Rubigen - «Ich habe es gern, wenn ich mit anderen Leuten zusammen bin»
Das Humanus-Haus Beitenwil stellt Texte aus von Menschen mit geistiger Behinderung.
«Ich habe das Gefühl, ich bin zur Welt gekommen, um der Gesellschaft einen Gefallen zu tun.» Dieser Satz stammt von Clemens Wild. Der 45-Jährige lebt im Humanus-Haus Beitenwil in Rubigen. In der Ausstellung, die im grossen Saal gezeigt wird, spielt er eine Doppelrolle. Nebst einem Text stellt er auch Porträtzeichnungen aus. Seit Jahren ist er ein leidenschaftlicher Comiczeichner. Als ihn die Maltherapeutin fragte, ob er nicht einmal jemand aus dem Humanus-Haus zeichnen könnte, sagte er zu – und es blieb nicht bei einem Porträt. Mittlerweile hat er 100 angefertigt – darunter eines von sich. Sein Gesicht liess er von der Therapeutin vollenden. Wenn er sich selber zeichne, habe er es nicht mit einem «wirklichen Gegenüber» zu tun, sagt er.
Das anthroposophisch geführte, 1974 gegründete Humanus-Haus versteht sich als Dorfgemeinschaft, in der 100 Menschen mit «unterschiedlichen Fähigkeiten» leben und arbeiten, wie es in einer Broschüre heisst. Dazu kommen 160 Mitarbeitende, die extern leben.
«Flott abschreiben»
Im Zentrum der Ausstellung stehen 30 Plakate in starken Farben. Sie enthalten mehr oder weniger lange Texte. Sprachtherapeutin Monika Kellersberger hat mit den 30 Frauen und Männern, mit denen sie derzeit arbeitet, Gespräche geführt. Ausgegangen ist sie von Fragen nach dem, was das Menschsein ausmacht. Sie hat mitgeschrieben und das Ergebnis ausgedruckt – und diesen Text wiederum haben die Autorinnen und Autoren abgeschrieben. Einige konnten «flott abschreiben», andere haben Buchstaben um Buchstaben hingemalt.
«Der Mensch hat eine Unterschrift»: Dieser Satz stammt vom 22-jährigen Chöying Phurtag. «Es ist der einzige Satz, den er gesagt hat», sagt Monika Kellersberger. Für sie aber wars ein Schlüsselsatz, der zum Titel der Ausstellung wurde: «Genau das ist es», habe sie gedacht, «dass wir so verschieden schreiben, wie wir verschieden sind.»
Welches Leben ist lebenswert?
Die 30 Texte enthalten bemerkenswerte Aussagen. Häufig ist zu lesen, wie wichtig andere Menschen für einen sind, oder das, was man tut. Oder «wie gut es ist, wenn ich machen kann, was ich will». Lebensfreude und Lebensbejahung kommt vielerorts zum Vorschein. «Ich bin froh, dass ich lebe. Ich habe es gern, wenn ich mit anderen Leuten zusammen bin», schreibt die 40-jährige Pascale Kuratli. Gerade vor dem Hintergrund der Debatte um die Frühdiagnostik bei Schwangerschaften oder angesichts der Frage, welches Leben denn lebenswert sei, werde die Bedeutung solcher Sätze plötzlich eine ganz andere, sagt Monika Kellersberger. Wenn sie Aussagen lese wie «Ich bin gern da, ich habe hier eine Aufgabe», sei das «etwas ganz Besonderes» für sie.
Es gibt aber auch das Gegenteil. Monika Kellersberger zitiert aus dem Text der 47-jährigen Rosemarie Flückiger: «Ich bin kein glücklicher Mensch. Mein Herz ist traurig, aber ich weiss nicht wieso.» Und doch ist nicht alles negativ in diesem Text, der letzte Satz ist mehr als versöhnlich: «Ich geniesse das Leben», heisst es da. Ambivalenz sei in diesen Texten genauso festzustellen «wie bei uns auch», sagt Monika Kellersberger. Überhaupt gehe sie, wie hier üblich, davon aus, dass der Mensch nicht behindert sei. Er habe zwar eine Beeinträchtigung, die ihn in gewissen Funktionen behindere, «aber das Eigentliche, der Kern ist nicht behindert – der ist richtig und ganz, so wie er sein muss». Eindrücklich zeige die Ausstellung, wie nahe die Leute, die mit einer Behinderung leben müssen, «unserem Innenleben sind», sagt Monika Kellersberger. «Es sind die gleichen Fragen, die sie beschäftigen.»
«Ein starkes Ich-Erlebnis»
Die Sprachtherapeutin zitiert dazu andere «geniale Sätze, die über das Individuelle hinausweisen» («Für den Menschen ist alles wichtig») oder «vieles auf den Punkt bringen» («Aber warum ich wirklich da bin, ist eigentlich ein Geheimnis»). Sprache sei eine besondere Gabe, die sehr viel mit dem Ich-Gefühl zu tun habe, sagt Monika Kellersberger. Wenn diese Texte, die an der Vernissage von einer Schauspielerin vorgelesen wurden und auch in einem Heft zusammengestellt sind, nun von anderen Menschen gelesen, «gar gern gelesen werden», sei dies «ein starkes Ich-Erlebnis» für die Autorinnen und Autoren. «Das freut mich fast am meisten.»
Dass die Texte Freude bereiten, wird auf einem kleinen Rundgang übers Gelände des Humanus-Hauses ersichtlich. Matthias Fluri ist einer der Autoren. An diesem Tag sitzt er in der Gärtnerei und rüstet Gemüse. Als Monika Kellersberger ihm die Passage aus seinem Text vorliest, wo er erzählt, wie er als Kind «ein Velöli in den Brunnen geworfen hat», muss er lachen. Auch die Frau, die ihm gegenübersitzt, beginnt zu lachen. Und kann fast nicht mehr aufhören.
[i] Die Ausstellung «Der Mensch hat eine Unterschrift» im Humanus-Haus Beitenwil in Rubigen ist noch heute Samstag und am 9. Januar (10 bis 12 und 13 bis 16 Uhr) sowie am 16. Januar (13 bis 17 Uhr) geöffnet oder nach Vereinbarung (031 838 11 42) – www.humanus-haus.ch
Dölf Barben, "Der Bund"
Das anthroposophisch geführte, 1974 gegründete Humanus-Haus versteht sich als Dorfgemeinschaft, in der 100 Menschen mit «unterschiedlichen Fähigkeiten» leben und arbeiten, wie es in einer Broschüre heisst. Dazu kommen 160 Mitarbeitende, die extern leben.
«Flott abschreiben»
Im Zentrum der Ausstellung stehen 30 Plakate in starken Farben. Sie enthalten mehr oder weniger lange Texte. Sprachtherapeutin Monika Kellersberger hat mit den 30 Frauen und Männern, mit denen sie derzeit arbeitet, Gespräche geführt. Ausgegangen ist sie von Fragen nach dem, was das Menschsein ausmacht. Sie hat mitgeschrieben und das Ergebnis ausgedruckt – und diesen Text wiederum haben die Autorinnen und Autoren abgeschrieben. Einige konnten «flott abschreiben», andere haben Buchstaben um Buchstaben hingemalt.
«Der Mensch hat eine Unterschrift»: Dieser Satz stammt vom 22-jährigen Chöying Phurtag. «Es ist der einzige Satz, den er gesagt hat», sagt Monika Kellersberger. Für sie aber wars ein Schlüsselsatz, der zum Titel der Ausstellung wurde: «Genau das ist es», habe sie gedacht, «dass wir so verschieden schreiben, wie wir verschieden sind.»
Welches Leben ist lebenswert?
Die 30 Texte enthalten bemerkenswerte Aussagen. Häufig ist zu lesen, wie wichtig andere Menschen für einen sind, oder das, was man tut. Oder «wie gut es ist, wenn ich machen kann, was ich will». Lebensfreude und Lebensbejahung kommt vielerorts zum Vorschein. «Ich bin froh, dass ich lebe. Ich habe es gern, wenn ich mit anderen Leuten zusammen bin», schreibt die 40-jährige Pascale Kuratli. Gerade vor dem Hintergrund der Debatte um die Frühdiagnostik bei Schwangerschaften oder angesichts der Frage, welches Leben denn lebenswert sei, werde die Bedeutung solcher Sätze plötzlich eine ganz andere, sagt Monika Kellersberger. Wenn sie Aussagen lese wie «Ich bin gern da, ich habe hier eine Aufgabe», sei das «etwas ganz Besonderes» für sie.
Es gibt aber auch das Gegenteil. Monika Kellersberger zitiert aus dem Text der 47-jährigen Rosemarie Flückiger: «Ich bin kein glücklicher Mensch. Mein Herz ist traurig, aber ich weiss nicht wieso.» Und doch ist nicht alles negativ in diesem Text, der letzte Satz ist mehr als versöhnlich: «Ich geniesse das Leben», heisst es da. Ambivalenz sei in diesen Texten genauso festzustellen «wie bei uns auch», sagt Monika Kellersberger. Überhaupt gehe sie, wie hier üblich, davon aus, dass der Mensch nicht behindert sei. Er habe zwar eine Beeinträchtigung, die ihn in gewissen Funktionen behindere, «aber das Eigentliche, der Kern ist nicht behindert – der ist richtig und ganz, so wie er sein muss». Eindrücklich zeige die Ausstellung, wie nahe die Leute, die mit einer Behinderung leben müssen, «unserem Innenleben sind», sagt Monika Kellersberger. «Es sind die gleichen Fragen, die sie beschäftigen.»
«Ein starkes Ich-Erlebnis»
Die Sprachtherapeutin zitiert dazu andere «geniale Sätze, die über das Individuelle hinausweisen» («Für den Menschen ist alles wichtig») oder «vieles auf den Punkt bringen» («Aber warum ich wirklich da bin, ist eigentlich ein Geheimnis»). Sprache sei eine besondere Gabe, die sehr viel mit dem Ich-Gefühl zu tun habe, sagt Monika Kellersberger. Wenn diese Texte, die an der Vernissage von einer Schauspielerin vorgelesen wurden und auch in einem Heft zusammengestellt sind, nun von anderen Menschen gelesen, «gar gern gelesen werden», sei dies «ein starkes Ich-Erlebnis» für die Autorinnen und Autoren. «Das freut mich fast am meisten.»
Dass die Texte Freude bereiten, wird auf einem kleinen Rundgang übers Gelände des Humanus-Hauses ersichtlich. Matthias Fluri ist einer der Autoren. An diesem Tag sitzt er in der Gärtnerei und rüstet Gemüse. Als Monika Kellersberger ihm die Passage aus seinem Text vorliest, wo er erzählt, wie er als Kind «ein Velöli in den Brunnen geworfen hat», muss er lachen. Auch die Frau, die ihm gegenübersitzt, beginnt zu lachen. Und kann fast nicht mehr aufhören.
[i] Die Ausstellung «Der Mensch hat eine Unterschrift» im Humanus-Haus Beitenwil in Rubigen ist noch heute Samstag und am 9. Januar (10 bis 12 und 13 bis 16 Uhr) sowie am 16. Januar (13 bis 17 Uhr) geöffnet oder nach Vereinbarung (031 838 11 42) – www.humanus-haus.ch
Dölf Barben, "Der Bund"