Tom Lüthi: "Ich habe eine tolle Freundin, ich fühle mich wohl"
Am Sonntag startet der 24-jährige Tom Lüthi in Qatar als einer der Favoriten in die Moto2-Saison. Der Emmentaler sagt: "Um Weltmeister zu werden, braucht es auch Glück."
Tom Lüthi, was ist heute für Sie anders als vor fünf Jahren?
Tom Lüthi: In fünf Jahren hat sich sehr viel geändert, das ist im Motorradsport eine halbe Ewigkeit. In erster Linie denke ich daran, dass ich die Saison 2006 als Titelverteidiger der 125er-Klasse in Angriff nahm und viel Rummel um mich herrschte. Ich war keine 20 Jahre alt, heute bin ich in jeder Beziehung reifer.
Wie äussert sich das konkret?
Damals geschah vieles um mich herum einfach so. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Heute arbeite ich bewusster, ich bin lockerer geworden und souveräner. Meine Lebenssituation passt, ich habe eine tolle Freundin, ich fühle mich wohl, das Umfeld und das Team stimmen perfekt. Und natürlich bin ich erfahrener, die Person Tom Lüthi ist als Gesamtpaket auf einer ganz anderen Ebene. Aber ich weiss, dass die sportliche Leistung am Ende entscheidend für die Beurteilung meiner Person ist.
Sind Sie also ein besserer Motorradfahrer als vor fünf Jahren?
Ja, auf jeden Fall. Klar, jetzt könnte man sagen, damals war ich Weltmeister geworden, also war ich besser und erfolgreicher. Doch heute kenne und spüre ich die Maschine besser, ich kann schneller und genauer analysieren, ich bin kompakter und fitter.
Würden Sie denn mit der gleichen Maschine wie damals schneller fahren als heute?
Das ist eine sehr interessante Frage und würde mich auch brennend interessieren (lacht). Aber das ist schwierig zu beantworten, weil ich mich an die 125er-Maschine zuerst wieder gewöhnen müsste. Zudem bin ich heute 64 Kilogramm schwer, damals wog ich rund 57 Kilo. Und der gesamte Sport entwickelt sich ja rasant weiter. Dennoch wage ich zu behaupten, dass ich heute ein besserer und schnellerer Fahrer bin.
Das freut uns, denn so dürfen wir ja als Schlagzeile zu diesem Interview titeln: «Ich werde wieder Weltmeister!»
(lacht erneut) Ich bin vorsichtig geworden mit Prognosen, weil man eben vieles, aber nicht alles beeinflussen kann. Die Trainingsresultate stimmen mich zuversichtlich. Doch die Moto2-Klasse ist auch in dieser Saison extrem ausgeglichen, rund zehn Leute können Rennen gewinnen. Nein, ich werde nicht sagen, dass ich Weltmeister werde. Aber ich weiss, dass ich vorne mitfahren werde. Und ich will mich gegenüber der letzten Saison, als ich am Ende Vierter wurde, verbessern.
Sie wirken ausgeglichen und selbstbewusst wie noch nie...
...das sagen mir auch Leute, die mich sehr gut kennen, das freut und bestätigt mich. Ich weiss, dass ich in bester Verfassung bin und bereit für den nächsten Schritt. Zur privaten und beruflichen Ausgangslage, die wunderbar und ideal ist, kommt eine hervorragende Saisonvorbereitung dazu.
Was haben Sie denn in der langen Winterpause gemacht?
Ich bin fast zwei Monate bis Anfang Februar nicht auf dem Motorrad Gesessen, das ist eher nicht üblich. Früher fuhr ich im Winter oft Motocross in Kalifornien. Diesmal ging es mir darum, Körper und Geist zu pflegen. Das ist mir gelungen. Ich wollte wieder hungrig sein auf die Maschine, und das war ich dann auch. Nach einigen Runden war der Winterrost weggefahren, wie wir sagen. Und meine Lust, Rennen und Titel zu gewinnen, ist grösser denn je. Ich bin heute auch körperlich so stark wie noch nie.
Was und wie haben Sie trainiert?
Ich mag es, auf Parcours gefordert zu werden, und absolvierte viele Übungen zur Kräftigung und um Ausdauer sowie Beweglichkeit zu verbessern. Ausserdem habe ich 3 Kilogramm an Muskeln zugelegt, vor allem im Schulterbereich. Das war mir wichtig, jetzt fühle ich mich besser und sicherer. Diese Muskeln helfen mir im Rennen nicht direkt, aber bei einem Unfall umso mehr. Ich hatte ja manchmal länger, um nach einem Unfall und einer Schulterverletzung wieder in Form zu kommen. Jetzt habe ich die Gewissheit, dass mein Oberkörper mehr aushält.
Können zu viele Muskeln für Sie nicht auch ein Hindernis sein?
Ich bin ja immer noch kein Muskelberg. Es geht nicht darum, an einem Bodybuildingwettbewerb zu gewinnen. Qualität ist wichtiger als Quantität. Zudem habe ich in der Winterpause endlich meine Augenprobleme behoben.
Sie haben sich Kontaktlinsen in die Augen einoperieren lassen.
Ja, es waren im Dezember drei Operationen bei Doktor Walter Aus der Au in Freiburg. Jetzt bin ich erleichtert. In den letzten Jahren waren die Kontaktlinsen vor allem zu Beginn eines Rennens mühsam, weil sie sich verschoben. Vieles sah ich dann verschwommen, und es ist unangenehm, wenn man in diesem Zustand mitten in einem Feld auf eine Kurve zurast. Jetzt sind die Linsen in beiden Augen einoperiert, und damit sind meine Sehprobleme wohl für immer gelöst.
Was machten Sie im Winter sonst noch bis zu den ersten Tests Anfang Februar?
Ich habe in der Winterpause Zeit mit meinen Kollegen verbracht und war eine Woche Ski fahren in Verbier. Das kann mir niemand nehmen. Ich habe in meinen Verträgen eine Klausel drin, dass ich auf die Skier steigen darf in der Pause, das ist mir wichtig. Es ist auch ein guter Ausgleich.
Mehr Muskeln, bessere Augen, erfahrener und besser: Würde Tom Lüthi 1000 Franken auf Interwetten-Fahrer Tom Lüthi als Weltmeister setzen?
Wenn ich auf einen setzen müsste, würde ich natürlich mich nehmen. Es hat aber viele starke Fahrer. Ich denke an Julian Simon, Andrea Iannone, Scott Redding, Marc Marquez oder Kenan Sofuoglu, der 2010 Supersport-Weltmeister wurde, um nur einige zu nennen. Wichtig ist vor allem, dass ich mich konstant in den Top 6 aufhalten kann.
Und in den Qualifyings können Sie sich ja auch noch verbessern.
Das stimmt, da war ich letztes Jahr nicht immer überzeugend. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich keinen Teamkollegen habe, mit dem ich mich besprechen und während des Trainings Details korrigieren kann. Ich bin alleine, da ist es zeitaufwendiger, die perfekte Abstimmung zu finden.
Das heisst, Sie wünschen sich einen Teamkollegen?
Nicht unbedingt, es hat Vor- und Nachteile, alleine zu sein. Ich bin in einem sehr guten Team, wir kennen uns lange, ich kann mit den wichtigsten Leuten auf Deutsch sprechen, das ist gerade an einem Rennwochenende, wenn man schnell auf Probleme reagieren muss, entscheidend. In den Jahren 2007 bis 2009 war das nicht perfekt gelöst, jetzt bin ich zufrieden. Zudem erhoffe ich mir vom neuen Fahrwerk des Schweizer Herstellers Suter einiges, ich bin sehr zufrieden damit. Und wenn ich jetzt mit den Motoren weniger Pech habe als in der letzten Saison, kommt es gut.
2010 hatten Sie während dreier Rennen einen schwachen Motor. Ist das nicht unwahrscheinlich frustrierend, schliesslich sind das ja Einheitsmotoren?
Doch, das war brutal ärgerlich. Das darf nicht passieren und war Pech. Die Motoren von Honda werden ja den Fahrern zugelost und übrigens von einer Schweizer Firma zwischen den Rennen gewartet. Ich hatte in diesen drei GPs auf den Geraden keine Chance. Wir waren wochenlang nicht konkurrenzfähig und zerbrachen uns den Kopf, was wir an der Abstimmung ändern könnten.
Macht es Ihnen als Vollblutracer eigentlich Spass, die Rennen am Ende noch zu analysieren?
Das gehört zum Job und ist manchmal ja auch spannend. Sie fragten am Anfang des Gesprächs, was heute anders sei als vor fünf Jahren. Nun, ich bin jetzt auch ein besserer Analytiker. Das ist eine Fleissarbeit. Manchmal ist es unangenehm, nach einem Rennen, wenn man müde ist und kaputt, sich noch mit den Technikern zu unterhalten. Aber die Unterschiede zwischen den Fahrern sind oft so minim, dass man jede Kleinigkeit ausnutzen muss, um schneller und besser zu sein.
Vor fünf Jahren waren Sie der Medienliebling, Ende 2005 waren Sie zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt worden. Täuscht der Eindruck, oder ist es ruhiger um Sie geworden?
Nachdem ich 2005 Weltmeister geworden war, entstand um mich ein Riesenhype. Ich realisierte das gar nicht richtig und war vielleicht auch ein wenig überfordert mit allem, was da über mich hereinbrach. Heute bin ich gelassener und kenne das Spiel mit den Medien besser. Vielleicht ist es ruhiger geworden, doch ich glaube, dass die Öffentlichkeit und damit die Medien weiter an meinen Leistungen interessiert sind. Und wenn ich, wie erhofft, um den Titel mitfahre, wird auch der Rummel wieder grösser werden.
Letztes Jahr sorgte der tödliche Unfall des Japaners Shoya Tomizawa in der Moto2-Klasse für heftige Schlagzeilen. Hat dieser Vorfall etwas für Sie verändert?
Das war ein grosser Schock für alle in der Szene, auch ich habe mich damit beschäftigt, das ist ja klar. Aber wenn man Angst bekommt, hat man verloren. Respekt ist wichtig, und jeder Rennfahrer weiss genau, was er tut. Es wird immer Unfälle geben. Man muss versuchen, sich so gut wie möglich auf die vielen Gefahren vorzubereiten. Man darf nie an sich zweifeln in diesem Extremsport, sonst ist die Wahrscheinlichkeit zu gross, dass man sich verkrampft, Fehler macht und die Resultate ausbleiben.
Was auch Auswirkungen auf Ihre Zukunft hätte. Um noch einmal auf Ihr bisher bestes Jahr zurückzukommen: Verdienen Sie heute eigentlich mehr als 2005?
Nein, mehr verdiene ich nicht, es bewegt sich im ähnlichen Rahmen, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Viele Leute denken ja, ich sei reich, aber das ist nicht so. Ich will mich nicht beklagen, aber richtig viel Geld verdient man bloss in der MotoGP-Klasse. So gesehen investieren wir immer noch in meine Karriere. Und es ist übrigens nicht so, dass wir bei der Sponsorensuche in diesem Jahr riesige Mühe hätten, wie geschrieben wurde. Aber ich möchte mich nicht zu sehr mit den Finanzen befassen und mich schon gar nicht ausführlich darüber äussern. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe als Fahrer.
Und da sieht Ihr Plan immer noch vor, im nächsten Jahr als Moto2-Weltmeister in die MotoGP-Kategorie aufzusteigen?
Das wäre die Wunschvorstellung, das stimmt, aber man kann nicht alles so weit zum Voraus planen. Um Weltmeister zu werden, braucht es auch Glück. Ich muss weiterhin Tag für Tag und Rennen für Rennen nehmen. Ich glaube aber an meine Fähigkeiten und daran, irgendwann in der MotoGP-Klasse zu fahren.
Bedauern Sie es, nicht Spanier oder Italiener zu sein?
Warum?
Dort ist die Motorradbegeisterung viel grösser als bei uns.
Man bekommt das natürlich mit, wenn man sieht, welches Interesse Fahrer aus diesen Ländern geniessen. Auf der anderen Seite ist die Konkurrenz dort viel grösser, die Spanier zum Beispiel stellen ja derzeit alle drei Weltmeister. Es ist, wie es ist. Als Schweizer habe ich es dafür ruhiger an den Rennen und werde nicht zu sehr abgelenkt. Und wenn ich in diesem Jahr um den Titel fahre, interessieren sich auch die Medien aus der Schweiz und aus anderen Ländern wieder mehr für mich.