Vechigen - Das Klassentreffen der Generationen

Seit 300 Jahren lernen in der Gesamtschule Lindental Kinder von der 1. bis zur 9. Stufe in einer einzigen Klasse. Für ein Klassentreffen sind am Samstag ehemalige Schülerinnen und Schüler zurückgekehrt.

Lea Stuber, Berner Zeitung BZ
20 Schulpulte stehen im Klassenzimmer. Zu wenig für alle Schülerinnen und Schüler. Zumindest heute, am Tag des Klassentreffens zu Ehren der 300 Jahre alten Gesamtschule Lindental. 180 ehemalige  Schüler sind der Einladung von Lehrer André Schibli gefolgt und zurück nach Lindental gekommen, an den Ort ihrer Schulzeit. Bei manchen liegt diese bereits 70 Jahre zurück, bei anderen erst 20 oder 30. «Bei uns hatte es noch mehr Pulte», sagt eine Frau mit grauen Haaren. «Oh, der Kachelofen ist weg», stellt ein Mann mit Bart fest. 
 
Eine junge Frau  blättert in einem Schulheft, das sie vor 20 Jahren mit ihrer Klasse gemalt und geschrieben hat. Hinter ihr flimmert auf dem Computerbildschirm verwackelt der Film eines Schulskirennens von 1974. An der Wand hängen Klassenfotos chronologisch geordnet, von 1712 bis 2012.
 
60 Kinder, eine Klasse
 
André Schibli ist der 23. Lehrer im Lindental. Er sagt: «Manche Ehemalige kommen heute widerwillig zurück.» Denn früher war die Gesamtschule ein autoritärer Ort. Dass der Lehrer Kinder mit Prügel bestrafte, war alltäglich. Die grossen Klassen mit bis zu 60 Kindern im Alter von sieben bis sechzehn Jahren – eine Herausforderung für den Lehrer.
 
Heute gehen 19 Kinder bei André Schibli zur Schule. Seit 2005 auch solche, die in einem anderen Schulbezirk wohnen. Damals wurde in der Gemeinde Vechigen die freie Schulwahl eingeführt. Dies, um zu verhindern, dass die Gesamtschule wegen zu weniger Schüler bald schliessen muss. Das Interesse am Unterricht in einer altersgemischten Klasse ist gross: Die Hälfte der Lindentaler Schüler kommt aus Boll, Utzigen oder aus der Umgebung. «Mit unserem Schulmodell bieten wir eine Alternative zum gängigen System», sagt Lehrer Schibli, der auch seine beiden Söhne und die Tochter unterrichtet hat. Pro Stufe sind ein bis drei Schüler in der Klasse, manchmal fehlt ein Jahrgang ganz.
 

Schiblis Biotop

 
An einem langen Holztisch vor der Wandtafel führt Schibli kleine Gruppen von Schülern in ein neues Thema ein, der Rest arbeitet selbstständig. Die Älteren sind selber kleine Lehrer: Sie helfen den Erst- und Zweitklässlern bei deren Aufgaben. «Es ist schön, zu sehen, dass die Grössten nicht die Coolen sein wollen, sondern Verantwortung übernehmen  für die Jüngeren.» Eine grosse Unterstützung ist  das Internet: Die Kinder recherchieren an drei Computern Themen selber.
 

Streng nach Lehrplan unterrichten – das kann Schibli nicht. Dafür wurde zum Beispiel vor 20 Jahren Frühenglisch eingeführt, lange vor den anderen Schulen. Wenn die Grösseren Englisch lernen, können die Kleinen ja mitmachen, war die Idee. Sowieso ist die Gemeinschaft  sehr wichtig: «Wir können gut Kinder aufnehmen, die in einer normalen Klasse Probleme haben.» Die funktionierende Stammklasse sei Vorbild für ein paar schwierigere Kinder: «So leben wir echte Integration.» In eine normale Schule  möchte auch André Schibli nicht mehr zurück, trotz 70-Stunden-Wochen: «Mir gefällt mein kleines Biotop hier.»


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Erstellt: 01.07.2013
Geändert: 01.07.2013
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