Schulstart: Frische Luft im Klassenzimmer

Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Es wird sich einiges ändern – auch für das Lehrpersonal. In Konolfingen bereiten sie sich schon seit geraumer Zeit auf den Unterricht der Zukunft vor.

Cedric Fröhlich, Berner Zeitung BZ

Wie sehen die Schulzimmer der Zukunft aus? Im Oberstufenzentrum Stockhorn in Konolfingen kriegt man eine gute Vorstellung davon. Weg sind die mächtigen Wandtafeln und die schweren Pulte. Stattdessen hängen da Bildschirme an den Wänden, stehen bewegliche Tischchen in den Räumen. Flexibel muss es sein und digital. In einem der Zimmer sitzt das Kollegium des Oberstufenzentrums beisammen. Es geht um Veränderungen – wie so oft in den letzten Jahren.

 

Die Lehrpersonen sind wegen eines neuen Lehrmittels hier: «Lernpass plus». Es kommt ab der kommenden Woche, mit Beginn des neuen Schuljahrs, erstmals zum Einsatz. Im Pass sind Lernvideos und Arbeitsblätter hinterlegt. Planungstools und Zielsetzungen. Kurz: So ziemlich alles, was Lehrerinnen und Schüler künftig benötigen.

 

Der Lernpass ist Teil eines grossen Ganzen: Der Lehrplan 21 soll bis ins Jahr 2022 flächendeckend umgesetzt sein. Spätestens dann endet die Ära des reinen Frontalunterrichts endgültig. An seine Stelle tritt ein neues Konzept, das auf die individuellen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern ausgerichtet ist. Schwächen werden zwar ausgebügelt, primär aber geht es um die Förderung von Stärken.

 

«Knallhart»

In Konolfingen sind sie bei all dem ganz vorne mit dabei. Bereits vor vier Jahren erhielt jede Schülerin, jeder Schüler sein persönliches Chromebook – einen Computer. Hannes Mathys ist seit dreieinhalb Jahren Schulleiter am Oberstufenzentrum und ein energischer Mann mit krausen Haaren. Er geht den eingeschlagenen Weg kompromisslos. Das spürt man, wenn er Dinge sagt wie: «Persönlichkeit! Selbstständigkeit! Auf diese Qualitäten achten die Lehrbetriebe heute.» Und: «Wie eigne ich mir Wissen an? Das ist heute die entscheidende Frage.»

 

Was das bedeutet, verrät ein Blick auf die aktuellen Stundenpläne. Zum Beispiel jenen der 8. Klassen. Während 3 der 35 wöchentlichen Lektionen arbeiten die Schülerinnen und Schüler in sogenannten Lernateliers – und mit dem «Lernpass plus». Womit sie sich dort beschäftigen, ist ihnen überlassen. Die einen werden ihre Algebra schleifen, die anderen ihr Französisch. Darüber hinaus sollen sie das ganze Jahr über «selbstorientiert» lernen. Das heisst: Für Projekte auch einmal zwei Tage Zeit kriegen, die sie sich selbst einteilen. «Es ist explizit erlaubt, Fehler zu machen», sagt Mathys. Wer die Aufgabe schleifen lässt, der erhalte bei der Beurteilung die Quittung. «Knallhart.» Das gehöre zum Lernprozess. Aber danach gebe es eine zweite Chance. Schlussendlich verändert sich dadurch auch die Beurteilung von Leistungen. Sie ist noch stärker auf Fortschritte fokussiert.

 

Denkt weiter!

In einem Jahr wird der Wandel noch einschneidender. Dann kommt das flexible neunte Schuljahr. Die Schülerinnen und Schüler werden zwischen drei berufsspezifischen Schwerpunkten wählen können und nur noch 19 Stunden gemeinsamen Unterricht absolvieren. Der Rest ist für die Vorbereitung auf die Lehre oder den Übertritt ans Gymnasium reserviert. Damit will man nicht zuletzt verhindern, dass all jene das Denken einstellen, die bereits einen Lehrvertrag in der Tasche haben.

 

Die Einführung des Lehrplans ist gleichbedeutend mit einer neuen Freiheit für die Schülerinnen und Schüler. «Die Zeiten, als alle dasselbe gemacht haben – und wehe, wenn nicht! –, die sind vorbei», sagt Christoph Bosshard. Er ist Lehrer am Oberstufenzentrum und steht in engem Austausch mit den Entwicklern des Lernpasses, dem Lehrmittelverlag St. Gallen. Seine Rolle und die seiner Kolleginnen und Kollegen verändert sich durch diese Freiheit. Eine Klassenlehrerin sagt es so: «Wenn du vor der Klasse stehst, bist du die Chefin.» Einen Teil dieser Kontrolle gebe man nun ab. «Im Gegenzug wird der Austausch mit den Schülern enger, menschlicher.»


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Erstellt: 09.08.2019
Geändert: 09.08.2019
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