Walkringen - Ein Lamm überwintert in der Küche
In der Küche der Bauernfamilie Schneider lebt ein junges Schäfchen. Weil das Mutterschaf keine Milch gab, musste das Ehepaar mit dem Schoppen einspringen. Wenn es wärmer wird, kehrt das Jungtier zur Herde zurück.
Wenn Andreas Schneider das Wohnhaus auf seinem Bauernhof in Walkringen betritt, ist aus der Küche im oberen Stockwerk ein Quietschen zu vernehmen. Unverkennbar sind es Freudenschreie eines Tieres. Man denkt an einen kleinen Hund und staunt, wenn oben zwischen den Stäben des Treppengitters das kleine Köpfchen eines Lämmchens zu sehen ist. «Es weiss wohl nicht, dass es ein Lamm ist, es benimmt sich wie ein Hund», sagt Andreas Schneider. «Wann hast du ihm den Schoppen gegeben?», fragt ihn seine Frau Kathrin, als wir um 14 Uhr die Küche betreten. «Um 11 Uhr», sagt er.
Inzwischen heisst es «Meite»
Auf dem Biohof von Kathrin und Andreas Schneider sind in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar zwei Lämmchen zur Welt gekommen. Zwillinge, beides Weibchen. Leider zehn Tage zu früh. Eines überlebte die erste Nacht nicht. Auch dem zweiten Jungtier räumte die Tierärztin keine grossen Überlebenschancen ein. Zum einen, weil es viel zu klein und halb erfroren war, zum andern, weil die Mutter keine Milch produzierte. Andreas und Kathrin Schneider wollten dem Kleinen aber eine Chance geben.
Sogleich installierten sie in ihrer Küche eine Wärmelampe, füllten eine Kiste mit Stroh und besorgten Milchpulver und einen Schnuller. «Es war so klein, dass ich es auf einer Hand tragen konnte», erinnert sich Kathrin Schneider. Besonders die erste Woche sei hart gewesen, sagt die Bäuerin und Lehrerin. «Wir mussten der Kleinen alle zwei bis drei Stunden den Schoppen geben − Tag und Nacht und immer zu zweit.»
Denn das Lämmchen hatte noch keine Saugreflexe entwickelt. So musste ihm die Milch zugeführt werden, alleine schaffte man das nicht, erzählt sie. Er habe sich Sorgen gemacht, sagt Andreas Schneider, denn über den Berg sei das Lämmchen erst nach gut zwei Wochen gewesen. Lange habe es noch unter Atemproblemen gelitten. «Deshalb gaben wir dem Tier auch keinen Namen», sagt er. Inzwischen nennt er das Schäfchen einfach «Meite».
Gemeinsam Fernsehen
Atemprobleme hat das Lämmchen heute, fünf Wochen später, keine mehr, und auch der Saugreflex scheint voll entwickelt. Denn die zwei Deziliter Milch, die Kathrin Schneider dem Jungtier im Schoppen zu trinken gibt, sind innert 15 Sekunden weg. Auch gewachsen ist das Schäfchen. Gut einen halben Meter gross ist es und, wie Kathrin Schneider schätzt, etwa sechs Kilo schwer.
Seit das Lämmchen nur noch tagsüber alle vier Stunden Milch benötigt, ist es für das Ehepaar viel weniger anstrengend. Es habe vor allem einen hohen Unterhaltungswert, sagt Kathrin Schneider. «Am Abend nehmen wir es mit in die Stube und amüsieren uns darüber, wie es umherhüpft und auf das Sofa springt. Manchmal schauen wir auch zusammen fern, zum Beispiel ‹Der Bestatter›», sagt sie.
Wie ein Blick unter den Tisch verrät, ist die «Meite» noch nicht stubenrein. Die kleinen schwarzen Kügelchen sind ganz frisch. Aber schon ist Kathrin Schneider mit dem Besen zur Stelle.
Das Schäfchen erinnert das Ehepaar an die Zeit, als ihre drei Kinder klein waren. Schoppen geben, aufräumen, zerbrechliche Gegenstände und Stromkabel aus der Gefahrenzone verbannen. Andreas Schneider sagt schmunzelnd: «Vor kurzem ist unsere Tochter ausgezogen, das Lamm ist jetzt meine Ersatztochter.»
Wird er loslassen können?
Wie lange das Schäfchen noch in der Küche bleibt, hängt stark vom Wetter ab. Im Moment sei es zu kalt, aber sobald es wärmer werde, werde es zu den anderen sechs Schafen gebracht. Was dem Ehepaar Schneider Sorgen bereitet, ist die Prägung. Das Lämmchen ist nämlich gänzlich auf Andreas Schneider fixiert. Wenn er über den Hof geht, weicht es nicht von seiner Seite. Wie es sich dann in der Herde einleben wird, ist unsicher. Kathrin Schneider sagt: «Und auch ob Andreas dann loslassen kann, ist noch nicht sicher.»