Stettlen - Mit der Pinzette der Zeit auf der Spur

Anita Mühlematter sorgt dafür, dass Uhren wieder richtig ticken. Die Sekunden, Minuten und Stunden sind in ihrem Beruf omnipräsent. Allzu viel denkt jedoch auch die Uhrmacherin nicht darüber nach, wie die Zeit verfliesst.

Lucia Probst / Berner Zeitung BZ
Das langsame und ruhige Ticken einer Pendeluhr an der Wand: Es ist Anita Mühlematter am liebsten. Die Hände der 43-jährigen Uhrmacherin schwingen in ihrem winzigen Atelier durch die Luft. «Je länger ein Pendel ist, desto langsamer schwingt es.» Sehr beruhigend findet Mühlematter das. Und fügt sogleich an: «Natürlich ist es für mich immer schön, wenn Uhren überhaupt wieder ticken.» Bis es so weit ist, ist oft viel Geschicklichkeit gefragt. Die Lupe am Brillenglas montiert, sitzt Mühlematter am Werktisch ihres winzigen Ateliers, das sie sich vor sechs Jahren daheim in einem ehemaligen Bauernhaus in Stettlen eingerichtet hat. Sie macht sich an einer Wanduhr aus den 1920er-Jahren zu schaffen. Als Erstes entfernt sie das Zifferblatt aus Emaille und spannt die Feder ab. «Die ist nicht schlecht ‹zwäg›», sagt Mühlematter nach einem ersten prüfenden Blick ins Uhrwerk. Weder Rost noch allzu viel Öl ist auszumachen. Das mit dem Öl ist so eine Sache: Verzweifelte Uhrenbesitzer pflegen es teils in rauen Mengen in ein Uhrwerk zu tröpfeln, um dieses wieder zum Laufen zu bringen. «Aber das bringt gar nicht viel, es schadet dem Uhrwerk eher. Öl braucht es nur in den Lagern», sagt die Expertin.

Die Symbolik des Tickens

Meist holt Mühlematter die Uhren zu Hause bei den Besitzern ab und bringt sie nach der Reparatur wieder zurück. Denn nur eine Uhr, die auch richtig aufgehängt ist, tickt richtig. «Uhren sind mit Erinnerungen verknüpft, für viele Leute ist es ein wichtiges Symbol, dass geschenkte Uhren oder Erbstücke aus der Familie wieder funktionieren.», erzählt die Uhrmacherin. Oft erfährt sie durch ihre Arbeit einiges aus dem Leben ihrer Kundschaft. «Kaffee trinken und Kuchen essen gehört dazu», erzählt Mühlematter.

Vor allem alte Uhren haben es ihr angetan. An ihnen hat sie «extrem Freude». Die Uhrmacherin zieht zwei Wanduhren mit einer geprägten Messingverkleidung hervor, die in Plastikkisten unter dem Tisch liegen. Die Uhren stammen aus dem 18. Jahrhundert und warten darauf, geflickt zu werden. «Oft sind die Uhrwerke etwas ausgeleiert. Das lässt sich aber gut beheben, wenn ich die Lager für die Räder ersetze.» Macht sich Anita Mühlematter an so einer alten Uhr zu schaffen, denkt sie manchmal auch über deren Geschichte nach. Darüber, was die Uhr wohl schon alles erlebt haben mag in der Stube, wo sie hängt.

Flicken mit Erfindergeist

Uhrmacherin sei sie per Zufall geworden, sagt Mühlematter, die an der Lenk aufgewachsen ist. Sie habe etwas Handwerkliches lernen wollen. Aber es war nicht so, dass sie schon früh einen speziellen Bezug zu Uhren gehabt hätte. Heute jedoch schaut sie Menschen oft zuerst aufs Handgelenk. «Eine Uhr sagt schon etwas aus über eine Person.» Mühlematter zieht den Ärmel ihrer Faserpelzjacke zurück und lacht: Sie selbst trägt an diesem Morgen keine. Überhaupt findet sie: «Ich bin keine typische Uhrmacherin.» Etwas chaotisch veranlagt sei sie. Die pingelige Ordnung, die es im Umgang mit Uhren braucht, damit kein Teilchen verloren geht, musste sie sich antrainieren. «Dafür tüftle ich gerne, das hilft einem oft auch.» Mühlematter zieht ein Plastikschälchen hervor. Darin liegen filigranste Teilchen einer alten Damenuhr. Fast nur mit der Pinzette sind die Rädchen greifbar. Noch fehlt ein Ersatzteilchen. Die Schubladen im Atelier sind voll mit Klein- und Kleinstteilchen. Passt keines, macht sich Anita Mühlematter selbst an ihren Werkbänken zu schaffen. Schleift und bohrt – bis das Teilchen hergestellt ist.

Präzision mit Grenzen

Neben Mühlematters Arbeitstisch tickt eine alte Kuckucksuhr. Hinter ihr an der Wand schnurrt ein Uhrenbeweger für automatische Armbanduhren, die aufgezogen werden müssen – und tönt dabei wie ein Wasserkocher. Anita Mühlematter hört ihn längst nicht mehr. Gedanken über die Zeit? Das mache sie sich gar nicht so oft, sagt die Uhrmacherin. Manche Leute, die mit Uhren arbeiten, würden extrem präzise Zeitvorstellungen entwickeln. «Mir persönlich spielt es keine grosse Rolle, ob meine Uhr eine Sekunde vor- oder nachgeht.» Die alten Uhren seien meist eh nicht so genau. «Früher war es auch nicht so wichtig, ob es jetzt eine Minute früher oder später war.»

www.uhrenateliermuehlematter.ch

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Erstellt: 30.12.2011
Geändert: 30.12.2011
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