Rubigen - Kick mit Board und Seil

Der neuste Aare-Trend heisst «Bungeesurfen» – in Rubigen findet nun die erste Schweizer Meisterschaft statt

Zu Beginn schaut nur der Kopf aus der reissenden Aare. Jan Gyger hat sich in Position gebracht und liegt rücklings im Fluss. Er hält sich an einem Haltegriff, der jenem von Wasserskifahrern ähnelt, welcher an einer langen Leine angebracht ist. Diese ist mit einem elastischen Seil verbunden, das noch vergleichsweise schlaff von der Hunzikenbrücke bei Rubigen herabhängt. Gyger steht auf einem Surfbrett. Er hat es quer gestellt und stemmt es gegen die Strömung. So wird er vom Wasser immer weiter flussabwärts getrieben.

Die Spannung steigt – im wahrsten Sinn des Wortes – bis das Gummiseil knapp das Vierfache seiner ursprünglichen Länge erreicht. Dann schnellt der Körper von Jan Gyger aus dem Wasser und wird vom zurückreissenden Bungeeseil in Sekundenbruchteilen auf fünfzig Stundenkilometer beschleunigt. Auf dem Surfboard schiesst der 33-Jährige über die Wasseroberfläche und vollführt dabei waghalsige Tricks und Sprünge. Noch vor der Brücke verliert er die Geschwindigkeit und taucht wieder ins kühle Nass ein. Der Kreislauf beginnt von Neuem.

Ein Leben für den Sport

«Der Kick ist noch immer bei jedem Run da», erzählt Gyger nach dem Spektakel. Er hat sich vor rund fünf Jahren ganz dem Bungeesurfen verschrieben und bezeichnet sich «durch und durch» als Sport- und Wassermensch. Noch vor den ersten Schritten sei er als Kleinkind zum ersten Mal auf dem Windsurfbrett seines Vaters im Neuenburgersee gelegen. Mit zwölf Jahren versuchte er sich auf der Aare bei Muri zum ersten Mal im Aaresurfen – damals noch mit einem normalen Seil und einem Holzbrett. Im Werkunterricht bastelte er sich sein eigenes Sportgerät.

Mit 15 Jahren kam der Rückschlag. Gyger lernte die Gefahren seines Hobbys auf traumatische Weise kennen. Nach einem Sturz verhedderte sich das Seil an seinem Bein und die Strömung drückte ihn unter Wasser. Nur mit viel Glück überlebte er diese kritische Situation, das Seil löste sich von alleine wieder. Nach diesem Erlebnis liess Gyger das «Wellenbretteln» für lange Zeit ruhen und stieg auf das Snowboard um. Zum Profi hat es da aber trotz grossen Bemühungen nie ganz gereicht. Voll im Sport engagiert, hat Gyger weder die angefangene Tiefbauzeichner- noch die Verkäuferlehre abgeschlossen.

«In Fäden gegossene Kondome»

Vor sechs Jahren beobachtete Gyger beim Eichholz einen Aaresurfer. Die Faszination war sofort zurück. Er überlegte sich, wie das Aaresurfen weiterentwickelt werden könnte, und gründete eine Einzelfirma zum Vertrieb von Bungeesurfmaterial. Inzwischen hat er sie in eine GmbH umgewandelt. Gyger verkauft spezielle Bungeeseile, die er eigens in Norditalien herstellen lässt. Sie bestehen aus mehreren hundert Latexsträngen – «in Fäden gegossene Kondome» – und sind etwa halb so dick wie normale Bungeeseile. Das günstigste Seil kostet 950 Franken. Pro Jahr verkaufe er etwa zwanzig Seile, Tendenz steigend, sagt Gyger. Langsam laufe das Geschäft auch im Ausland an. Daneben entwirft und vertreibt er speziell geformte Surfboards und weiteres Zubehör. Eine komplette Ausrüstung inklusive Neoprenanzug kommt auf mindestens 2000 Franken zu stehen. Noch könne er nicht vom Surfen leben, erzählt der Sigriswiler. Wenn es eng wird, hilft er auf Baustellen aus, mal als Handlanger, mal als Schreiner.

Bern ist Mekka der Bungeesurfer

Die Schweizer Meiserschaft, die Gyger zusammen mit Freunden organisiert, ist die erste Landesmeisterschaft weltweit. «Die Schweiz und speziell die Region Bern sind das Mekka des Bungeesurfens.» Die Grösse der Schweizer Szene schätzt er auf 300 bis 400 Personen. «Es ist auch ein Lifestyle-Ding. Wir sind eine tolle Mischung aus Aaregängern und Surfern.»

Anfängerinnen und Anfänger gelingt es laut Gyger meistens schon nach kurzer Zeit, auf dem Brett aufzustehen. Dies obwohl im Wasser «unglaubliche Kräfte» wirken. Gyger schätzt, dass beim Spannen des Seils bis zu 300 Kilogramm auf den Surfer einwirken. Eine Messung in Zusammenarbeit mit der Universität Bern soll noch in diesem Sommer Klarheit über die Werte bringen. Übermässig viel Muskelkraft brauche es aber nicht, da das Gewicht nicht bewegt, sondern bloss gehalten werden müsse, so Gyger. «Wichtiger als die Kraft ist es, ein guter Schwimmer zu sein.»

Am Wettkampf vom Wochenende wird es keine eigenen Juroren geben. «Die Jury sind die Surfer», sagt Gyger. Wer gut fahre, werde von den anderen auf einer Tafel notiert und qualifizierte sich so für die nächste Runde. «Es gibt zu viele unterschiedliche Stile für eine strikte Bewertungsskala», sagt Gyger. Die 10 bis 20 Zentimeter hohen Wellen bei der Hunzikenbrücke reichten bei den besten Surfern aus für 1,5 Meter hohe und 5 Meter weite Sprünge.

Harmonieren mit der Natur

«Bungeesurfing ist ein Harmonieren mit den Naturgewalten», sagt Gyger zum Schluss des Gesprächs. Wer versuche, gegen das Wasser anzukämpfen, habe keine Chance. Das Gefühl sei noch intensiver als beim Snowboarden, da man vollständig von einem Element umschlossen sei. «In den guten Momenten entsteht eine Symbiose mit dem Sportgerät und der Natur. Das ist der Moment der Freiheit, man ist vollständig fokussiert auf das Eine.»

Lange Geschichte

Bungeesurfen mag noch so trendig tönen, Flusssurfen ist eine alte Sache. Gemäss mündlicher Überlieferung wurde auf der Aare bereits um 1920 mit Hanfseil und Holzbrett gesurft. In den Sechzigerjahren wuchs das Interesse, was dazu führte, dass die Polizei Bussen verteilte, vor allem in der Gemeinde Muri. Die Polizei argumentierte, ein Surfbrett sei ein Wasserfahrzeug und müsse somit ein Nummernschild haben.

Die ersten kleinen «Wäuebrättli»-Wettkämpfe wurden Ende der Siebzigerjahre durchgeführt. Sie seien von bis zu 200 Zuschauern besucht worden. Den Behörden gefiel das Treiben auf der Aare hingegen nicht. Sie erliessen ein Verbot zum Flusssurfen, das bis 1994 Gültigkeit hatte.

Um die Jahrtausendwende wurde in der Regel wieder mit einem statischen Seil und mit einem an den Füssen fixierten Brett gesurft. Das elastische Bungeeseil und das lose Surfbrett sind also bloss die neusten Entwicklungen in einer alten «Trendsportart».

[i] Die 1. Schweizermeisterschaft im Bungeesurfen findet am Samstag und Sonntag bei der Hunzikenbrücke in Rubigen statt. Weitere Infos: www.sbsa.ch.

Christian Brönnimann, "Der Bund"

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Erstellt: 07.08.2009
Geändert: 07.08.2009
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