Rückkehrzentrum Enggistein: "Die saubere Luft tut gut"

Im Gutshof Enggistein wohnen seit den Frühlingsferien abgewiesene Asylsuchende. BERN-OST besichtigte auf Einladung des Kantons das Rückkehrzentrum und sprach mit einem der Bewohner. Obwohl Nesakumar Thirunavukkarasu zuerst kritisch war, ist er nun froh, hier zu sein. 

Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch

Die Frauen und Familien, die vom Kanton in Enggistein untergebracht sind, wollten eigentlich nicht hierher. Als ihre Verlegung von Biel bekannt wurde, setzten sie sich gemeinsam mit Asylorganisationen dafür ein, in Biel bleiben zu können (BERN-OST berichtete). Für Unmut sorgte insbesondere der Schulwechsel für die Kinder, dazu noch mitten im Schuljahr. 

 

In Biel geboren

Davon betroffen ist auch die fünfjährige Tochter von Nesakumar Thirunavukkarasu. Ashvika geht in den Kindergarten. Sie kam in Biel zur Welt, ebenso wie ihr zweijähriger Bruder Aarusan. „Biel ist die Heimatstadt unserer Kinder und die neue Heimat für mich und meine Frau“, sagt Thirunavukkarasu.  

 

Verhaftet, gefoltert, geflüchtet

Nesakumar und Thanusika Thirunavukkarasu kamen 2015 in die Schweiz. In Sri Lanka besass der Informatiker ein Institut zur IT-Ausbildung von internationalen, auch Schweizer, Hotelfachkräften. Unter den Studierenden waren auch Sympathisanten der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam). Er habe das nicht gewusst und sei selber politisch nie aktiv gewesen, erzählt er. Trotzdem wurde er von der Srilankischen Polizei als Sympathisant verhaftet, festgehalten und gefoltert. Auf Intervention seiner gut vernetzten Mutter und nach der Zahlung von viel Geld kam er wieder frei. Da habe er beschlossen, mit seiner Frau in die Schweiz zu flüchten und um Asyl zu bitten.  

 

"Ich weiss nicht, was passieren würde"

Dass das Asylgesuch der beiden 2018 abgelehnt wurde, liege nicht daran, dass die Schweizer Behörden ihm nicht glaubten. Sie gingen aber davon aus, dass sich die Familie in Sri Lanka wieder ein Leben aufbauen könnte. Für ihn sei eine Rückkehr aber keine Option, sagt Nesakumar Thirunavukkarasu. „Ich weiss nicht, was mir dort passieren würde.“ Er will mit seiner Familie in der Schweiz bleiben, wo sie sicher ist.  

 

Verschiedene Stationen

Seit dem negativen Bescheid lebt die mittlerweile vierköpfige Familie in Rückkehrzentren (RZB). Zuerst in Tramelan, dann wieder in Biel, wie schon während des Asylverfahrens während eineinhalb Jahren. Seit den Frühlingsferien nun in Enggistein. Hier führt der Kanton das erste RZB ausschliesslich für Familien und Frauen. Die RZB stehen immer wieder unter Kritik. Zuletzt in einem vom Kanton selber in Auftrag gegebenen Gutachten der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Insbesondere die Lebensumstände von Kindern, Familien und Frauen werden darin hart kritisiert.  

 

Einiges ist anders

Im RZB Enggistein ist nun einiges anders. Es gibt Räume nur für Frauen, ein Spielzimmer für die Kinder, geschlechtergetrennte sanitäre Anlagen. Am vorletzten Freitag luden die Sicherheitsdirektion und die Firma ORS, die das Asylzentrum betreibt, die Medien auf einen Rundgang ein in das Vorzeigezentrum. Das Zusammenleben habe sich gut eingespielt, sagt ORS-Betreuer Gaudenz Welti, der durch das Zentrum führte. 

 

Dem stimmt Nesakumar Thirunavukkarasu zu. Obwohl er sich gegen die Verlegung gewehrt habe, sei er nun froh, hier zu sein, sagt er zu BERN-OST. „Die saubere Luft und die Stille tun gut.“ Die Räume im RZB seien besser als in Biel, seine Tochter habe eine tolle Kindergartenlehrerin und die Leute seien nett. Damit meint er sowohl das Personal wie auch Leute aus der Umgebung. Die Worber Kirchen engagieren sich für die Bewohner:innen und sorgen für Kontakte und helfen auch mal mit Bustickets aus. Die Stimmung sei viel entspannter als in Zentren, in denen auch alleinstehende Männer wohnten, sagt auch Gaudenz Welti. 

 

Einkaufen mit dem Bus

Nicht allen Bewohner:innen gehe es wie ihm, sagt Thirunavukkarasu. So sei der steile Weg vom Dorfzentrum Enggistein zum Gutshof nicht für alle gut zu bewältigen. Für alle ein Problem ist zudem das Einkaufen. Abgewiesene Asylsuchende erhalten acht Franken pro Tag, wenn sie alleinstehend sind. Als Familie erhalten Thirunavukkarasus total 26 Franken. Nach dem Kauf eines Busbilletts nach Worb, wo es mit dem Denner eine billige Einkaufsmöglichkeit gibt, bleibe nicht mehr viel übrig für Essen, Windeln oder Kleider. In Biel war alles zu Fuss erreichbar. 

 

Schwierig sei auch das Nichtstun, sagt der ehemalige Unternehmer, der mit seinem Abgewiesenenstatus nicht arbeiten darf. Deswegen, und auch um zur Ernährung der Familie beizutragen, pflegt er in Walkringen einen kleinen Familiengarten, zu dem er ebenfalls mithilfe der Kirche kam.  

 

Letzte Chance: Härtefallgesuch

Was den Asylstatus der Familie angeht, wird sich so bald nichts ändern. Der negative Entscheid ist definitiv, der Bund schafft aber zurzeit keine Familien nach Sri Lanka aus, weil er die Situation dafür dann doch als zu unsicher einschätzt. Die letzte Möglichkeit für Thirunavukkarasus bleibt ein Härtefallgesuch, das sie einreichen wollen, wenn die Tochter in der ersten Klasse ist. 


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Erstellt: 05.07.2022
Geändert: 05.07.2022
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