Rüfenacht - Pächterpaar sucht nach neuem Leben

Früher war Andreas Jost Pächter des Bauernhofs Hinterhus. Dort sind nun Wohnungen geplant, Jost musste ausziehen. Es war eine Zeit, die er nie mehr erleben möchte. Jetzt wohnt er in einem Heimet in Rüegsau. Daheim ist er dort aber nicht.

Sandra Rutschi / Berner Zeitung BZ
Es ist idyllisch bei Andreas Jost und Christine Müllener. Ihr Heimet klebt an einem steilen Bord in Rüegsau. Bei ihrem Hof endet die Naturstrasse, im Bauerngarten spriessen Zwiebeln, unter den blühenden Apfelbäumen weiden Kühe. Ausser dem Geläut ihrer Glocken und dem Bellen eines Hundes ist nichts zu hören.

Ein gemütliches Zuhause, denkt man auf den ersten Blick. Doch an der Wand in der Küche hängt die Fotografie jenes Ortes, an dem sie eigentlich daheim wären: dem Hinterhus in Rüfenacht. Andreas Jost zeigt mit Wehmut auf das Bauernhaus, das Stöckli, auf die insgesamt sieben Gebäude, die er vor einem Jahr verlassen musste. Dort ist er aufgewachsen, dort lebte er mit seiner Partnerin, seinen Eltern, seiner Schwester und ihrem Kind und mit einem Angestellten, der seit Jahrzehnten zur Familie gehörte. Dort bewirtschafteten bereits Josts Grosseltern den Boden.

Doch dieser Boden soll nun mit Wohnungen überbaut werden, so ist es in der neuen Worber Ortsplanung vorgesehen. Der Pachtvertrag mit Jost wurde nicht erneuert.

Zukunftsängste raubten ihm Schlaf und Appetit

Er erfuhr davon im Jahr 2003. Als er und sein Vater zum Gespräch in die Liegenschaftsverwaltung nach Bern geladen wurden, wusste der heute 43-Jährige noch nicht, was Zukunftsängste sind. Das änderte sich schlagartig. 2006 würden sie den Hof verlassen müssen, auf dem die Familie seit 70 Jahren lebte. Andreas Jost konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Der Mutter, so verabredete er mit dem Vater, würden sie vorerst nichts davon sagen, um sie nicht zu sehr zu belasten. Vielleicht würde es ja noch eine Lösung geben.

Irgendwann rappelte sich Andreas Jost wieder auf. Er tröstete sich vorerst mit dem Gedanken, dass es bis zum Auszug noch vier Jahre dauern würde. Er erhielt vom Eigentümer sogar eine Fristverlängerung bis im Frühling 2010. Und doch rückte der Termin immer näher. Irgendwann musste man der Mutter sagen, was Sache war. «In diesen Jahren stand meinen Eltern die Sorge ins Gesicht geschrieben», erinnert sich Jost. Der 80-jährige Vater überlebte zwei Herzoperationen im Winter 2009. Andreas Jost schüttelt den Kopf. «Eigentlich dürfte es in der Schweiz keine Pächter geben. Als Pächter steht man immer mit einem Fuss vor der Tür.»

Vom Einkommen im neuen Heimet kann man nicht leben

Andreas Jost suchte nach einer Lösung. Er versuchte, den Hof zu kaufen, bot das Doppelte des amtlichen Wertes. Doch der Eigentümer hatte kein Interesse. Irgendwann begannen er und seine Partnerin, sich nach einem neuen Hof umzusehen. «Aber für so zentral gelegene Güter wie in Rüfenacht bewerben sich Hunderte», sagt Jost. Der Tierliebhaber zog in Betracht, ins Tierspital arbeiten zu gehen. Regelmässige Ferien und bezahlte Überstunden – der Job hätte durchaus Vorteile gehabt. Doch er entschied sich dagegen, weil er lieber mit gesunden Tieren arbeitet.

Als Lohnarbeiter tagein, tagaus auf dem Traktor zu sitzen, kam für ihn auch nicht in Frage.

Also suchte das Paar weiter. In Rüegsau fanden sie das beste Angebot. Sie kauften das Heimet am Hang. Jost, der früher auf 15 Hektaren Kartoffeln, Gerste und Mais angepflanzt hatte, hat nun noch einen Umschwung von 3,5 Hektaren. Ackerbau lohnt sich da nicht mehr, und auch für die Milchwirtschaft und die 75 Schafe war zu wenig Platz. Jost hat deshalb auf Kälbermast umgestellt. 19 Kälber mästet er im Moment. Leben kann das Paar davon aber nicht. Christine Müllener (31) bestreitet als Lehrerin das Haupteinkommen der beiden.

Anfangs dachte Andreas Jost, er würde nie mehr zurück nach Rüfenacht gehen. Zu bitter war es, die 16 Kühe eine nach der anderen zur Schlachtbank führen zu müssen und dann den leeren Stall zu sehen. Zu bedrückend, den ganzen Hof räumen zu müssen, zum Teil von über hundertjährigen Geräten, die noch Josts Vorgänger gehörten. Zu traurig macht ihn, dass seine Familie auseinandergerissen wurde. Die Eltern leben heute in Richigen, die Schwester weiterhin in Rüfenacht, der Angestellte musste ins Altersheim.

Nach einiger Zeit ging Jost doch zurück nach Worb und Rüfenacht, obschon dies schmerzte. Nur auf Besuch, seine Freunde sind dort, er kennt dort jeden Stein. Im Emmental wurden die Neuzuzüger von den Nachbarn freundlich empfangen.

Andreas Jost und Christine Müllener wohnen nun im eigenen Heimet am Hang. Doch für den ehemaligen Hinterhus-Pächter ist klar: «Daheim werde ich hier nie sein.» Sein grosser Wunsch ist es, wieder einen vielseitigen Ackerbaubetrieb zu übernehmen.


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Erstellt: 23.04.2011
Geändert: 23.04.2011
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