Tägertschi - Festen mal ganz ohne Strom

Es geht auch ohne: Zur Feier von 100 Jahren Strom in Tägertschi verzichteten über 150 festfreudige Tägertscher auf ebendiesen.

Elias Rüegsegger, Berner Zeitung BZ
Das hat nicht einmal Ruedi Stettler (86) erlebt. Vor 100 Jahren brannte in Tägertschi die erste Lampe, das Stromnetz der BKW versorgte nun auch diese Gemeinde. «Ein Jahr später, und man hätte das Ende des Ersten Weltkrieges abwarten müssen», um die kleine Gemeinde ob Münsingen ans Netz anzuschliessen, weiss der älteste Tägertscher. Dank seiner Idee steigt in Tägertschi auf dem Schulhausplatz endlich wieder ein Dorffest. Nicht irgendeines, sondern eines ohne – ohne Strom.

Seit Frühling wurde das Fest geplant, erklärt Peter Baumann, Gemeinderat und OK-Mitglied. Die Bernischen Kraftwerke (BKW) unterstützen das Fest, meint Baumann, «ein Glücksfall». Die BKW ist dafür beim Dorffest omnipräsent und nutzt den Anlass zu Marketingzwecken.

 

Ausnahme bei Bratwürsten


Das Motto «Festen ohne Strom» zieht sich vom Nachmittag bis in die frühen Morgenstunden durch. Angestellte der BKW versuchen mit Minikraftwerken, Grafiken zum täglichen Stromverbrauch und Broschüren über die Stromversorgung ihren Kunden nah zu sein. «Der Strom, den du brauchst, muss im gleichen Moment irgendwo produziert werden», erklärt Thomas Jaggi vom Schulangebot «Watt’s up» der BKW dem 13-jährigen Joshua. Mit einem Fahrrad können Sportliche eine Turbine betreiben. Der dabei produzierte Strom fliesst durch ein Würstchen, das sich dadurch erwärmt. Nach drei Minuten können die verbrannten Kalorien dem Körper mit dem Hotdog wieder zugeführt werden.

 

Die Verpflegung ist auch sonst gratis. «Nur für den Alkohol verlangen wir etwas», sagt Gemeindepräsident Urs Schenker. Man wolle ja kein Gelage. Für die Kühlung der Getränke mussten die Tägertscher eine unkonventionelle Lösung ins Auge fassen: Abfalleis aus der Eishalle in Worb hält die Getränke kühl. «Nur für die Bratwürste mussten wir eine Ausnahme machen», gibt Peter Baumann zu und verweist auf einen Kühlschrank.

 

Mikrofon verboten


Urs Schenker steht vor dem Festzelt und setzt zu einer kleinen Ansprache an, «eine richtige Rede sei das nicht». Die 426-Seelen-Gemeinde sei stolz, ein solches Fest veranstalten zu können. Dank dem OK, Ruedi Stettler und dem Frauenverein. «Wer soll all die Kuchen bloss essen?» Und dank dem Sponsor: «Wir haben schliesslich auch 100 Jahre den Strom von der BKW gekauft.» Der Gemeindepräsident spricht laut, dennoch können ihn einige nicht hören. «Ein Mikrofon kann ich halt heute nicht brauchen», erklärt Schenker. Ohne Strom funktioniert das nicht.

Manuela Küng und Christina Rothenbühler, beide 15 Jahre alt, kündigen durchs batteriebetriebene Megafon – hier wird eine kleine Ausnahme gemacht – dem Vertreter der BKW an: «Er ist verantwortlich dafür, dass wir hier eine stabile Stromversorgung haben.» Roman Hellbach, er ohne Megafon: «Vor 100 Jahren produzierten wir 49 Gigawattstunden Strom, heute sind es 225-mal mehr.» Er spricht von intelligenteren Stromnetzen, dezentralen Kraftwerken und der von der Politik diskutierten Energiewende.

 

Eine Bratwurst vom Holzgrill, ein eisgekühltes Rivella und einen unverstärkten Jodel später sitzen die Tägertscher im Dunkeln. Öllampen statt Neonröhren, Kerzen statt Taschenlampen; die Festbänke sind gut besetzt, die Stimmung ist ausgelassen. Peter Baumann ist zufrieden, «sogar mehr als die erwarteten 150 Leute sind gekommen», sagt er. Die am Vorabend getestete Beleuchtung, ganz ohne Strom, funktioniert. «Isch doch romantisch», meint Baumann, über den vollen Schulhausplatz blickend.

 

Der Geruch des im Gasofen gebrutzelten Raclettes, das an kühlere Tage erinnert, liegt in der Luft. Ein Dorffest eben, nur eben eines ohne.

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Erstellt: 19.08.2013
Geändert: 19.08.2013
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