Vechigen: "Das wünscht man niemandem"

Beim Brand im Widiboden haben Elisabeth und Rolf Büschi ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Der Schock sitzt noch immer tief. Aber es gibt auch Hoffnung, wie ein Besuch in ihrem vorübergehenden Daheim zeigt.

Markus Zahno, Berner Zeitung BZ

Rolf Büschi kneift sich in die Wange. «In den ersten Tagen hofft man, das alles sei nur ein böser Traum», sagt er. «Doch irgendwann realisiert man, dass es Realität ist.» In diesem Moment, fügt Elisabeth Büschi an, kämen schlimme Gedanken auf: «Wäre es besser gewesen, wenn wir nicht erwacht wären und nicht überlebt hätten?»

 

Büschis lebten in einem Stöckli im Widiboden oberhalb von Vechigen. Sie hatten die Wohnung im ersten Stock gemietet. Vor zwei Wochen, in der Nacht von Freitag auf Samstag, wurden sie plötzlich aus dem Schlaf gerissen. Der Nachbar, der in der Wohnung unter ihnen wohnte, schrie: «Es brennt! Es brennt!» Elisabeth Büschi schoss auf, ging zum Fenster und sah hohe Flammen. Sofort packte das Paar die beiden Katzen. Rolf Büschi konnte noch das Portemonnaie und das Handy mitnehmen. Elisabeth Büschi eilte in die Küche, wo bereits dichter Rauch war, und ertastete auf dem Küchentisch ihre Brille. Sekunden später flüchtete das Paar mit den Katzen auf die Laube und sprang zwei Meter hinunter in Sicherheit. In Unterwäsche und Finken mussten sie mit ansehen, wie ihr Hab und Gut verbrannte. Die Feuerwehrleute hatten keine Chance, das Stöckli zu retten, konnten aber die umliegenden Gebäude schützen.

 

«Die Angst ist immer da»

 

Seit dem Brand leben Büschis im Hotel Linde in Stettlen. Sie sitzen am Tisch und blicken zurück auf die Tage, an denen sie nach und nach realisierten, was sie alles verloren haben: alle Erinnerungsfotos, zum Beispiel das letzte Foto vom mittlerweile verstorbenen Vater. Die alten Bücher, die von Generation zu Generation weitervererbt wurden. Die Modellhelikopter, Rolf Büschis grosses Hobby. Und, und, und. «Das Schlimmste aber ist der Geruch», sagt der 60-Jährige. Er riecht an seinem Unterarm. «Ich habe immer noch das Gefühl, nach Rauch zu stinken.»

 

Durchzuschlafen ist derzeit ebenfalls unmöglich. «Die Angst, dass wieder etwas passieren könnte, ist im Unterbewusstsein immer da», sagt die 53-jährige Elisabeth Büschi. Deshalb brächte es das Ehepaar nicht übers Herz, für das Gespräch mit der Zeitung nochmals in den Widiboden zurückzukehren. Zu negativ wären die Erinnerungen, die wieder hochkämen.

 

Abermals neu anfangen

 

Rolf Büschi, gelernter Metallbauschlosser, ist frühpensioniert. Elisabeth Büschi, die bereits in verschiedenen Berufen gearbeitet hat, ist im Moment auf Stellensuche. 2016 wanderten die beiden nach Kanada aus. Wenige Monate später wurde Rolf Büschis Mutter ernsthaft krank. Das Ehepaar beschloss, in die Schweiz zurückzukehren. Drei Koffer mit den wichtigsten Utensilien hatten sie beim Neuanfang dabei. Nun sind auch sie weg.

 

Seit dem Brand sind Büschis, wie sie selbst sagen, dünnhäutig geworden. Ein Beispiel: Ein Internetportal vermeldete, beim Brand sei eine Person verletzt worden – Büschis Nachbar, der mit der Ambulanz zur Kontrolle ins Spital gebracht wurde. Doch Rolf und Elisabeth Büschi haben ebenfalls Kohlenmonoxid eingeatmet und wurden in der Brandnacht vor Ort von Sanitätern betreut. «Wie kann man in dieser Situation von nur einem Verletzten schreiben?», fragt Rolf Büschi. Auch die Verhandlungen mit der Autoversicherung – hat das Auto einen Total- oder nur einen Teilschaden? – seien sehr nervenaufreibend. «Das wünscht man niemandem.»

 

Eine Wohnung gefunden

 

«Zum Glück haben wir uns. Und unsere Katzen», sagt Elisabeth Büschi. Sie nimmt die Hand ihres Mannes, macht eine kurze Pause. Die Vechiger Gemeindebehörden hätten vorbildlich gehandelt, sagt Rolf Büschi. Wenige Stunden nach dem Brand waren bereits ein Auto und das Hotelzimmer in der Linde organisiert. Jemand ging mit Büschis einkaufen: Kleider, Handy-Ladegerät und andere notwendige Dinge. «Wir standen so unter Schock, dass wir das unmöglich selbst auf die Reihe bekommen hätten.» Auch das Team der Linde habe ein Lob verdient, sagt Rolf Büschi. «Wir konnten beispielsweise jeden Abend ihren Laptop benutzen, um eine Wohnung zu suchen.»

 

Vor ein paar Tagen sind Büschis fündig geworden. Sie entdeckten eine Wohnung in Oberbalm, vereinbarten einen Besichtigungstermin und hatten vor Ort sofort ein gutes Gefühl. Der Vermieter sicherte ihnen die Wohnung unkompliziert per Handschlag zu. In wenigen Tagen kann das Ehepaar einziehen, «und schon jetzt dürfen wir die Waschmaschine benutzen», sagt Elisabeth Büschi. Solche Gesten sind es, die den Lebensmut wieder zurückbringen. Schritt für Schritt.

 

 

BRANDURSACHE

Seit gestern ist klar, warum das Stöckli im Widiboden gebrannt hat: «Ein unvorsichtiger Umgang mit Kerzen» sei dafür verantwortlich, teilen Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Ausgebrochen ist das Feuer im Erdgeschoss des Stöckli, wie verschiedene Quellen bestätigen. Von dort aus breitete es sich auf das gesamte Gebäude aus. Das Haus wurde beim Brand komplett zerstört, der Schaden beläuft sich auf mehrere Hunderttausend Franken.

 

Im Stöckli gab es drei Mietwohnungen – je eine pro Stockwerk. Der Mann, der in der untersten Wohnung lebte, konnte nach dem Brand bei nahen Verwandten einziehen. Das Ehepaar Büschi lebt in der Linde Stettlen. Die oberste, kürzlich erneuerte Wohnung war zum Brandzeitpunkt nicht bewohnt.

 

Besitzer des Stöckli ist die Familie Moser, die nebenan im Bauernhaus lebt. Ob und in welchem Rahmen das Stöckli wieder aufgebaut werde, sei noch offen, erklärt Vreni Moser. Der Brandfall sei «wie ein böser Traum», sagt auch sie. «Aber letztlich müssen wir froh sein, dass alle Menschen und Tiere überlebt haben.»

 

Die Gemeinde hat für die Betroffenen ein Spendenkonto eingerichtet: Postkonto 30-4498-4, lautend auf Einwohnergemeinde Vechigen, Vermerk «Brandfall Utzigen».

 

[i] Zum News-Artikel: "Utzigen - Kerzen führten zu Brand" vom 14.07.2018....


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Erstellt: 14.07.2018
Geändert: 14.07.2018
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