Stettlen - Das abenteuerliche Wirken einer Landärztin

Räuberpistolen von ehemaligen britischen Marineoffizieren und Hausbesuche per Seilbahn – Gabi Rohrer aus Stettlen erlebte als Assistentin in Lauterbrunnen und Mürren etliches. Der Dokumentarfilm «Am Puls der Hausärzte» handelt davon. Ab heute läuft er in Oberländer Kinos.

Claudius Jezella, Berner Zeitung BZ
«Arbeiten Sie gern, und können Sie Ski fahren?» Da sie beide Fragen mit einem Ja beantworten konnte, hatte Gabi Rohrer  ihr Aufnahmegespräch bei Bruno Durrer bestanden. Was die junge Assistenzärztin in der Folge im Einsatz für den Lauterbrunner Hausarzt erlebte, beschreibt sie als «extrem spannend» und «abenteuerlich». Dass ihr Chef die beiden Eingangsfragen nicht grundlos gestellt hatte, sollte sich Gabi Rohrer, die damals im Jahr 2009 noch Medizinstudentin war, schon bald offenbaren.
 
Auf den hohen Arbeitsaufwand war die heute 30-Jährige dabei schon gefasst: «Die Arbeit als Hausarzt ist anstrengend, aber wenn man Arzt werden will, weiss man, dass man viel arbeiten muss», sagt sie. Sehr viel ungewöhnlicher war aber etwas anderes. Nicht selten musste die junge Frau in ihrem Einsatzgebiet Mürren nach folgendem Muster zu Hausbesuchen im verschneiten Bergdorf ausrücken: mit der Seilbahn nach oben und per Ski zu den abgelegenen Häusern ihrer Patienten. Und was sie dann dort, wie sie sagt,  «als  Gast» vorfand, waren die verschiedenen Menschen in ihrem ganz persönlichen Umfeld, mit ihren Geschichten und natürlich mit ihren Beschwerden: die unheilbar an Krebs erkrankte Frau in Gimmelwald oder die alte Frau mit Oberschenkelhalsbruch, die per Trage auf vereisten Wegen, Ladefläche eines Nutzfahrzeugs und Seilbahn ins Tal transportiert wurde.
 
Aber auch bei den Sprechstunden in Lauterbrunnen und Mürren standen die Begegnungen mit den Menschen für Gabi Rohrer im Mittelpunkt. Auf der einen Seite hätten die Leute das Bedürfnis zu reden, auch über andere Dinge als ihre Krankheiten, sagt sie.  Hatte sie am Anfang ihres Studiums noch Zweifel, ob der Beruf der richtige für sie sei, so hätten sich diese durch den intensiven Patientenkontakt in jener Zeit aufgelöst. «In Lauterbrunnen hat es mich gepackt», sagt die Ärztin zurückblickend. «In einer Landarztpraxis gibt es per se schon ein grosses Spektrum, aber in einem Wintersportort kommt dann noch einmal vieles hinzu.» Von ehemaligen britischen Marineoffizieren, die in die Notfall-Sprechstunde kommen und ihre  Räuberpistole erzählen, ganz zu schweigen.
 
Rückkehr mit Filmteam
 
Jetzt  kehrte  Gabi Rohrer, die eigentlich aus Stettlen im Worblental stammt,  zu ihrem «Mentor» Bruno Durrer ins Lauterbrunnental zurück. Diesmal wurde sie bei ihrer Arbeit begleitet von einem Filmteam um die Regisseurin Sylviane Gindrat. Entstanden ist dabei Material für den dreiteiligen Dokumentarfilm «Am Puls der Hausärzte». «Der Film gibt einen guten Eindruck in die Arbeit eines Hausarztes», berichtet Gabi Rohrer. Dabei würden zum einen Fragen behandelt wie: «Wie werde ich Hausarzt, und wie gehe ich mit den Belastungen um?» Zum anderen gehe es aber auch um das Beziehungsspiel zwischen Arzt und Patient. «Der politische Aspekt der Frage nach der Zukunft der Hausärzte steht dabei nicht im Vordergrund», betont die angehende Fachärztin für allgemeine innere Medizin. Und doch lässt er sich nicht ausklammern. «Es ist nicht möglich, dass wir in den nächsten zehn Jahren die 80 Prozent der Hausärzte, die dann pensioniert werden, aus dem Hut zaubern können», sagt sie  im Film.
 
Mit dem Kopf unterm Arm
 

Dennoch setzt sie sich für den Beruf ein und kann sich auch gut vorstellen, später als Hausärztin in Lauterbrunnen zu arbeiten. «Aber nicht in dem Ausmass, wie es jetzt Bruno Durrer macht. Um ihn, der 150 und mehr Prozent arbeitet,  zu ersetzen, braucht es drei Leute.» Eine Praxisgemeinschaft wäre eine gangbare Möglichkeit. Dass Gabi Rohrer eine Rückkehr ins Oberland anstrebt, liegt wohl in erster Linie an den Menschen, die sie als herzlich, direkt und knorrig wie alte Eichen beschreibt, «die erst zum Arzt gehen, wenn sie den Kopf unterm Arm tragen».


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Erstellt: 28.09.2013
Geändert: 28.09.2013
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