FDP-Initiative in Stettlen: Mehr Mitbestimmung oder Verwässerung der Demokratie?
Die Initiative der FDP Stettlen-Deisswil für die Einführung einer Geschäftsprüfungskommission ist mit 260 Unterschriften zustande gekommen. Der Gemeinderat reagiert skeptisch, muss sich aber dennoch um das Thema kümmern.
In Stettlen wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Kommissionen abgeschafft, zuletzt die Sicherheits- und die Schulkommission. Heute gibt es nur noch die Hochbaukommission.
"Zwei Gemeindeversammlungen sind wenig"
Das sei einer der Gründe für die Initiative zur Einführung einer Geschäftsprüfungskommission (GPK), schreibt die FDP in einer Mitteilung. "Dadurch hat sich die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger und gleichzeitig auch die Kontrolle und Begleitung des Gemeinderats verändert." Zwei Gemeindeversammlungen pro Jahr seien wenig, die Diskussion in den Kommissionen fehle.
Mit dem Einreichen der 260 Unterschriften liegt der Ball nun beim Gemeinderat. Gemnäss Initiativtext muss er gemeinsam mit den Ortsparteien einen Vorschlag zur Umsetzung machen. Dafür wird eine Anpassung des Gemeindereglements nötig sein. Darüber abstimmen wird die Gemeindeversammlung.
"Verwässerung der Demokratie"
"Die ersten Reaktionen im Gemeinderat sind eher skeptisch", sagt Gemeindepräsident Lorenz Hess (Die Mitte). "Die GPK ist grundsätzlich ein parlamentarisches Instrument und es ist nicht klar, was genau ihr Platz wäre zwischen der Gemeindeversammlung und dem Gemeinderat." Der Ort, um sie einzubringen, sei in Stettlen die Gemeindeversammlung.
"Ich sehe das ein bisschen als eine Verwässerung der direkten Demokratie", sagt Hess. Im politischen Prozess werde die zusätzliche Runde über die GPK Zeit kosten und sei zudem für die Verwaltung ein Aufwand. "Eine GPK hat ja kein eigenes Sekretariat und wird immer administrative Unterstützung brauchen."
Ein "Spiegelgremium"
Die Aufgabe einer Geschäftsprüfungskommission (GPK) besteht in der politischen Oberaufsicht über die Exekutive, hier über den Gemeinderat. Diesem auf die Finger zu schauen, darum gehe es aber nicht, so Peter Masciadri, Präsident der FDP Stettlen. "Es soll eine Art 'Spiegelgremium' sein, wo man grössere Geschäfte besprechen und kritisch hinterfragen kann." Die GPK soll dabei unterstützend wirken.
In der Region Bern-Ost führen viele Gemeinden eine GPK. Das gilt für Worb und Münsingen, die ein Gemeindeparlament haben, für mittlere Gemeinden wie Grosshöchstetten, Konolfingen, Bolligen, aber auch Vechigen, Rubigen und Walkringen haben eine, wobei nicht alle gleich aktiv sind. Andere Gemeinden, zum Beispiel Biglen, haben eine Finanzkommission, einige auch beides.
Hohe Obergrenzen in Stettlen
Ein weiterer Grund für die Initiative seien die vergleichsweise hohen Finanzkompetenzen in der Gemeinde Stettlen, schreibt die FDP. So kann der Gemeinderat einmalige Ausgaben bis 400'000 Franken beschliessen, wobei ab 200'000 das Referendum ergriffen werden kann. Was 400'000 Franken übersteigt, muss vor die Gemeindeversammlung.
Das ist tatsächlich eher viel. In den meisten Gemeinden beträgt die Obergrenze für den Gemeinderat 200'000 Franken, meist mit fakultativem Referendum ab 100'000 Franken. Über höhere Beträge entscheidet die Gemeindeversammlung. Oft ist auch die Kompetenz der Gemeindeversammlung beschränkt. So müssen Kredite etwa in Grosshöchstetten und Vechigen ab einer Million, in Rubigen ab 1,5 Millionen zwingend an der Urne abgesegnet werden. In Stettlen gibt es diese Obergrenze für die Gemeindeversammlung nicht.
Die hohen Finanzkompetenzen seien insbesondere in der aktuellen, angespannten Finanzlage der Gemeinde Stettlen (BERN-OST berichtete.) ein Problem, so Masciadri. Rund um die Ablehnung des Budgets 2021 habe sich gezeigt, dass Bürger:innen oft Vorbehalte hätten gegenüber einzelnen Geschäften, die der Gemeinderat beschlossen hatte. Um diese zu thematisieren, sei die Ablehnung des Budgets zurzeit die einzige Möglichkeit. Hier soll die GPK Abhilfe schaffen, indem sie sich die einzelnen Geschäfte genauer anschaut.
Diskutieren, was sinnvoll ist
Wenn es vor allem um die Kredite geht, warum fordert die FDP nicht eine Finanzkommission? Eine Finanzkommission behandle nur rein den Geldaspekt bei Geschäften, erklärt Andreas Hostettler, FDP-Vorstandsmitglied und federführend bei der Initiative. "Eine GPK würde sich auch inhaltlich mit den Projekten beschäftigen. Zum Beispiel würde sie nicht nur über den Kredit für ein Schulhaus diskutieren, sondern auch darüber, ob der Bau an sich sinnvoll ist."
Nicht genügend Unterschriften kamen für die zweite Initiative der FDP zusammen, mit dem sie den Wahlmodus ändern und das Proporzsystem* einführen wollte. "Das war auch unter Bürgerlichen umstritten", sagt Peter Masciadri. Die FDP habe die 200 Unterschriften – nötig wären 230 – allerdings trotzdem eingereicht, in der Hoffnung, dass sich der Gemeinderat dazu Gedanken mache.
[i] * Im Majorzsystem (Mehrheitswahl) werden Personen gewählt. Wer die meisten Stimmen hat, ist gewählt. Beispiel: Bundesrat. Im Proporzsystem (Verhältniswahl) werden Parteien gewählt. Die Sitze werden nach Parteistärke verteilt. Die Stimmen für die einzelne Person spielen nur parteiintern eine Rolle. Beispiel: Nationalrat.