Schlosswil - "Bärn usegheie!"
Vor dem Playoff-Viertelfinal treffen sich Fans beider Lager auf halbem Weg zwischen Bern und Langnau – in Schlosswil, wo mehrere Tigers-Spieler ihre Wurzeln haben.
Im Winter, wenn die Bise kalt durchs Dorf pfiff, zeigte sich, wes Geistes Kind die Kinder waren. Die Knaben hatten bei Müttern oder Grossmüttern bereits im Sommer ein Halstuch in Auftrag gegeben. Die Mutter oder die Grossmutter «lismete» das Halstuch im Herbst aus warmer Wolle, und das Kind trug es stolz zur Schule und überallhin ins Dorf: Je nach städtischer oder ländlicher Gesinnung bestand das Halstuch aus zwei oder drei Farben. Schlug das Herz für Langnau, war es rot und gelb, hing man Bern an, so war es rot, gelb und schwarz. Die zusätzliche oder die fehlende Farbe konnte Prügeleien auf dem Pausenplatz auslösen, Freundschaften schmieden oder diese abrupt beenden.
Es war ein Dorf ähnlich wie Schlosswil, ein Dorf am Rande des Emmentals gelegen. In Schlosswil fliesst auf der einen Seite der Strasse das Wasser in die Aare, auf der anderen Seite über den Biglenbach in die Emme. Das Wasser ist unentschieden, doch die Mehrheit der Herzen hier schlägt in bedächtigem Emmentaler Takt und damit für die SCL Tigers. Mehrere Spieler der aktuellen Mannschaft, Jörg Reber sowie die Brüder Simon und Christian Moser, stammen aus dem Dorf mit dem markanten Schloss. Im Kreuz in Schlosswil treffen sich Fans beider Lager in der Gaststube, um über ihren Lieblingssport zu diskutieren. Man neckt sich, aber man beisst sich nicht. «Es ist schon friedlicher als früher», sagt Rüedu Reber, der Vater von Jörg Reber. Er musste einige Male die Vereinsfarben wechseln, denn sein Sohn spielte schon für Bern, La Chaux-de-Fonds, Rapperswil und Biel. Er müsse doch Fan der Mannschaft sein, für die sein Sohn spiele, sagt er. Und mit welcher Devise geht der Sohn ins Derby? «Bärn usegheie!», sagt Reber trocken. Ueli Hänni hofft, dass die Tigers wieder den «Kitt» finden, der sie ins Playoff gebracht hat. Trainer John Fust müsse sich etwas einfallen lassen, um das Team «zämezschweisse». Die grünen «Lybli», welche die Mannschaft trug, weil auf den Teletext-Seiten grün eingefärbt wird, wer das Playoff erreicht, sind den Spielern nicht gut bekommen.
In den 1970er-Jahren war die Rivalität gross. Die Tigers, die damals einfach noch SCL hiessen, gehörten nach dem ersten und einzigen Meistertitel ihrer Geschichte 1975/76 auch während der nächsten Jahre zu den Spitzenteams. Der SCB gewann 1974, 1975, 1977 und 1979 den Titel. Dabei gab es in der Allmend oder in der Ilfishalle legendäre Duelle auf Biegen und Brechen. Die Emotionen wallten auf, die Seele kochte über. Es ging Stadt gegen Land. SCB-Spieler Roland Dellsperger zerschlug «in der Töibi» ein Lavabo. Vorwitzigen Fans wurde das Mütchen in der Ilfis gekühlt.
Auch die Brüder Franz (SCB-Fan mit Sitzplatzabo seit 30 Jahren) und Res Moser (SCL-Fan, «Bärn isch es rots Tuech für mi») erinnern sich an gegenseitige Hänseleien. Einmal habe er seinem Bruder sogar den Brotkasten über den Kopf geschlagen, sagt Res. Das Fieber ist entfacht, die Begeisterung ist spürbar im Emmental. «Öppis Bessers hätt nid chönne passiere», findet Res Moser. Ueli Marti ist seit Kindesbeinen SCB-Fan: «We ds einisch hesch, bringsch es nümm furt», sagt er. Er mag auch den Tigers das eine oder andere «Pünktli» gönnen, denn im Emmental lieben sie das Hockey. «Man merkt jeweils, wer verloren hat», sagt Marti, der im Bärau arbeitet. An vielen Häusern hängen derzeit Fahnen in den Langnauer Farben mit der Aufschrift «Playoff Country». Man ist stolz darauf, nicht gegen den Abstieg kämpfen zu müssen, sondern den Titelverteidiger herausfordern zu können. Es sei alles möglich, wenn die Tigers das erste Spiel von heute Abend in Bern gewinnen könnten, sagt Rüedu Meister. «Dann wird es spannend.» SCB-Fan Franz Moser hat das Gefühl, dass es eng werden könnte, verlöre der SCB das erste Spiel. «De geits a ds Bibbere.» Klar ist für die Runde, dass Ausschreitungen unnötig sind, man wisse zwar nicht, was passieren werde, aber man könne ein Fan sein, ohne zu randalieren, findet Marti. «We me verliert, de ziet me haut d Hörner y.»
Am Nebentisch sitzt Daniel Moser, der Grossvater von Simon, Christian und Stephan Moser (derzeit La Chaux-de-Fonds). Als sie kleiner waren, fuhr er sie von Schlosswil drei bis vier Mal in der Woche ins Training nach Langnau. «Ich war viel unterwegs mit den Giele.» Gefragt, was er sich vom Playoff-Derby erhoffe, sagt er: «Dass sie sich nicht verletzen.»
Simon Wälti, "Der Bund"