Schwingen - Der Bodenakrobat verlässt die Bühne
Willy Graber (35) hat mit seinem Schwingstil das Publikum weit über die Berner Kantonsgrenzen hinaus begeistert. In Zug holte er sich zum Abschied in extremis den fünften eidgenössischen Kranz.
Es war nicht der Abgang, der ihm gebührte. Willy Graber stützte den Ellbogen auf dem Knie ab, schüttelte den Kopf. Er hatte gegen Franz-Toni Kenel alles versucht: in den Griffen, aus den Griffen, aus dem Stand, und, natürlich, immer und immer wieder: am Boden. Ohne Erfolg.
Gerne hätte sich Graber am «Eidgenössischen» mit einem Sieg von der grossen Bühne verabschiedet und mit den Zuschauern die Welle gemacht. Er war wegen seines einzigartigen Stils über das Bernbiet hinaus ein Publikumsliebling – er, der im Beruf als Dachdecker in der Höhe arbeitet, im Sägemehl als Schwinger stets den Boden bevorzugt hat. Dort gab es für die Gegner selten ein Entkommen. Einst sagte ihm ein Kontrahent während des Bodenkampfs: «Chum Wilu, mach fertig, i lige ab!»
In den letzten Jahren war Graber häufig verletzt. Zeitweise kämpfte er gar mit gerissenem Kreuzband. «Einen sauberen Aufbau konnte ich aber kaum mehr machen», sagt er. Es gab Gedanken an den Rücktritt, zumal der Bolliger mit zwei Berufen (Dachdecker und Landwirt) und drei Töchtern weniger Zeit ins Schwingen investieren konnte als früher. Doch Graber steckte sich ein letztes Ziel: in Zug den fünften eidgenössischen Kranz zu gewinnen, damit er aus jedem Teilverband einen eidgenössischen Kranz in seinem Besitz hätte. «Ich habe mich entsprechend vorbereitet, im Winter viel investiert und eine gute Basis gelegt», sagt Graber.
Einzelkämpfer im Mittelland
Nach dem achten und letzten Gang in Zug war das Ziel in der Schwebe. Weshalb Graber enttäuscht war und verunsichert zugleich. Er werweisste, ob der Gestellte gegen Kenel zum Kranz reichen würde. Die Kampfrichter hatten ihm für aktive Schwingerarbeit die Note 9 geschrieben. Sie sollte entscheidend sein: Mit 74.75 Punkten durfte sich Graber bei der Ehrung als letzter von 44 Schwingern den Kranz aufsetzen lassen. Er winkte ins Publikum, kam mit Verspätung doch noch zum passenden Abgang. «Die Erleichterung war gross», sagt Graber. «Aber mir ging auch unter die Haut, hatte es hinter mir Schwingerkönig Matthias Glarner knapp nicht geschafft. Ich hatte Mitleid.» Hingegen freute sich der Bolliger mit den Neu-«Eidgenossen» Fabian Staudenmann und Michael Wiget. Sie vertreten wie Graber das Mittelland. Zuletzt war Graber in seinem Gauverband einziger aktiver «Eidgenosse». «Ich war der Einzelkämpfer. Aber das bist du als Schwinger sowieso, da musst du dir nichts vormachen. Nun haben wir ein junges Team mit starken Schwingern. Das ‹fägt›!»
Graber hat in seiner Karriere 110 Kränze gewonnen, davon 5 eidgenössische. «Für mich stimmt es so. Es sind schöne Zahlen», sagt der 35 Jahre alte Berner. Und beeindruckende. Mit fünf eidgenössischen Auszeichnungen etwa steht er auf einer Stufe mit Schwingern wie Jörg Abderhalden, Geni Hasler und Hans-Peter Pellet.
Der Zeitpunkt passt
Zuwachs an Eichenlaub wird es nicht mehr geben. Graber will im Winter noch leicht trainieren und sich im April 2020 am Bolliger Hallenschwinget verabschieden. «Unser Verband hat dieses Jahr kein Fest mehr. Und mir ist es wichtig, vor meinen Leuten abtreten zu können.»
Die grosse Bühne hat er bereits am Sonntag verlassen, ohne Wehmut, wie Graber sagt. «Ich könnte ein Leben lang schwingen. Aber in körperlicher Hinsicht habe ich den Zenit erreicht.» Der Zeitpunkt passt. Er wolle aufhören, «solang i mine Meitschi no ma nacheseckle».