Simone Niggli: "Nun ist die Belastung spürbar"

Die OL- Königin hat an der WM in Lausanne ihre Goldmedaillen 18 und 19 gewonnen. Vor der abschliessenden Staffel spricht die 34-Jährige aus Münsingen über Rummel, Heimvorteil sowie den Spagat zwischen Familie und Spitzensport.

Interview: Micha Jegge, Berner Zeitung BZ
Ist die Zahl 20 in den letzten Tagen oft in Ihrem Kopf herumgegeistert?

Simone Niggli: Ich habe den Eindruck, dass dies für mich weniger wichtig ist als für andere, mir gefällt auch die 19 (schmunzelt).

Sie bestreiten die 10. WM – was bedeuten Ihnen Jubiläen?

Natürlich sind sie schön, aber es sind vor allem Spielereien. Sollte ich den 20. Titel gewinnen, würde danach alles vom 25. sprechen. Zudem will ich meine Staffelkolleginnen keinesfalls unter Druck setzen, sprich ihnen vermitteln, dass wir diese Goldmedaille unbedingt gewinnen müssen.

2003 gewannen Sie in Rapperswil 4 Goldmedaillen, avancierten während der WM zur grossen Nummer. Hier in Lausanne sind Sie seit Beginn der Titelkämpfe die Galionsfigur. Wie erleben Sie diese WM im Vergleich mit jener vor neun Jahren?

Damals ging vieles sehr schnell, es war schlicht überwältigend. Plötzlich sah ich mein Gesicht auf den Titelseiten der Zeitungen, dachte «Wow, was ist denn jetzt passiert?» und verbrauchte für die Verarbeitung der Begleiterscheinungen wesentlich mehr Energie als heute. Mittlerweile ist der Rummel ein fester Bestandteil der WM – ich weiss, was auf mich zukommen wird.

Wie sieht der Vergleich bezüglich Rahmenbedingungen aus?

Die WM in Rapperswil fand für damalige Verhältnisse auf sehr hohem Niveau statt. Die jetzige lässt sich mit den WM der letzten Jahre vergleichen. Hier ist die Stimmung gut, beim Sprint war sie sogar sehr gut. In Rapperswil war das Hexenkesselgefühl jedoch noch etwas stärker, was aber mit den jeweiligen Arenen zusammenhängen könnte.

In Lausanne treffen Sie mit Minna Kauppi auf eine körperlich ähnlich starke Gegnerin. Erhöht dies den Reiz im Vergleich zu jenen Titelkämpfen, bei denen Sie der Konkurrenz einen Schritt voraus waren?

Die Situation ist nicht neu. Minna läuft seit Jahren auf sehr hohem Niveau, ist aber eine emotionale und daher nicht immer konstante Athletin. In Lausanne hat sie schlicht weniger Fehler gemacht als auch schon. Wir wissen beide, was die andere kann – und wir respektieren die Leistung der anderen. Das finde ich schön.

Wie wichtig ist rund um Lausanne der Heimvorteil?

Über die Langdistanz war er mitentscheidend. Ich realisierte sofort, dass ich dieses Mittellandgelände wirklich im Griff habe. In den Zuschauern sehe ich ebenfalls einen Pluspunkt, wobei diese fair sind und auch die anderen Läuferinnen unterstützen.

Der ehemalige Männercheftrainer Thomas Bührer sagt, Sie hätten auf der ganzen Welt Heimvorteil, weil Sie über die Gabe verfügten, sich das Gelände aufgrund der Karte vorzustellen und die einzelnen Elemente dann im Wald wiederzuerkennen. Trifft diese Behauptung zu?

Das hat er aber schön formuliert (lacht). Ich glaube schon, dass es in diese Richtung geht, dass es sich dabei um ein Talent von mir handelt. Im Ausland brauche ich relativ wenig Zeit, meine Technik den Verhältnissen anzupassen.

Können Sie die WM geniessen, oder leben Sie in Ihrem Film und werden erst später realisieren, was alles geschehen ist?

Die Gefahr mit dem eigenen Film ist schon da. Man erreicht das Ziel, schnappt zuerst einmal nach Luft, gibt Interviews und wird zur Flower-Zeremonie gebeten – es geht alles sehr schnell, und dann sind die Zuschauer schon wieder weg. Deshalb freue ich mich nun auf die Staffel, weil wir vor den Männern laufen und ich deren Rennen als Zuschauerin werde verfolgen können.

Wenn wir bei der Staffel sind: Ist es denkbar, dass der 20. WM-Titel am Samstag Tatsache wird?

Denkbar ist es schon, aber wir Läuferinnen (vgl. Kasten) müssten allesamt nicht nur gute, sondern sehr gute Leistungen erbringen. Es bräuchte mehr als einen Exploit.

Fiele die 20 demnach 2013 in Finnland, sollten die Exploits ausbleiben?

Da ziehe ich den Joker (lacht). Ich werde keinen Bauchentscheid fällen, sondern die Saison beenden und danach eine Situationsanalyse machen.

In Finnland gewannen Sie vor elf Jahren Ihr erstes Gold – es könnte sich ein Kreis schliessen.

Diesen Gedanken gibt es, das gebe ich zu.

Im Frühling verkündeten Sie, bis zur WM schauen zu wollen, wie Ihre Familie, Ihre Eltern, Schwiegereltern und Sie selbst mit der Belastung klarkommen. Wie fällt die Bilanz aus?

Grundsätzlich ist alles sehr gut gegangen, aber ich habe schon gelegentlich gemerkt, dass wir an Grenzen stossen. Mit drei Kindern ist das eine ganz andere Geschichte als mit einem, nun ist die körperliche Belastung wirklich spürbar. Bei der Entscheidfindung wird die Frage, ob wir das weiterziehen können und wollen, der zentrale Faktor sein.

Besteht die Gefahr, dass Ihr Umfeld, sprich vor allem Eltern und Schwiegereltern, nicht ganz ehrlich sind, weil Sie den Entscheid nicht beeinflussen möchten?

Dieser Gedanke ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Aber ich habe ihn wieder verworfen, weil ich sicher bin, dass wir ehrlich darüber sprechen können. Für mich stellt sich vor allem die Frage, ob ich ihnen das weiterhin zumuten will.

Es wirkt, als falle Ihnen die Vorstellung, sich aus der Weltelite zu verabschieden, sehr schwer.

Das stimmt schon, ich laufe sehr gerne und fühle mich in diesem Kreis wohl. Wenn ich aufhöre, brauche ich eine Perspektive, etwas Neues, Konkretes, an dem ich mich orientieren kann. Nun habe ich glücklicherweise ein paar Monate Zeit, mir diesbezüglich Gedanken zu machen.

Im nächsten Jahr werden Sie 35-jährig und damit erstmals an der Senioren-WM teilnahmeberechtigt sein …

…(lacht) das liesse sich mit meinem Ehrgeiz nicht vereinen – noch nicht. Irgendwann werde ich sicherlich teilnehmen, aber eher wegen der gesellschaftlichen als der sportlichen Komponente.

Samstag ist Staffeltag

Wyder ist dabei Maja Kunz entschied sich für die risikoreichere Variante. Die Frauennationaltrainerin zieht in der heutigen Staffel (11.20 Uhr, live auf SF 2) auf dem zweiten Abschnitt die physisch etwas stärkere Bernerin Judith Wyder der zuletzt stabileren Zürcherin Sara Lüscher vor. Als Startläuferin wird die Baslerin Ines Brodmann eingesetzt; Simone Niggli übernimmt wie gewohnt den dritten Streckenteil. Die Nomination Wyders war fraglich, weil sie ihre technischen Qualitäten weder im Sprint noch über die Mitteldistanz hatte ausschöpfen können. Es sei ihr relativ leichtgefallen, die missratenen Einsätze abzuhaken, sagt die 24-Jährige aus Zimmerwald – auch weil die Staffel anders als die genannten Rennen in Mittellandwäldern stattfinde. Männerchef Pascal Vieser entschied sich in dieser Reihenfolge für Fabian Hertner, Matthias Müller und Matthias Merz.

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Erstellt: 21.07.2012
Geändert: 21.07.2012
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