einzufangen, kreisen sie ihn händehaltend ein. So können sie gemeinsam mit den Schauspielern den Räuber des goldenen Balls einfangen. Klar, dass die passende Musik nicht fehlen darf: «Aff, du hast den Ball gestohlen. Gib ihn wieder her! Gib ihn wieder her, sonst kommt der…»

Zwanzig Minuten später sitzt Patricia Kopatchinskaja wieder auf der Bühne des Konzertsaals; Gemeinsam mit zwei Violinisten, einem Cellisten und einem Pianisten. Hans Heinz Schneeberger – dessen Konzert Patricia Kopatchinskaja als den Höhepunkt des Festivals bezeichnet – verabschiedet sich von seinen Musikerkollegen: «Patricia, du bist der Geist des Festivals.» Dann gehts ans Üben für das abendliche Konzert. Das Lachen ist aus ihrem Gesicht verschwunden, sie hat die Schuhe ausgezogen und bespricht sich mit ihren geigenden Kollegen. Der Pianist gib nickend ein Zeichen, Musik erklingt in den leeren Saal. Nach einigen Takten unterbricht der Pianist unvermittelt: «Ihr müsst schärfer einsteigen!» Zweisprachig diskutieren die Musikerin und die Musiker. Zwei Helfer fragen, wann sie die Bühne für das Konzert herrichten sollen. «Fangt nur an, wir üben wohl bis zum Konzert», entgegnet Patricia Kopatchinskaja.

Die Geigerin findet das Rüttihubelbad einen romantischen Ort. Sie hofft, im nächsten Jahr wieder an diesen zurückkehren zu dürfen. Das Festival soll weitergehen, vielleicht sogar ein, zwei Tage länger dauern als bisher. Weitergehen soll auch das Märchen mit dem goldenen Ball. «Wir haben schon Ideen, wie sich die Geschichte weiter entwickeln könnte.»

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Erstellt: 06.01.2005
Geändert: 08.01.2005
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