USM: Ein System für die Ewigkeit

Zum 13. Mal findet in Langenthal der Designers’ Saturday statt. Der Münsinger Möbelhersteller USM ist seit Beginn beim Design-Event dabei. Was präsentiert eine Firma, die seit fünfzig Jahren scheinbar die gleichen Möbel herstellt? Ein Porträt.

Nina Kobelt / Berner Zeitung BZ
Es ist, als ob man die Kommandobrücke in Raumschiff Enterprise herunterschreiten würde. Der Gang durchs Grossraumbüro bei USM in Münsingen ist kein gewöhnlicher – die Angestellten des Möbelherstellers nennen ihn denn auch Catwalk. Am Ende dieses Leuchtstegs sitzt der Chef. CEO Alexander Schärer überblickt von seinem Schreibtisch aus das ganze Büro, im Rücken eine Böschung, Wiese und ein paar Schafe, die eben von der Alp zurück sind, wie Schärer berichtet. Hell und luftig und angenehm ruhig ists hier im Hauptsitz von USM. Diese Ruhe hat auch etwas mit der Möblierung zu tun: Die besteht logischerweise aus Objekten vom USM-Möbelbausystem. Schlicht, praktisch und eine weltoffene Atmosphäre verströmend.

Vom Gebäude zum Möbel

Auf Schärers Pult steht eine Plastik des Künstlers Ben Vautier mit dem Schriftzug «Parlez-moi, je vous repondrai peut-être». Die habe er aufgestellt, als er die Führung der Firma übernommen habe und die Mitarbeiter ständig mit Fragen zu ihm gekommen seien, grinst Schärer.

Alexander Schärers Urgrossvater gründete die Firma 1885. Als Eisenwarenhandlungs- und Schlossereiunternehmen in Münsingen. Mit Design und Möbelbau hatte diese Firma noch gar nichts zu tun. Damals widmete man sich im Unternehmen einer ganz anderen Branche: Fenstern. Erst mit Schärers Vater Paul kamen die Möbel und damit das legendäre USM-Haller-System. Vater Schärer beauftragte den Architekten Fritz Haller mit dem kompletten Neubau der Fabrik. Das Stahlbausystem-Gebäude lässt sich nach Belieben ausbauen und wird zum Vorbild der Möbel, die dem Berner Unternehmen Weltruhm einbringen werden. Die Philosophie war folgende: Ein Architekt und ein Ingenieur – Schärers Vater – gehen gemeinsam an das Thema Möbel heran. So entstand etwas anderes, Besonderes. Man habe Möbel nicht mehr nur als Kästen angesehen, sondern als etwas, das wachsen kann, so Schärer. Damals wie heute richtet sich USM nach dem Motto «Form folgt Funktion». Die Schränke wurden knapp, «ja minimalistisch» konzipiert: Ein Bundesordner hatte gerade noch Platz. «Manchmal müssen wir bei Weiterentwicklungen richtig hirnen, wie wir das jetzt machen sollen», so Schärer. Dafür kann man heute etwa an eine Theke aus den 60er-Jahren anbauen.

Neues aus dem Alten

Diese für die Ewigkeit geschaffenen Möbel – Regale, Schränke, Tische – basieren auf Kugeln, Verbindungsrohren und Verkleidungselementen. Wird es auf die Dauer nicht langweilig, immer die gleiche Art Möbel herzustellen? Ruht man sich bei USM auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus? «Keine Firma profiliert sich mit Ausruhen», meint Schärer. «Sehen Sie, wir sind eigentlich das Gegenteil von zum Beispiel Microsoft: Die bringen immer Neues, Ausgeklügelteres auf den Markt. Wir bauen auf unserem System auf, von aussen sind diese Änderungen gar nicht immer sichtbar.» Es sei eigentlich schwieriger, ein einfaches Produkt zu machen, findet Schärer. Also verändern sich die USM-Produkte doch? «Wir haben die gleichen Achsenmasse, die Kugel und das Rohr. Aber sonst hat sich fast alles geändert.» Farben, Formen, neue Objekte wie Tische und Linien wie Kitos und USM Display sind hinzugekommen. «Nicht immer sind sie so erfolgreich wie das System Haller», gibt Schärer schmunzelnd zu. Man habe zum Beispiel einen Schlüssel konzipiert, mit dem es möglich hätte sein sollen, einen USM-Kasten ferngesteuert zu öffnen. Erst die zweite Version habe funktioniert, das ersten Modell sei fehlprogrammiert gewesen, und die Möbel seien verschlossen geblieben.

Aber nein, USM beschäftige keine Designer, die «mit wilden Skizzen herumwedeln, wie man sich das so vorstellt». Sondern Ingenieure, die sich mit kreativen Leuten zusammentun.

USM betrieb Nachhaltigkeit, bevor das Wort überhaupt bekannt war. Das habe, so Schärer, auch mit dem Architekten Haller zu tun, der mit Berufskollegen während des Krieges mit wenig Material Möbel für die Amerikaner hergestellt hatte. Diese Nachhaltigkeit wird auch heute noch gross geschrieben: «Je länger ein Produkt nutzbar ist, desto weniger belastet es die Umwelt.» Und nutzbar sind USM-Möbel ziemlich lange, wenn nicht für immer. Die Ästhetik geht dabei natürlich nicht vergessen. «Für mich ist Design ein Grundbedürfnis», sagt Schärer, der Mitglied in einem Gremium beim Moma in New York ist. Dort kann er mitbestimmen, was in die Designsammlung aufgenommen wird.

USM ist seit Beginn des Designers’ Saturday Mitte der Achtzigerjahre dabei. Dieses Jahr sind in Langenthal keine neuen Möbel zu sehen. Sondern eine Inszenierung. Die Grundidee: Unfertige Möbel – es sind von Hand endmontierte USM-Haller-Chromstrukturen mit der typischen Kugel-Rohr-Verbindung – stapeln sich normalerweise in der Fabrik zu wagemutigen Skulpturen. In Langenthal soll eine Skulptur – eingepackt in hauchdünne Folie, die auch zum Schutz der Möbel bei der Auslieferung verwendet wird – verdeutlichen, dass ein USM-Möbelstück ein «Speichermedium» ist, in dem Privates, Wissen und Persönliches aufbewahrt wird. Ganz verzichtet auf modische Trends wird auch bei USM nicht: Das neue iPhone-App mit Raumsimulator wird in Langenthal ebenfalls vorgestellt.

Nur einmal wars zu viel

Topmodern in Langenthal – zeitlos ästhetisch in Münsingen. Auch ausserhalb der Arbeitszeit lebt Alexander Schärer in USM-Möbeln. «Es stehen schon ein paar in meinem Haus herum, aber nicht nur. Ich bin mit ihnen aufgewachsen, und sie sind mir nie verleidet – das spricht ja auch wieder fürs Produkt.» Er habe nur ein einziges Mal erlebt, dass ein Familienmitglied die Nase voll gehabt habe: «In den 70er-Jahren bekam meine Mutter zwar nicht gerade einen Schreikrampf, aber sie rief aus: ‹Ich kann dieses Orange nicht mehr sehen!› Das Haus Schärer sei mit orangen Möbeln vollgestellt gewesen. Die wurden dann mit weissen ausgewechselt.

Im Grossraumbüro herrscht derweil diese Ruhe, die so angenehm ist. Fast scheinen diese Möbel den Lärm zu verschlucken. Auch Schärer fühlt sich nicht gestört inmitten seiner Mitarbeiter. Er kann sich ja auch – laut Künstler Vautier – überlegen, Antwort zu geben, wenn ihm danach ist.

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Erstellt: 05.11.2010
Geändert: 05.11.2010
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