Rubigen - Ein Ungetüm, ein Biest und fünfzig Helden der Nacht

Zwischen Rubigen und Münsingen werden in diesen Wochen neue Gleise verlegt, auch Schotter und Schwellen werden neu eingebaut. Eine rollende Fabrik erledigt diese Schwerstarbeit. Fünfzig Männer stehen nächtelang im Einsatz.

Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ
Es ist kurz vor Mitternacht, und es gibt ein Problem. Seit mehreren Minuten steht die Maschine namens Puma-S still. «Eigentlich müsste sie jetzt laufen», sagt Raphael Mosimann, Projektleiter von SBB Infrastruktur und verantwortlich für die Baustelle. Puma-S ist ein Bauzug oder doch eher eine Hunderte Meter lange Fabrik auf Schienen. Ein stählernes Ungetüm, das faucht und rumpelt, selbst wenn es stillsteht.Mosimann macht sich auf den Weg zum Ende des Zugs. «Mal schauen, was da los ist.» Er ist aber noch nicht angekommen, da setzt sich der Zug schon wieder in Bewegung.

Alles neu macht der Mai

Die Nacht von Montag auf Dienstag, die Rubiger und die Münsinger liegen längst im Bett. Doch an der Bahnlinie zwischen den beiden Bahnhöfen ist der Teufel los. Zum ersten Mal seit 1979 erneuern die SBB auf dem 1,7 Kilometer langen Abschnitt die Gleise. Für 3,5 Millionen Franken.

Noch bis Anfang Juni werden 5700 Betonschwellen montiert, 10 000 Tonnen Schotter gereinigt oder neu eingebaut und total 7 Kilometer Schienen verlegt. Diese Woche wird das Gleis Richtung Münsingen ersetzt. Übernächste Woche das Gleis Richtung Rubigen (siehe Kasten).

Arbeit bei Nacht und Lärm

Puma-S ist am Sonntagabend in Rubigen gestartet. Pro Stunde schafft er 150 Meter. Jetzt, nach anderthalb Nächten, hat er Münsingen fast erreicht. Zusammen mit den angehängten Materialwagen ist er gegen 400 Meter lang. Sein Job: Alte Schwellen ausbauen, neue Schwellen einbauen.

Das wäre keine so grosse Sache, wenn die Schwellen nicht die tonnenschweren Schienen tragen würden, über die wiederum der 200 Tonnen schwere Bauzug gleitet. So aber ist es eine Herkulesaufgabe. Nicht nur für Puma-S, vor allem auch für die fünfzig Männer, die im Einsatz stehen. Poliere, Transportführer und Sicherheitswärter bewegen sich auf und neben den Gleisen. Sie kommen aus dem Kanton Bern und der Romandie, aus Italien, Spanien oder den Balkanstaaten. «Sie verrichten eine anstrengende Arbeit», sagt Mosimann.

Mal hier, mal dort im Einsatz

Bei wenig Licht, viel Lärm und staubiger Luft arbeiten sie auf dem unebenen Untergrund aus Schotter und Gleisen. Sie klettern über Grasböschungen, arbeiten unter fahrenden Maschinen. Und dies, während alle paar Minuten eine Sirene aufheult, die Warnlampen blinken und auf dem Gleis nebenan ein Zug vorbeibraust.

«Man muss bei der Sache sein», sagt Peter Zimmermann und zieht an seinem Stumpen. Er ist der Baustellenchef der Firma Scheuchzer, welche die Bauzüge herstellt und einsetzt. Ein alter Hase, der seit 43 Jahren «auf dem Gleis» arbeitet. Früher kamen auf 80 Prozent Handarbeit 20 Prozent Maschinenarbeit. «Heute ist das Verhältnis umgekehrt.» Zimmermann und seine Leute arbeiten da in der Schweiz, wo sie ­gerade gebraucht werden. Kein Problem. «Man gewöhnt sich an die Nachtarbeit.» Gegen Morgen wird er sich in ein Münsinger Hotelbett legen.

Neuer und alter Schotter

Die Arbeiten kommen voran. Maschine und Arbeiter lösen die Schrauben und heben die Schienen an. Von dieser Last befreit, können die Schwellen aus dem Schotter geholt werden. Kurz darauf werden die neuen, glänzenden Betonschwellen auf den Boden gesetzt. Schliesslich werden die alten Schienen von Werkzeug und Bauarbeitern auf den neuen Schwellen befestigt. «Das ist auch für mich keine normale Arbeit», sagt Projektleiter Mosimann.

Während sich Puma-S relativ zügig dem Bahnhof Münsingen nähert, hat es sein kleinerer ­Gefährte noch nicht aus Rubigen herausgeschafft: Bauzug C67 nimmts gemütlicher – doch er ist ein kleines Biest. Sein Job: Den verbrauchten Schotter aussortieren, noch brauchbaren reinigen und mit dem neuen Schotter einbauen. Eine ohrenbetäubende Sache, staubig dazu.

«Wenn der Regen kommt, wird es etwas angenehmer», sagt Polier Patrick Bigler. Ansonsten gebe es Masken gegen den Staub und Ohrenschützer gegen den Lärm. Man muss ihn schon vom Zug weglocken, damit man sein Wort versteht. «Wenn man gleich neben den Maschinen steht, nimmt man den Lärm weniger wahr», sagt er. Bigler ist zufrieden, es laufe alles reibungslos. Drei Nächte braucht C67 bis Münsingen.

Bald wieder Tempo 160

Damit ist die Arbeit noch nicht getan. Danach muss das Gleisbett mit noch mehr Schotter gefüttert werden. Eine Stopfmaschine wird mit mehreren Durchgängen für einen stabilen Untergrund sorgen. Am Ende dieser Woche werden dann die neuen Schienen verlegt. «Eine Millimeterarbeit», sagt Raphael Mosimann. Dann: Nochmals Schotter, nochmals stopfen, bis das Gleis schliesslich bereit ist für Züge, die mit Tempo 160 durchs Aaretal sausen.

Dann ist das Werk fertig vom schweren Ungetüm, vom lauten Biest und von fünfzig Helden der Nacht.

Zugverkehr

Der Zugverkehr ist wegen der Bauarbeiten zwischen Rubigen und Münsingen eingeschränkt. Bis Freitag und nochmals vom 23. bis 27.?Mai kann die Strecke nur eingleisig befahren werden. An diesen Tagen verkehrt die S1 zwischen Bern und Thun zu den Randzeiten nur im Stundentakt. «Wir haben uns für die Variante mit den kleinstmög­lichen Einschränkungen entschieden», sagt Sprecherin Franziska Frey. «Hätte man die Arbeiten beispielsweise am Wochenende durchgeführt, hätten wir bis zu acht Wochenenden dafür benötigt.» Zudem wäre es sehr aufwendig gewesen, die Gleise während der Wochen dazwischen wieder fahrbar zu machen. Für die BLS blieben die Auswirkungen bisher im erwarteten Rahmen. «Die Verspätungen bewegen sich zwischen vier und sieben Minuten», sagt Sprecherin Helene Soltermann. «Damit haben wir gerechnet.» Auch die Kapazität zu den Randzeiten reiche aus. Werde der Mutz doppelt geführt, biete er 1800 Sitz- und Stehplätze
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Erstellt: 11.05.2016
Geändert: 11.05.2016
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