Vielbringen - Das Herz der Milchstrasse
In der Schweiz sind viele Bauernbetriebe aus der Milchwirtschaft ausgestiegen – auch in Vielbringen. Grössere Betriebe, mehr Kühe, mehr Leistung – diese Strategie halten die Bauern für einen Irrweg.
Vielbringen – ein kleines idyllisches Bauerndorf, das zur Gemeinde Worb gehört. 1994 gab es hier ein Dutzend Milchbauern. Jetzt sind es noch neun Landwirtschaftsbetriebe, aber nur noch auf drei Höfen werden Milchkühe gehalten. Zwei Bauern produzieren Biomilch, einer konventionelle Milch. Die Preise sind alles andere als galaktisch, sie sind schon seit Monaten im Keller.
Andreas Steinemann zum Beispiel führt seit 25 Jahren den Hof Brunnmatt, der der Humanus-Stiftung in Rubigen gehört, nach biologisch-dynamischen Grundsätzen. «Als Biobauer bin ich den Schwankungen auf dem Weltmarkt weniger unterworfen», sagt er. Kommt hinzu, dass Steinemann die Milch seiner derzeit 21 Kühe selber zu Quark und anderen Produkten verarbeitet. Damit kann er den Preisdruck, der auch im Biosegment spürbar wird, besser abfedern. «Das bedeutet zwar zusätzliche Arbeit, stellt aber auch einen Teil der Wertschöpfung dar.» Abfüllung und Vertrieb erfolgen durch die Biomilk in Münsingen.
Das Futter für seine Kühe und das Jungvieh produziert Steinemann auf dem eigenen Hof. Nur selten muss er Futter zukaufen, letztes Jahr war dies der Fall, weil der Ertrag wegen Feuchtigkeit zu tief war. Das Braunvieh ist nicht auf maximale Leistung getrimmt, sie können auf die Weide laufen, ohne dass ihnen überdimensionierte Euter in die Quere kommen. «Eine robuste Rasse», sagt Steinemann. Maximale Leistung, sagt er, zahle sich nicht aus. «Hochleistung heisst auch eine tiefere Toleranzgrenze.»
Die Kühe würden eher von Krankheiten geplagt. Zudem sei die hohe Leistung meist durch Futter aus Übersee, zum Beispiel durch Soja aus Südamerika, erkauft. «Das will ich nicht unterstützen.» Neben der Milchwirtschaft baut Steinemann Gemüse an, zudem verfügt er über Wald. Mehrere Standbeine – das heisst, man kippt nicht so schnell um, wenn an einem Bein gesägt wird. «So sind wir weniger krisenanfällig.»
«Eine ungesunde Spirale»
Für Bernhard Ryser, den letzten konventionellen Milchbauer in Vielbringen, ist die Milchproduktion derzeit ein Verlustgeschäft. «Wir verdienen ab einem Milchpreis von 60 Rappen», sagt er. Ist der Milchpreis tief, dann melken einige Bauern auf Teufel komm raus, um am Schluss auf dieselben Einnahmen zu kommen. Ryser gehört nicht zu ihnen. Er drosselt lieber die Produktion, damit nicht ein Teil seiner Liefermenge als C-Milch abgerechnet wird. Das ist die billigste Kategorie, die Milch wird für Produkte, die ausserhalb der EU auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, verwendet.
Seit der Aufhebung der Kontingentierung vor sechs Jahren hat Ryser eine Wellenbewegung beim Milchpreis beobachtet. Der Milchmarkt ist den Entwicklungen im Ausland unterworfen. Auch die Aufgabe des Euro-Mindestkurses habe zu einer Senkung geführt, so Ryser. In seinem Stall stehen rund 2 Dutzend Kühe. Ein Ausbau, wie er von manchen Experten empfohlen wird, kommt für ihn nicht infrage. «Das funktioniert nicht, da kommt man in eine ungesunde Spirale.» Zudem müssen die hohen Investitionen amortisiert werden. Sinken die Preise, dann wird es eng. «Mit den Grossen in der EU können wir sowieso nicht mithalten, man hat immer das Gefühl man sei zu klein, das macht krank.»
Ryser kennt Betriebe mit mehreren 1000 Kühen in Kalifornien und in Holland aus eigener Anschauung. «Nicht nur der Tierschutz leidet, auch die Lebensqualität der Bauern.» Zudem ergibt sich in der kleinräumigen Schweiz ein praktisches Problem. Wer 100 Kühe hält, braucht mehr Land, als er selber besitzt. Er muss also viel Futter zukaufen. Auf der anderen Seite fällt viel mehr Gülle an, als der Bauer auf seinen eigenen Feldern ausbringen kann. Das sei nicht sinnvoll und führe zu zahlreichen Transportfahrten.
Neben der Milchwirtschaft hat Ryser auf die Viehzucht und den Verkauf von Kühen gesetzt. «Ich züchte keine Hochleistungskühe», sagt er. Ryser spricht von «guten und gesunden Kühen». Die Milchleistung pro Jahr liege bei 7000 bis 9000 Litern. Da die Tiere lange lebten, könnten Lebensleistungen von 100 000 Litern und mehr erreicht werden. «Bezüglich Langlebigkeit sind wir in der Schweiz Weltmeister.» Solche Kühe seien auf dem Markt sehr gefragt.
Von den tiefen Milchpreisen will er sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Bald würden die Milchpreise wieder steigen, sagt Ryser (siehe auch Artikel unten). Der Grund: Jetzt sind in den Berggebieten die Kühe wieder auf der Alp. «Die Milch wird für die eigene Käseproduktion verwendet und ist weg vom Markt.»
Im Jahr 2000 auf Bio umgestellt
Der zweite Biobauer im Ort ist Bruno Wermuth, er hat 28 Kühe. Auch das ist eine durchschnittliche Grösse. Wermuth hat vor 15 Jahren auf Bio-Landwirtschaft umgestellt. «Es war absolut der richtige Entscheid», sagt er im Rückblick. Sinkende Preise für konventionell hergestellte Produkte, ausgelaugte Böden, immer mehr Dünger und Chemie – so wollte er nicht mehr weiter bauern.
Er entschloss sich deshalb zur Umstellung, auch weil er sah, dass für Bioprodukte ein Markt vorhanden war. «Der Weg stimmt.» Auch wenn der Druck nun auch die Biomilch erfasst. «Das ist so: Wenn die Preise runtergehen, versucht man auch die Preise für Biomilch zu senken.» Wermuth ist Mitglied und Aufsichtsrat im Biomilchpool, dem etwa 550 Betriebe angeschlossen sind. Die Organisation vermarktet pro Jahr rund 50 Millionen Liter Milch. Andere Biomilchbauern liefern direkt an grosse Verarbeiter wie Emmi oder Cremo.
Einige Bauern treten aus dem Pool aus, weil die Grossen rund 5 Rappen mehr pro Liter zahlen – gegen 80 Rappen. Diese Firmen seien aber vor allem an grossen Biobetrieben in der Nähe des eigenen Standorts interessiert, sagt Wermuth. Die kleinen und eher abseits gelegenen Höfe bleiben dann beim Biomilchpool, so erhöhen sich die Kosten für den Transport. «Für uns zählt auch der Solidaritätsgedanke», sagt Wermuth. Es sei wichtig, dass die Biobauern ein Gegengewicht zu den grossen Verarbeitern bilden könnten. «Ein tiefer Milchpreis ist ja im Interesse der Verarbeiter.»
Störend ist für ihn, dass ein grosser Teil der Wertschöpfung auf dem Weg in den Laden passiert, obwohl der Aufwand vorher geleistet wird. Ein Liter Biomilch beim Grossverteiler kostet zwischen 1.70 und 1.80 Franken. «Sobald die Milch vom Betrieb weg ist, wird richtig Geld damit verdient», sagt Wermuth kritisch. Immerhin scheint der Markt relativ stabil: Biomilch hat eine treue Kundschaft in der Schweiz. Wer Biomilch will, schwenkt nicht auf Konkurrenz aus dem Ausland um.
Milchpreisbaisse
Bauern unter starkem Druck
«Wie lange die Bauern diese Preise durchstehen, ist offen.» Das sagt Donat Schneider von der Handelsorganisation Aaremilch.
Für den Berner Bauernverband (vormals Lobag) ist die Situation auf dem Milchmarkt kritisch. «Die Preise für Industriemilch sind auf einem absoluten Tief», sagt Adrian Affolter, Bereichsleiter Milch. Im März wurden pro Kilo nur noch knapp über 57 Rappen bezahlt. Das sei der tiefste Stand seit Beginn der Erhebungen durch das Bundesamt für Landwirtschaft im Jahr 1999, teilte der Landwirtschaftliche Informationsdienst am letzten Donnerstag mit.
Im April und Mai sind die Preise noch einmal um 3 bis 4 Rappen pro Kilo gefallen. Innert eines Jahres ging der Milchpreis um 14 Rappen pro Kilo zurück. «Die Einnahmen für einen Durchschnittsbetrieb mit 100 000 Kilo Milch pro Jahr würden also um 14 000 Franken sinken.» Allerdings sei die Milchproduktion jeweils in den Monaten April und Mai am höchsten. Bei so tiefen Preisen würden auf längere Sicht wohl viele Bauern aus der Milchproduktion aussteigen, sagt Affolter vom Berner Bauernverband.
Spekulation auf dem Weltmarkt
Bei der Handelsorganisation Aaremilch AG sind rund 2000 Produzenten angeschlossen. «Wie lange die Bauern diese Preise durchstehen, ist offen», sagt Aaremilch-Geschäftsführer Donat Schneider. Wer für die nächsten zwanzig bis dreissig Jahre investiert habe, könne jedoch nicht einfach so seinen Betrieb umstellen. «Eine Möglichkeit ist die Quersubventionierung aus anderen Erwerbszweigen.»
Generell sei zu beobachten, dass der Markt stärker schwanke als früher. Das gelte für alle Rohstoffe und Lebensmittel. «Es wird weltweit mehr damit spekuliert als früher», sagt Schneider. Immerhin gibt es Anzeichen für eine leichte Erholung. Die Aaremilch hat den Abnahmepreis für Industriemilch für den Juni um 2 Rappen auf 55 Rappen erhöht. Für viele Bauern ist das aber noch nicht kostendeckend.