Rüttihubelbad - Erben oder sterben

Die Emmentaler Liebhaberbühne spielt im Rüttihubelbad. Mit ihrem «Volpone» wagt sie viel. Und gewinnt auf ganzer Breite. Beste Unterhaltung ohne moralinsaure Kleinkariertheit.

Frank Gerber, Wochen-Zeitung
Jahrzehntelang haben wir daran gezweifelt, aber jetzt steht fest: Auch Dialektschauspieler haben einen Unterleib. Die Gefühle aus dieser Körpermitte, die so etwa vom Brustbein bis zu den Knien reicht, treiben die Weltgeschichte an und die Weltliteratur. Und haben – endlich – auch Eingang gefunden ins Dialekttheater. In der aktuellen Komödie der Emmentaler Liebhaberbühne träumen alle vom Reichwerden, vom Fressen, vom Saufen und vom Bumsen. Schliesslich habe der Liebe Gott den Weibern ein gesprächiges Argument zwischen die Beine gegeben. Und die Männer wollen da gerne mitreden…
 
Keine Produktion «ab 18»
 
Geschockt? Wir können Ihnen versichern, dazu besteht überhaupt kein Anlass. Dieser «Volpone» ist zwar eine Vorstellung für Erwachsene. Dialekttheater ist nämlich nicht automatisch Volkstheater, und schon gar nicht automatisch Kindertheater. Aber dieser «Volpone» ist keineswegs eine Produktion «ab 18». Gerade weil die Inszenierung die feuchten Gebiete offen anspricht, statt sich hinter schlüpfrigen Altherrenandeutungen zu verschanzen, ist der Abend nie, nie, nie peinlich. Das ist ganz grosse Kunst, wie diese Gratwanderung gelingt. Das geht nur dank eines grossartigen Schauspielerensembles.
 
«Volpone» ist eine Komödie aus dem Jahr 1606. Geschrieben von Ben Jonson, einem Zeitgenossen des viel berühmteren Shakespeare. Die Titelfigur (Volpone = Fuchs) ist ein reicher Kaufmann ohne Kinder. Kein Wunder, wollen alle seine «Freunde» im Testament berücksichtigt werden. Die Hure Canina (Hündin) will den alten Mann sogar heiraten. All diesen Erbschleichern will Volpone eins auswischen. Er stellt sich todkrank, damit sie denken, es sei bald soweit. Volpone verspricht jedem einzelnen, ihn als Alleinerben einzusetzen, wenn… ja, wenn… Und dann verlangt er von den Erbschleichern Gegenleistungen. Grosse, unanständige, unanständig grosse Gegenleistungen. Die geldgierigen Idioten sind mit allen Bedingungen einverstanden. Sie schenken ihm Silberpokale und Edelsteine und berücksichtigen ihn ihrerseits im Testament. Und ausgerechnet der eifersüchtigste Mann der ganzen Stadt muss Volpone eigenhändig die eigene junge Frau ins Sterbebett legen. Woraufhin der «Todkranke» ganz plötzlich wieder saumässig lebendig wird.

Volpone hustet und lacht
 
Während die Erbschleicher einzeln zu Besuch kommen, liegt Volpone (Hans Rudolf Kummer) im Bett hinter einem Vorhang. Wir – das Publikum – können ihn sehen, die Erbschleicher können ihn aber nur hören. Er hustet und stöhnt – und lacht sich dabei einen Schranz. Allein für dieses Doppelspiel müsste man dem Schauspieler einen riesigen Blumenstrauss zuwerfen. Einen noch grösseren gibts für Stefan Zurflüh, der den Diener Mosca (Fliege) spielt. Der intrigiert, dass die Funken sprühen. Ist durch und durch schlecht, aber seeehr charmant. Und glücklicherweise ohne jede dialekttheaterliche Moral. Er träumt selber von grossem Geld und schönen Frauen. Doch das tun eh alle in diesem Männerstück. Ausser der Notar, dessen klamottenkistige Tuntigkeit allerdings aufgesetzt wirkt.
 
Passt das ins Emmental?
 
Und wie passt dieses alte englische Stück ins Emmental? Perfekt! Die humorvoll-bösartige Abrechnung mit den Erbschleichern könnte von Gotthelf stammen. Ebenso die saftvollen Figuren. Und solch unterleibliche Deftigkeiten finden sich auch bei allen ernsthaften hiesigen Dichtern: Hurerei mit Mutter und Tochter bei Gotthelf («Schulmeister»), Selbstbefriedigung mit Pornoheft bei Gfeller («Bärner-Gring»), Orgien mit Gläubigen bei Fankhauser («Brüder der Flamme»). Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jene, die diesen «Volpone» zu deftig finden, sollen erstmal die heimische Literatur im Original lesen. Leider werden diese Romane in allen Bühnenbearbeitungen kastriert. Nicht so der «Volpone» in der berndeutschen Bühnenfassung von Regisseur Ulrich Simon Eggimann.
 
Ein Bonmot besagt, dass bei einem Minirock der Unterschied zwischen «gewagt» und «ordinär» allein beim Preis liege. Beim Theater liegt dieser Unterschied im Fingerspitzengefühl. Und davon legen Eggimann und seine Truppe genau das richtige Quantum an den Tag. Nämlich genau gleichviel wie Spielfreude.

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Erstellt: 09.01.2014
Geändert: 09.01.2014
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