Tennis - "Ich schaue mir den Pokal nicht täglich an"
Der Rummel um Severin Lüthi ist nach dem Davis-Cup-Sieg gewaltig. Der 38-jährige Coach erzählt, wieso ihm Thun als Heimathafen so wichtig ist. Und dass er seine Kopie des Davis-Cup-Pokals noch nicht abstauben musste.
Severin Lüthi, seit dem Davis- Cup-Sieg ist der Rummel um Sie riesig. Alle wollen etwas wissen. Welche Fragen können Sie einfach nicht mehr beantworten?
Severin Lüthi: Fragen zur Gefühlswelt.
Wieso?
Ich denke, das hat damit zu tun, dass ich immer noch nicht fassen kann, was passiert ist. Bisher kam ich auch nicht dazu, den Sieg zu geniessen, wie ich es gerne getan hätte. Nach dem Finalwochenende war ich emotional einfach nur kaputt. Alles hat sich in den letzten Wochen hochgeschaukelt. Die Partie gegen Frankreich war der unerreichte Höhepunkt.
Was war anstrengender: die vier Spiele von Roger Federer und Stan Wawrinka oder die Feier- lichkeiten nach dem Triumph?
Die Vorbereitungen haben enorm viel Energie erfordert. Ich spreche dabei nicht nur von den Tagen vor dem Finale, sondern von den Wochen, Monaten, ja Jahren zuvor. Der Erfolg gründet auf der Aufbauarbeit von mehre- ren Jahren. Besonders intensiv erlebte ich auch die Tage vor dem ersten Spiel. Alles in Lille war eine Nummer grösser, als wir es gewohnt sind. Die Aufmerksamkeit war immens, der Druck enorm. Auch wenn ich im Vorfeld betont habe, dass wir bereits eine tolle Saison gespielt haben, wäre alles ohne Sieg nur halb so viel wert gewesen.
Den Verlierer vergisst man schnell . . .
Genau. Wer erinnert sich in ein paar Jahren noch, wer Finalgegner war? Der Sieger bleibt hingegen in Erinnerung. Die Spiele an und für sich empfand ich dann als gar nicht so anstrengend. Ich war gut vorbereitet. Zudem waren wir – mit Ausnahme der Partie von Roger Federer gegen Gaël Monfils – immer gut im Spiel. Und ja, wir haben in der Kabine den Sieg ausgiebig gefeiert. Aber ehrlich gesagt wäre ich spätestens nach dem offiziellen Teil nur noch gerne ins Bett. Das bin ich aber nicht (lacht verschmitzt).
In den Tagen vor dem Final kam viel zusammen. Roger Federer hatte Rückenprobleme, und dann gab es auch noch den Zwist zwischen ihm und Stan Wawrinka. Sie blieben äusserlich stets ruhig. Aber wie sah es in Ihnen drin aus?
Am Ende geht es immer darum, das Beste aus einer Situation zu machen. Im Fall von Roger Fede- rers Rücken konnten wir nur alles Erdenkliche unternehmen, damit er spielen kann. Die Aus- gangslage war klar: Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft. Der Streit zwischen Federer und Wawrinka war bei uns ohnehin kein grosses Thema. Ich bemühe mich immer, nach vorne zu blicken. Denn die Zukunft kann ich beeinflussen, nicht die Vergangenheit. Als Coach ist es enorm wichtig, dass du nicht in Panik ausbrichst, sondern immer die Ruhe bewahrst. Ich glaubte jederzeit, dass wir es schaffen können. Deshalb war meine Ruhe nie gespielt.
Als Coach von Roger Federer haben Sie praktisch alles gewonnen, was es im Tenniszirkus zu gewinnen gibt. Jetzt kommt noch der Davis-Cup dazu. Welche reizvolle Herausforderung kann es überhaupt noch geben?
Die Frage habe ich mir in der Tat auch schon gestellt. Es gibt aber immer neue Ziele, die man sich stecken kann. So kann es bei- spielsweise eine Challenge sein, einen jungen Spieler an die Weltspitze zu führen. Manchmal ist es in diesem kurzlebigen Geschäft auch besser, sich nicht unnötig den Kopf über die Zukunft zu zerbrechen. Denn morgen kann alles bereits wieder anders sein.
Sie betonten immer, wie wichtig Ihnen der Davis-Cup ist. Stauben Sie nun Ihre Kopie des Davis- Cup-Pokals täglich ab?
Bisher war das noch nicht nötig (lacht). Im Ernst: Mir bedeutet der Sieg viel, weil ich weiss, was dahintersteckt. Es ist toll, dass wir das als Team erreichen konnten. Darauf bin ich sehr stolz. Meine kleine Trophäe kriegt auf jeden Fall einen Ehrenplatz, aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich sie jeden Tag stundenlang anschaue und mir sage, was für ein cooler Typ ich bin. Schön ist, dass das Original jetzt mindestens ein Jahr bei Swiss Tennis in Biel steht. Ich hoffe, dass der Pokal viele Leute inspiriert.
Sie agieren gerne im Hintergrund. Nach dem Sieg werden Sie aber unweigerlich vielerorts erkannt. Sehen Sie die Thuner in den nächsten Wochen nur noch mit Mantel, Sonnenbrille
und Hut durch die Innenstadt schlendern?
Ich werde aktuell öfter erkannt, das stimmt. Aber zu Roger Federer ist dies kein Vergleich. Zudem empfinde ich es auch als Zeichen der Anerkennung, wenn ich von Menschen spontan angesprochen werde. Wenn der Rummel dann wieder nachlässt, macht mich dies auch nicht unglücklich.
Heuer waren Sie 230 Tage unterwegs. Wie wichtig ist Ihnen Thun als Heimathafen?
Thun bedeutet für mich Heimat. Hier lebe ich mit meiner Freundin in einer tollen Wohnung. In Thun kann ich auftanken, Freunde treffen. Ich freue mich immer, nach Thun zurückzukommen.
[i] Severin Lüthi: Hansdampf in allen Gassen
Severin Lüthi (38) wuchs in Stettlen auf. Mit 17 Jahren wurde er Schweizer Meister, hängte wenig später aber sein Racket an den Nagel. Lüthi blieb dem Tennis jedoch treu. Er wurde zuerst Fed-Cup- und später Davis-Cup-Captain. Seit 2007 tingelt er mit Roger Federer um die Welt – als Coach, Vertrauter und manchmal auch als Babysitter. Daneben berät er Stan Wawrinka und betreut hoffnungsvolle Talente.