Stettlen - "Wir wollen keine zweigeteilte Gemeinde werden"

Durch die Umnutzung des Bernaparks könnte die Gemeinde in naher Zukunft bis zu 2000 neue Einwohner erhalten. Das birgt insbesondere bezüglich Infrastrukturkosten gewisse Risiken. Wie geht Stettlen damit um?

Quentin Schlapbach, Berner Zeitung BZ

Der Blick aus dem Zugfenster zeigt im Bernapark ein emsiges Treiben. Es ist bereits am Eindunkeln, aber noch immer sind auf dem Gelände viele Männer in orangen Leuchtwesten zu sehen. Hier, am Standort der ehemaligen Kartonfabrik, soll bald Grosses entstehen. Wohnungen für 2000 Menschen und Gewerbe für 5000 Arbeitnehmer: So lautete die erste – mittlerweile etwas redimensionierte – Vision von Hans-Ulrich Müller. Der Investor übernahm das Areal 2010 samt Belegschaft, als die Kartonfabrik Knall auf Fall schliessen musste.

Im Frühling dieses Jahres kam nun endlich die erste Bauetappe vors Volk. Die Umzonung wurde von der Gemeindeversammlung Stettlens ohne Gegenstimme gutgeheissen. Für Investor Müller war es «ein Freudentag».

Zauberwort Etappierung

Die Gemeindeversammlung im März war aber nicht nur für Müller ein Tag der Wahrheit, sondern auch für Lorenz Hess. Der BDP-Nationalrat präsidiert Stettlen seit 16 Jahren. Die Schliessung der Kartonfabrik und die anschliessende Übernahme durch Hans-Ulrich Müller gehörten zu den prägenden Ereignissen seiner Amtszeit. Die Vision des Investors, ein dicht bebautes Wohn- und Arbeitsquartier, war zu Beginn aber nicht allen Einwohnern Stettlens geheuer. Vor allem das starke Bevölkerungswachstum von heute 3000 auf dereinst 5000 Einwohner stiess auf Skepsis. «Viele befürchteten, dass das Projekt die Gemeinde Geld kosten würde», sagt Hess.

Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr. Das kantonale Amt für Gemeinden und Raumordnung zählt sogenannte «Sprungkosten für Infrastrukturen» zu den möglichen Risiken, die grosse, verdichtete Überbauungen mit sich bringen.

Mögliche Probleme gibt es viele: In der Schule hat es plötzlich mehr Klassen als Klassenzimmer; auf den Strassen bilden sich Staus, weil das Verkehrsnetz nicht mehr genügt; die Sportvereine müssen Trainings streichen, weil die Turnhalle dauerbelegt ist. Die betroffenen Gemeinden sind von einem auf den anderen Tag gezwungen, kräftig in die Infrastruktur zu investieren. Und das heisst: Die Steuern gehen hoch, die Schulden nehmen zu.

Lorenz Hess sagt, dass man diesen Aspekt in der Planung mit Eigentümer Hans-Ulrich Müller berücksichtigt hat. Das Schlüsselwort lautet Etappierung. «Die erste Bauetappe wurde extra so portioniert, dass wir das Wachstum mit der bestehenden Infrastruktur bewältigen können.»

Viele neue Steuerzahler

Wohnraum für 340 neue Einwohner soll in dieser ersten Phase entstehen. Auf eine Mehrwertabschöpfung wurde aber verzichtet. Mehrwertabschöpfungen sind immer dann möglich, wenn eine Umzonung das Grundstück wertvoller macht. Das war bei dieser ersten Bauetappe auch der Fall. Jedoch wurden die hohen Anfangsinvestitionen von Müller berücksichtigt. «Bei einer nächsten Bauetappe wird die Lage wieder neu beurteilt», sagt Hess.

Klar ist: Einen kompletten Verzicht auf die Mehrwertabschöpfung kann sich die Gemeinde fast nicht erlauben. Wenn die Bevölkerungszahl ein kritisches Mass übersteigt, werden Investitionen in die Infrastruktur zwingend – Stichwort Schulraum. Und da ist die Mehrwertabschöpfung ein gutes Instrument dafür, solche Projekte mitzufinanzieren. Hess ist aber ohnehin zuversichtlich, dass seine Gemeinde vom Bernapark profitieren wird. «Es werden viele neue Steuerzahler kommen. Auch Hans-Ulrich Müllers Ziel ist, dass Stettlen die Steuern künftig senken kann.»

Der soziokulturelle Aspekt

Für Lorenz Hess zählt aber nicht nur der finanzielle, sondern auch der soziokulturelle Aspekt. «Wir wollen keine zweigeteilte Gemeinde werden», sagt er klar. Im Fall des Bernaparks entsteht nicht nur ein neues Quartier, sondern ein ganzer Ortsteil. Die Gefahr besteht, dass der alte und der neue Ortsteil fortan eine Koexistenz führen. In verschiedenen Workshops wurden die Bevölkerung und das ansässige Gewerbe dazu animiert, beim Areal mitzuwirken, damit die Ortsteile «durchlässig» werden. Lorenz Hess ist sich aber der begrenzten Möglichkeiten einer Gemeindebehörde in diesem Bereich bewusst. «Alles können wir nicht planen.»


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Erstellt: 24.11.2016
Geändert: 24.11.2016
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