Rüttihubeliade - Ein Debüt krönt das Finale

Neun Konzerte in fünf Tagen: In der Altjahrswoche lädt die Rüttihubeliade zu Entdeckungen, etwa wenn zwei Jungtalente ein Projekt initiieren, das musikalisch nach Russland führt.

Marianne Mühlemann / Berner Zeitung BZ

Den Schnee haben wir ja nun und - brrr - die sibirische Kälte. Väterchen Frosts eisiger Atem bläst westwärts über die weissen Hügel. Bis hinein ins Emmental: Nun grenzt Walkringen an die Wolga und Russland ans Rüttihubelbad. So fühlt es sich an. Jedenfalls in der Altjahrswoche: Dann kommt hier Spitzen-Klassik auf Touren. Und als glänzende Überraschung dieses Jahr - eine Tänzerin auf Spitze.


«Die Bühne ist toll», sagt Nora Dürig und tippt mit der Spitze ihres Fusses auf den Boden. Und Alexander Boeschoten strahlt: «Der Flügel auch.» Der 22-jährige Pianist kennt das Instrument von früheren Konzerten. Nora knotet die Bänder ihrer rosa Spitzenschuhe fest, und der Pianist greift in die Tasten. Damm, damm, damm didadiididadiida . . . Da sind sie, die Glockenklänge der «Promenade». So beginnt Mussorgskis «Bilder einer Ausstellung». Eine Hühnerhautmusik. Neben rund einem Dutzend Bearbeitungen dieser Suite für Orchester gibt es unzählige für Einzelinstrumente - für Orgel, Akkordeon, Glasharfe. Es gibt rockige (Emerson Lake and Palmer), kuriose (für 44 Flügel und präpariertes Klavier). Sie erinnern an Viktor Hartmann, den Zeichner und Maler. Mussorgski wurde durch eine Gedächtnisausstellung an ihn zu der Musik inspiriert.

Musik ins Sichtbare verlängern

Der rote Klavierauszug liegt am Boden. Alexander Boeschoten hat die Noten intus. Fantastisch leicht strömen die anspruchsvollen Charakterstücke aus seinen Fingern. Es sei das erste Mal, dass er einer Ballerina unter die Füsse spiele, sagt der 22-Jährige. Auch für Nora Dürig ist das Projekt eine Premiere, das sie nur realisieren könne, weil sie Ferien habe. Seit 2008 tanzt sie im Zürcher Ballett. Und - was sie noch nicht wusste, als sie kürzlich als Talk-Gast bei «Aeschbacher» im Schweizer Fernsehen eingeladen war: Auch wenn Heinz Spoerli Mitte 2012 aufhört, darf sie bleiben. Ihr Vertrag wurde soeben verlängert.

«Alexander und ich kennen uns schon länger. Wir hatten Lust, zusammenzuarbeiten.» Es wird ihre erste Choreografie. Dürig, die von der Rhythmischen Gymnastik her zum Tanz kam und an der Schule von John Neumeier in Hamburg ausgebildet wurde, möchte die musikalischen Bilder in die Sichtbarkeit verlängern. Nicht nur klassisch, obwohl ihre Füsse in Spitzenschuhen stecken. Die Tänzerin hat Erfahrung mit dem Zeitgenössischen. Eben hat sie am Opernhaus Zürich die Titelrolle in Mats Eks «Dornröschen» getanzt. Wichtig ist ihr, dass im Mussorgski-Projekt die beiden Künste gleichberechtigt sind. Mit Musik, Tanz und einfachen Lichtwechseln sollen die Gemälde vor dem inneren Auge des Konzertbesuchers sichtbar gemacht werden: die Küken, die aus ihren Eierschalen hopsen. Die bronzene Uhr auf Hühnerfüssen. Der Zwerg auf missgebildeten Beinen. Der Ochsenkarren. Baba Jaga. Und das Grosse Tor von Kiew, das Mussorgskis Suite beendet. Russland ist nah im Rüttihubelbad . . .

«Machen wir noch einmal die Promenade?», fragt Alexander Boeschoten. Er legt die Hände auf die Tasten und gibt mit dem Kopf den Auftakt. Damm, damm, damm didadiididadiida. Schön. Mit den Glocken kommt die Gänsehaut. Und im schwarzen Lack des Flügels spiegelt sich eine zweite Ballerina.

Rüttihubelbad bei Walkringen, 26. bis 30. Dezember.

Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 22.12.2011
Geändert: 22.12.2011
Klicks heute:
Klicks total: