Ski Alpin - Auf schmalem Grat
Luca Aerni verfügt über einen schnellen Slalomschwung wie über eine hohe Ausfallquote. In der am Sonntag beginnenden Saison strebt der Berner mit runderer Fahrweise nach mehr Konstanz.
Fähig sein, unter die besten fünf zu fahren. Mit diesen Worten beantwortete Luca Aerni die Frage, in welche Leistungsklasse er bis zur WM in St. Moritz vorzustossen gedenke. Das war Anfang Januar 2014, nachdem sich der Slalomspezialist in Bormio als Zehnter erstmals unter den besten zehn eingereiht hatte. 20-jährig war der Berner damals; ein wortgewandter, besonnener Athlet, seine Aussage hatte nichts mit Euphorie zu tun. Nun, knapp drei Monate vor den Titelkämpfen im Engadin, hält Aerni zwei, drei Sekunden inne, ehe er die gleiche Frage erneut beantworten wird. «Ja, die Top 5, dorthin will ich kommen. Möglich ist es.»
Der Rücken ist geheilt
Der Grosshöchstetter, welcher das Skifahren in Crans-Montana erlernte, befindet sich in Kabdalis, einer Skistation im nordschwedischen Niemandsland. Minus zwölf Grad werden tagsüber gemessen, der Schnee kommt aus der Kanone – das Slalomensemble von Swiss-Ski bereitet sich auf die Ouvertüre vom Sonntag im finnischen Levi vor. Aerni wird mit einer Nummer zwischen 25 und 30 starten, sein Aufstieg ist nicht linear verlaufen. Im August 2014 erlitt er einen Bandscheibenvorfall, die Verletzung warf ihn zurück. Mittlerweile kann er wieder ohne Einschränkungen trainieren. Seine Zuversicht ist nicht gespielt.
Zweimal belegte er im Weltcup Platz 5, gut zwei Wochen nach erwähnter Top-10-Premiere in Kitzbühel sowie vor Jahresfrist in Madonna di Campiglio. In Italien kam das Ergebnis dank bester Laufzeit im zweiten Durchgang zustande. Im Frühling 2013 war er in Kranjska Gora schon einmal der Schnellste gewesen, dabei von Platz 30 auf Rang 12 vorgerückt. Was fehlt, ist die Konstanz; sein Resultatblatt erinnert an den jungen Marc Berthod. Je vier Klassierungen unter den besten 30 hat Aerni aus den letzten drei Wintern vorzuweisen, die Ausfallquote belief sich in der letzten Saison auf fast 40 Prozent. Das Problem sei, die richtige Dosierung zu finden, hält er fest. «Ich muss stabiler werden, ohne den Lauf zu verbremsen.»
Die Anpassung birgt Gefahren
Die Wurzel des Übels findet sich in der Beschaffenheit der Piste, beim Start des Berners weist sie in der Regel schon relativ viele Schläge auf. Wer zu viel riskiert, wird ausgehebelt und abgeworfen. Wer zu wenig riskiert, verpasst den zweiten Durchgang – der Grat ist schmal. Aerni sagt, er habe seinen Fahrstil minim angepasst, fahre «einen Tick runder» als zuvor. Das Unterfangen ist heikel, weil er Gefahr läuft, seinen extrem schnellen Schwung zu verlieren, wenn er ihn nicht mehr regelmässig praktiziert – der Grat ist auch in dieser Hinsicht schmal. Primärziel ist, die Ausgangslage zu verbessern; je tiefer die Nummer, desto mehr Risiko lässt die Piste zu.
Aerni ist wie viele erfolgreiche Sportler ein überaus positiv denkender Mensch. Er erwähnt den internen Vergleich, sagt, sich nicht verstecken zu müssen. Teamleader Daniel Yule ist wie Aerni 23-jährig, aber eher für Stabilität als Spitzentempi bekannt. Wobei der Unterwalliser seine Kritiker am Weltcupfinal in St. Moritz Lügen strafte, sich im ersten Lauf Bestzeit notieren liess. Was Aerni zeigt, dass Beharrlichkeit zum Ziel führen kann. Noch bleiben ihm drei Monate respektive acht Rennen zur Optimierung der Startposition. Damit ein Top-5-Platz nicht nur möglich ist, sondern auch realistisch wird.