Schule Bowil: Probleme mit einem Achtjährigen
Seit Februar geht der achtjährige Lorin Salzmann aus Bowil in die Steiner-Schule. Diesem Schulwechsel ging ein Seilziehen zwischen Eltern, Schule und Behörden voraus. Letztere fanden, dass der Bub den Schulbetrieb zu sehr störe.
Laura Fehlmann / Berner Zeitung BZ
Lorin grüsst laut und selbstbewusst, bevor er zu den Grosseltern nebenan geht. Die Abendsonne scheint über die Emmentaler Hügel. Auf dem Tisch bei Anita und Daniel Salzmann liegt ein Ordner. Darin sind Briefe und Protokolle, die dunkle Schatten auf die Bowiler Idylle werfen. «Wir haben Unglaubliches erlebt», sagt die 35-jährige Mutter von Lorin.
Abgebrochener Zahn
Für die Eltern war der Anfang allen Übels der Tag, an dem Lorin einen Knaben schubste. Dieser fiel hin und erlitt angeblich einen Schädelbruch. «Wir standen unter Schock. Aber der Bub war zwei Tage später wieder in der Schule, ohne dass man ihm etwas anmerkte», sagt Anita Salzmann. Mitte Februar überstürzten sich die Ereignisse im Schulhaus Hübeli. Unter den Kindern kam es wieder zu Streit. Eines fiel hin und brach sich einen Zahn. An diesem Tag sei Lorin heimgekommen, habe geweint und gesagt, er wolle sterben, erzählt der Vater. Der Kinderarzt schrieb Lorin krank. Nach ein paar Tagen zu Hause und einem Schnupperbesuch in der Steiner-Schule in Langnau beschlossen die Eltern den Schulwechsel. «Man hat uns nie einen Vorschlag gemacht, wo Lorin hinwechseln könnte», sagt Daniel Salzmann. Das Positive sei, dass es dem Sohn heute gut gehe.
Krank geschrieben
Der Kinderarzt schrieb Lorin krank, bevor ein Schulausschluss auf den Tisch kam. In einem Schreiben erklärte Schulkommissionspräsident Hansrudolf Leuenberger: «Es stand lediglich ein Schul- oder Unterrichtsausschluss bis Ende Schuljahr zur Diskussion. Durch das auffällige Verhalten von Lorin musste – nicht zuletzt zum Wohle der Mitschüler – eine Lösung gefunden werden.»
Fachleute des Inselspitals haben bei Lorin weder ADS noch andere Störungen festgestellt. Sie beurteilen ihn als ein normal begabtes Kind. «Wir verstehen nicht, warum es so weit kam und man ihn von der Schule ausschliessen wollte», sagt der 36-jährige Vater, ein Maurer und Zimmermann. Gemäss Aussage der Behörden war der Achtjährige für die Schule untragbar (siehe Zweittext.)
Schnell gearbeitet
Gemäss Eltern und Lehrpersonen an der Steiner-Schule in Langnau zeigt Lorin heute keinerlei Verhaltensauffälligkeiten. Dass er vorher oft störte, laut war und Mitschüler plagte, führen die Eltern auf Unterforderung zurück. Lorin konnte bereits bei Schuleintritt lesen und schreiben. Die ihm von der Lehrerin aufgetragenen Arbeiten habe er immer sehr rasch erledigt und sich dann gelangweilt. «Wir forderten die Lehrerin auf, ihn zu beschäftigen. Das wollte sie aber nicht und verlangte, dass Lorin still sitzt, bis alle fertig sind», sagt Anita Salzmann. Ganz anders sei es gewesen, als die Lehrerin im Mutterschaftsurlaub war und eine Stellvertreterin unterrichtete. Diese habe Lorin beschäftigt und nie über störendes Verhalten geklagt.
Sitzung ohne Eltern
Das Beschlussprotokoll einer ausserordentlichen Sitzung der Schulkommission zeugt von der schwierigen Situation. Ziel der Sitzung sei, steht da, so schnell wie möglich einen geordneten Schulbetrieb zu ermöglichen. Dies mithilfe eines Massnahmepaketes. Allerdings wurden Lorins Eltern nach dem ersten Teil der Sitzung verabschiedet, obwohl Anita Salzmann immer noch Mitglied der Schulkommission ist. Die Kommission, die Schulleitung und eine Heilpädagogin haben das Massnahmepaket gemeinsam beschlossen. Dieses enthält unter anderem eine Gefährdungsmeldung sowie ein befristetes «Time-out» für Lorin in einem anderen Schulhaus.
Unterschrift verweigert
«Man sagte uns, wir müssten dieses Protokoll unterschreiben, sonst gebe es eine Gefährdungsmeldung an die Vormundschaftsbehörde», sagt Daniel Salzmann. Weil die Behörden die Unterschrift mit einer Drohung erzwingen wollten, haben sich die Eltern geweigert, das Protokoll zu unterzeichnen. «Wir erklärten dies dem Schulinspektor in einem eingeschriebenen Brief, der aber leider nie beantwortet wurde», sagt Daniel Salzmann. Zwei Tage nach dem Schulwechsel habe der Schulkommissionspräsident angerufen und vorgeschlagen, der Bub könnte doch nach Signau zur Schule. Die Eltern haben aber Bedenken vor einem erneuten Schulwechsel, trotz der Kosten für die Steiner-Schule, die sie selber tragen. Sie fühlen sich alleingelassen, obschon sich mittlerweile einige Leute aus dem Dorf hinter sie gestellt haben. «Eigentlich bräuchte es eine Beratungsstelle für Eltern», sagt Daniel Salzmann.
Die Abendsonne ist hinter den Emmentaler Hügeln verschwunden. Bowil liegt im Schatten. Lorin kommt zurück von den Grosseltern. Auf dem Arm trägt er seine Katze.
«Taten alles, was wir konnten»
Der Bowiler Gemeindepräsident Moritz Müller (SVP) und Schulkommissionspräsident Hansrudolf Leuenberger erklären sich.
Organisatorisch und pädagogisch sei die Schule autonom, sagt der Bowiler Gemeindepräsident Moritz Müller (SVP). Deshalb habe er sich erst mit dem Fall Lorin befasst, als ihn jemand angerufen habe. «Danach stand ich regelmässig mit den Eltern in Kontakt, auch mit der Schulkommission und der Schulleitung.» Vor allem mit den Eltern habe er stundenlange Gespräche geführt. Einen formellen Schulausschluss habe es indes nie gegeben, auch keine Gefährdungsmeldung an die Vormundschaftsbehörde. Eine solche Meldung sei den Eltern auch nie angedroht worden, betont Müller. Versäumt habe man nichts. «Seit ich die Fakten kenne, muss ich sagen: Wir haben für das Wohl des Kindes alles Machbare unternommen.»
Den Vorwurf der Eltern, man habe sie bei Diskussionen und Sitzungen ausgeschlossen, lassen Müller und Leuenberger nicht gelten. Anita Salzmann ist Mitglied der Schulkommission. Deshalb muss sie in den Ausstand treten, wenn die Kommission ein Problem diskutiert, in das Salzmann persönlich involviert ist. So will es das Gesetz.
«Lehrkraft stützen»
Um einen Einblick in den Schulbetrieb zu erhalten, gibt es in Bowil sogenannte Klassengotten und -göttis. Diese besuchen die Klassen und informieren nach aussen. Schulkommissionspräsident Hansruedi Leuenberger ist selber nie in der Klasse von Lorin gewesen. Er glaubt aber nicht, dass der Zweitklässler dort unterfordert gewesen sei. «Ich bin überzeugt, dass die Lehrerin den Buben mit Arbeit versorgt hat, damit er sich nicht langweilt.» Von der Schulkommission her sei es klar: «Es ist nicht unsere Aufgabe, einer Lehrperson zu sagen, wie sie unterrichten muss.» Deshalb habe man sich nicht zu sehr eingemischt, sondern sich auf das Urteil von Fachpersonen verlassen: der Heilpädagogin, die die Klasse begleitet habe, sowie anderer Lehrkräfte der Schule Bowil.
Die Lehrerin von Lorin wollte sich trotz mehrmaliger Anfragen nicht äussern. So sei es mit der Schulleitung abgesprochen, sagte sie.
«Schlimme Vorfälle»
Die Situation habe sich innert weniger Wochen zugespitzt, erinnern sich Müller und Leuenberger. «Es kam so weit, dass an der Schule Hübeli drei bis vier Personen Pausenaufsicht führten, weil es so wild zu und her ging.» Leuenberger räumt ein, es hätten sicher auch noch andere Kinder Krawall gemacht. «Aber Lorin stand offenbar meistens im Zentrum der Unruhen.» Es habe dann schlimme Vorfälle gegeben wie etwa einen ausgeschlagenen Zahn (siehe Haupttext). Eltern hätten sich über die Zustände beschwert.
«Wir suchten und boten Lösungen, wollten Lorin aber niemals abschieben», betont Moritz Müller. Man habe gedacht, die Situation würde sich beruhigen, wenn der Bub bis Ende Schuljahr in die Schule Signau wechseln würde. Die Eltern seien jedoch nicht darauf eingegangen und hätten auf eigene Faust eine Lösung gesucht.
Ins Dorf zurück?
Seit Lorin nicht mehr in der Klasse sei, habe sich die Lage beruhigt. «Wir stufen ihn als normalen Schüler ein und möchten gern eine Lösung im Dorf anbieten», sagt Müller. Lorin könnte nach den Ferien in eine Klasse im Dorfschulhaus eintreten. Dies habe man den Eltern schriftlich mitgeteilt. Bis jetzt sei aber noch keine Antwort eingetroffen.
Abgebrochener Zahn
Für die Eltern war der Anfang allen Übels der Tag, an dem Lorin einen Knaben schubste. Dieser fiel hin und erlitt angeblich einen Schädelbruch. «Wir standen unter Schock. Aber der Bub war zwei Tage später wieder in der Schule, ohne dass man ihm etwas anmerkte», sagt Anita Salzmann. Mitte Februar überstürzten sich die Ereignisse im Schulhaus Hübeli. Unter den Kindern kam es wieder zu Streit. Eines fiel hin und brach sich einen Zahn. An diesem Tag sei Lorin heimgekommen, habe geweint und gesagt, er wolle sterben, erzählt der Vater. Der Kinderarzt schrieb Lorin krank. Nach ein paar Tagen zu Hause und einem Schnupperbesuch in der Steiner-Schule in Langnau beschlossen die Eltern den Schulwechsel. «Man hat uns nie einen Vorschlag gemacht, wo Lorin hinwechseln könnte», sagt Daniel Salzmann. Das Positive sei, dass es dem Sohn heute gut gehe.
Krank geschrieben
Der Kinderarzt schrieb Lorin krank, bevor ein Schulausschluss auf den Tisch kam. In einem Schreiben erklärte Schulkommissionspräsident Hansrudolf Leuenberger: «Es stand lediglich ein Schul- oder Unterrichtsausschluss bis Ende Schuljahr zur Diskussion. Durch das auffällige Verhalten von Lorin musste – nicht zuletzt zum Wohle der Mitschüler – eine Lösung gefunden werden.»
Fachleute des Inselspitals haben bei Lorin weder ADS noch andere Störungen festgestellt. Sie beurteilen ihn als ein normal begabtes Kind. «Wir verstehen nicht, warum es so weit kam und man ihn von der Schule ausschliessen wollte», sagt der 36-jährige Vater, ein Maurer und Zimmermann. Gemäss Aussage der Behörden war der Achtjährige für die Schule untragbar (siehe Zweittext.)
Schnell gearbeitet
Gemäss Eltern und Lehrpersonen an der Steiner-Schule in Langnau zeigt Lorin heute keinerlei Verhaltensauffälligkeiten. Dass er vorher oft störte, laut war und Mitschüler plagte, führen die Eltern auf Unterforderung zurück. Lorin konnte bereits bei Schuleintritt lesen und schreiben. Die ihm von der Lehrerin aufgetragenen Arbeiten habe er immer sehr rasch erledigt und sich dann gelangweilt. «Wir forderten die Lehrerin auf, ihn zu beschäftigen. Das wollte sie aber nicht und verlangte, dass Lorin still sitzt, bis alle fertig sind», sagt Anita Salzmann. Ganz anders sei es gewesen, als die Lehrerin im Mutterschaftsurlaub war und eine Stellvertreterin unterrichtete. Diese habe Lorin beschäftigt und nie über störendes Verhalten geklagt.
Sitzung ohne Eltern
Das Beschlussprotokoll einer ausserordentlichen Sitzung der Schulkommission zeugt von der schwierigen Situation. Ziel der Sitzung sei, steht da, so schnell wie möglich einen geordneten Schulbetrieb zu ermöglichen. Dies mithilfe eines Massnahmepaketes. Allerdings wurden Lorins Eltern nach dem ersten Teil der Sitzung verabschiedet, obwohl Anita Salzmann immer noch Mitglied der Schulkommission ist. Die Kommission, die Schulleitung und eine Heilpädagogin haben das Massnahmepaket gemeinsam beschlossen. Dieses enthält unter anderem eine Gefährdungsmeldung sowie ein befristetes «Time-out» für Lorin in einem anderen Schulhaus.
Unterschrift verweigert
«Man sagte uns, wir müssten dieses Protokoll unterschreiben, sonst gebe es eine Gefährdungsmeldung an die Vormundschaftsbehörde», sagt Daniel Salzmann. Weil die Behörden die Unterschrift mit einer Drohung erzwingen wollten, haben sich die Eltern geweigert, das Protokoll zu unterzeichnen. «Wir erklärten dies dem Schulinspektor in einem eingeschriebenen Brief, der aber leider nie beantwortet wurde», sagt Daniel Salzmann. Zwei Tage nach dem Schulwechsel habe der Schulkommissionspräsident angerufen und vorgeschlagen, der Bub könnte doch nach Signau zur Schule. Die Eltern haben aber Bedenken vor einem erneuten Schulwechsel, trotz der Kosten für die Steiner-Schule, die sie selber tragen. Sie fühlen sich alleingelassen, obschon sich mittlerweile einige Leute aus dem Dorf hinter sie gestellt haben. «Eigentlich bräuchte es eine Beratungsstelle für Eltern», sagt Daniel Salzmann.
Die Abendsonne ist hinter den Emmentaler Hügeln verschwunden. Bowil liegt im Schatten. Lorin kommt zurück von den Grosseltern. Auf dem Arm trägt er seine Katze.
«Taten alles, was wir konnten»
Der Bowiler Gemeindepräsident Moritz Müller (SVP) und Schulkommissionspräsident Hansrudolf Leuenberger erklären sich.
Organisatorisch und pädagogisch sei die Schule autonom, sagt der Bowiler Gemeindepräsident Moritz Müller (SVP). Deshalb habe er sich erst mit dem Fall Lorin befasst, als ihn jemand angerufen habe. «Danach stand ich regelmässig mit den Eltern in Kontakt, auch mit der Schulkommission und der Schulleitung.» Vor allem mit den Eltern habe er stundenlange Gespräche geführt. Einen formellen Schulausschluss habe es indes nie gegeben, auch keine Gefährdungsmeldung an die Vormundschaftsbehörde. Eine solche Meldung sei den Eltern auch nie angedroht worden, betont Müller. Versäumt habe man nichts. «Seit ich die Fakten kenne, muss ich sagen: Wir haben für das Wohl des Kindes alles Machbare unternommen.»
Den Vorwurf der Eltern, man habe sie bei Diskussionen und Sitzungen ausgeschlossen, lassen Müller und Leuenberger nicht gelten. Anita Salzmann ist Mitglied der Schulkommission. Deshalb muss sie in den Ausstand treten, wenn die Kommission ein Problem diskutiert, in das Salzmann persönlich involviert ist. So will es das Gesetz.
«Lehrkraft stützen»
Um einen Einblick in den Schulbetrieb zu erhalten, gibt es in Bowil sogenannte Klassengotten und -göttis. Diese besuchen die Klassen und informieren nach aussen. Schulkommissionspräsident Hansruedi Leuenberger ist selber nie in der Klasse von Lorin gewesen. Er glaubt aber nicht, dass der Zweitklässler dort unterfordert gewesen sei. «Ich bin überzeugt, dass die Lehrerin den Buben mit Arbeit versorgt hat, damit er sich nicht langweilt.» Von der Schulkommission her sei es klar: «Es ist nicht unsere Aufgabe, einer Lehrperson zu sagen, wie sie unterrichten muss.» Deshalb habe man sich nicht zu sehr eingemischt, sondern sich auf das Urteil von Fachpersonen verlassen: der Heilpädagogin, die die Klasse begleitet habe, sowie anderer Lehrkräfte der Schule Bowil.
Die Lehrerin von Lorin wollte sich trotz mehrmaliger Anfragen nicht äussern. So sei es mit der Schulleitung abgesprochen, sagte sie.
«Schlimme Vorfälle»
Die Situation habe sich innert weniger Wochen zugespitzt, erinnern sich Müller und Leuenberger. «Es kam so weit, dass an der Schule Hübeli drei bis vier Personen Pausenaufsicht führten, weil es so wild zu und her ging.» Leuenberger räumt ein, es hätten sicher auch noch andere Kinder Krawall gemacht. «Aber Lorin stand offenbar meistens im Zentrum der Unruhen.» Es habe dann schlimme Vorfälle gegeben wie etwa einen ausgeschlagenen Zahn (siehe Haupttext). Eltern hätten sich über die Zustände beschwert.
«Wir suchten und boten Lösungen, wollten Lorin aber niemals abschieben», betont Moritz Müller. Man habe gedacht, die Situation würde sich beruhigen, wenn der Bub bis Ende Schuljahr in die Schule Signau wechseln würde. Die Eltern seien jedoch nicht darauf eingegangen und hätten auf eigene Faust eine Lösung gesucht.
Ins Dorf zurück?
Seit Lorin nicht mehr in der Klasse sei, habe sich die Lage beruhigt. «Wir stufen ihn als normalen Schüler ein und möchten gern eine Lösung im Dorf anbieten», sagt Müller. Lorin könnte nach den Ferien in eine Klasse im Dorfschulhaus eintreten. Dies habe man den Eltern schriftlich mitgeteilt. Bis jetzt sei aber noch keine Antwort eingetroffen.