Stettlen - Jetzt steht ihre Sprach-Burg auf Fels
Vor 17 Jahren kam sie von Tschechien in die Schweiz. Um ihre Sprachkenntnisse zu festigen, hat Regina Bircher einen Schreibkurs besucht – und mit ihrer Geschichte einen deutschen Literaturwettbewerb gewonnen.
Elias Rüeggsegger, Berner Zeitung BZ
Regina Bircher macht noch einen kleinen Schritt zur Seite, so ist sie zwischen den Sonnenblumen beim Fototermin gut zu sehen. Sie trägt ein selbst genähtes Kleid, hat ein Tattoo unterhalb der linken Schulter. Es zeigt unter anderem eine Sonnenblume. Wie ihre Lieblingsblumen auf dem Feld in Stettlen ist Regina Bircher aufgeblüht – in der deutschen Sprache.
Die Tschechin kam «wegen der grossen Liebe» in die Schweiz. Schon von Beginn an habe sie Hochdeutsch gesprochen. Als sich Bircher von ihrem Mann trennte, war sie plötzlich alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Trotz ihrem Vollzeitjob sei es nicht einfach, die Familie finanziell über Wasser zu halten, so Regina Bircher. «Meine Familie hat mir aber immer Halt und Freiheit gegeben.» Sie mauserte sich beruflich zur Geschäftsführerin bei Press & Books mit 15 Angestellten im Bahnhof Bern. Hier zahle sich aus, dass sie in Tschechien Betriebsmanagement studiert habe.
Sie könne mit allen gut kommunizieren, so Bircher. «Als ich aufhörte, Tschechisch zu denken, war mir die deutsche Sprache noch näher.» So habe sie ihre Sprachburg aufbauen können. Doch für ihre Burg habe ihr noch «der Fels darunter gefehlt». Sie beherrsche ihre Muttersprache und Russisch perfekt, «das Gleiche wollte ich auch in Deutsch können».
Gefühlen eine Gestalt geben
Bis vor einem Jahr korrigierte ihre Tochter sämtliche Briefe. «Diese Abhängigkeit hat mich belastet», gibt Regina Bircher zu. Für Protokolle aus Mitarbeitergesprächen habe sie viel Zeit gebraucht. «Ich versuchte, Kontakten per Mail auszuweichen.» Ein kleines Inserat hat sie letztes Jahr auf einen Aufbaukurs vom Verein Lesen und Schreiben für Erwachsene aufmerksam gemacht (Kasten). Der Verein ist seit 1986 aktiv und wird von der Erziehungsdirektion subventioniert. In diesem Kurs stiess sie auf den Literaturwettbewerb für schreibungewohnte Menschen, der jährlich vom deutschen Volkshochschulverein in Bonn organisiert wird. Diesen hat sie dann auch gewonnen. Eines Nachts habe sie sich hingesetzt, die Bildvorlagen studiert und ihre Geschichte niedergeschrieben.
Im Kurs habe sie ihren Beitrag dann mit der Kursleiterin Elisabeth Furrer überarbeitet: «Ich habe den ganzen Text in die Gegenwart umgeschrieben» – so sei die Geschichte näher beim Leser, findet die Autorin. Als sie den Beitrag mit dem Titel «Wörter auf dem Weg» Anfang Jahr eingesandt habe, «war für mich das Ganze abgeschlossen». Nie habe sie damit gerechnet, einen Literaturwettbewerb mit 216 Teilnehmenden zu gewinnen.
Im Kurs habe sie ihren Beitrag dann mit der Kursleiterin Elisabeth Furrer überarbeitet: «Ich habe den ganzen Text in die Gegenwart umgeschrieben» – so sei die Geschichte näher beim Leser, findet die Autorin. Als sie den Beitrag mit dem Titel «Wörter auf dem Weg» Anfang Jahr eingesandt habe, «war für mich das Ganze abgeschlossen». Nie habe sie damit gerechnet, einen Literaturwettbewerb mit 216 Teilnehmenden zu gewinnen.
Bircher gibt in ihrer Geschichte sechs Gefühlen eine Gestalt. Liebe, Mut, Entscheidung, Verstand, Trauer und Angst machen zusammen eine Reise. Angst macht sich viel Sorgen um die anderen Teilnehmer. Mut will, dass der Reisebus schneller fährt. Im Verlauf der Geschichte lernt beispielsweise Angst, sich auch einmal zu getrauen.
Schon der nächste Kurs
Georg Otterbeck vom deutschen Volkshochschulverband sagte in seiner Laudatio: «Die Schreiberin zeigt in eindringlichen literarischen Bildern Wörterwege zur Bewältigung des Lebensweges.» Vereint machten die Eigenschaften eine ganze Person aus, sagt Regina Bircher. Bei der Preisverleihung Mitte August in Köln wurde der Text nicht nur gewürdigt. Der Schauspieler Thomas Kruttmann hat ihn auch vorgelesen. «Die eigenen Worte aus einem fremden Mund zu hören, das war aufregend», erinnert sich Bircher. Als sie nach Köln gereist sei, habe sie an ihrer Geschichte gezweifelt. «Ich hätte im Nachhinein gerne noch einiges anders geschrieben.» Ja, sie sei selbstkritisch. Darum sei sie mit ihren Deutschkenntnissen nach wie vor noch nicht zufrieden. «Ich besuche bald wieder einen Kurs.»
Weitere Geschichten hat sie nicht geplant. Denn ihr grosses Hobby ist nicht das Schreiben, sondern das Schneidern. Beim Gesprächstermin trägt die Preisgewinnerin ein Kleid, das aus der alten Jeans ihrer Tochter und einem Tischtuch entstanden ist. «Mein Lebenstraum ist, dieses Hobby einmal zum Beruf zu machen.»
Lesen und Schreiben für Erwachsene
Weitere Geschichten hat sie nicht geplant. Denn ihr grosses Hobby ist nicht das Schreiben, sondern das Schneidern. Beim Gesprächstermin trägt die Preisgewinnerin ein Kleid, das aus der alten Jeans ihrer Tochter und einem Tischtuch entstanden ist. «Mein Lebenstraum ist, dieses Hobby einmal zum Beruf zu machen.»
Lesen und Schreiben für Erwachsene
Mit dem Kurs Lesen und Schreiben für Erwachsene habe sie Stolpersteine aus dem Weg geräumt, sagt Regina Bircher.
Die meisten Kursteilnehmer sind Illettristen. Das heisst: Obwohl sie die Schule besuchten, haben viele von ihnen nie richtig Lesen und Schreiben gelernt. In der Schweiz sind 800 000 von Illettrismus betroffen. Die Kursteilnehmer können sich persönliche Ziele setzen und werden individuell betreut. «Ich musste nicht mit den Artikeln ‹der, die, das› anfangen», so Bircher.