Rubigen - Der Neubau neben der Kiesgrube
Die Firma Kästli will einen neuen Hauptsitz bauen, Landschaftsschützer wehren sich. Das Bauprojekt in Rubigen ist exemplarisch für die aktuelle Diskussion um Raumplanung und Kulturlandschutz.
Die Kästli-Gruppe platzt an ihrem heutigen Hauptsitz an der Grubenstrasse in Ostermundigen aus allen Nähten, daher will das Unternehmen diesen nach Rubigen verschieben. Dort sind bereits mehrere Betriebszweige angesiedelt. Seit den 1950er-Jahren baut Kästli in der Gemeinde Kies ab. Gleich neben der Kiesgrube soll unter anderem ein neues Dienstleistungszentrum entstehen. «Der Standort ist gut situiert und bietet unserer Firma Entwicklungsmöglichkeiten», sagt Mitinhaber Daniel Kästli. Das Bau-, Recycling- und Transportunternehmen will rund 15 Millionen Franken investieren. Statt wie bisher 100 sollen am Standort Rubigen künftig 270 Angestellte stationiert sein - wobei ein Teil nicht direkt vor Ort arbeiten wird, sondern auf den Baustellen in der Region.
Dort, wo Kästli bauen will, befindet sich heute eine grüne Wiese. Das 16 500 Quadratmeter grosse Stück Land befindet sich in der Abbau- und Ablagerungszone. Damit das Projekt realisiert werden kann, braucht es also eine Umzonung. Darüber befinden am 24. November die Stimmberechtigten der Gemeinde. Zur Abstimmung kommt die «Überbauungsordnung Rubigen-Nord», wie die Vorlage genannt wird.
Der Rubiger Gemeinderat unterstützt das Vorhaben. «Wir wollen ortsansässigen Firmen gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten», sagt Gemeindepräsident Renato Krähenbühl (BDP). Bei der letzten Ortsplanungsrevision habe man den Fokus auf zusätzliche Wohnmöglichkeiten gerichtet, was viele Pendler nach Rubigen gebracht habe. Jetzt mache der Gemeinderat eine «Korrektur». Der Bereich Arbeiten soll nebst dem Wohnen nicht zu kurz kommen.
Landschaft wird neu geprägt
Auf der einen Seite sehen die Gemeinde und das Unternehmen die Chance, sich weiterzuentwickeln. Auf der anderen Seite soll eine Wiese verschwinden: Das Neubauprojekt zeigt exemplarisch auf, in welchem Spannungsfeld sich die aktuelle Raumplanungsdiskussion bewegt. Da prallen wirtschaftliche Interessen auf die Bemühungen, den Boden und die Landschaft besser zu schützen.
Es gibt in Rubigen denn auch Widerstand. «Die Überbauung ist landschaftsplanerisch brutal», sagt Ulrich Straub. Der pensionierte Architekt gehört der kleinen Bürgergruppe IG Landschaftsschutz Rubigen-Nord an, die sich gegen das Projekt zur Wehr setzt. Straub stört sich daran, dass mitten auf der freien Strecke zwischen Rubigen und Allmendingen eine «Riesenanlage» erstellt werden soll.
Auf Anfrage des «Bund» äussert auch die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) Bedenken. «Die grossen Gebäudevolumen werden neue Massstäbe in einer ländlich geprägten Landschaft setzen. Die Dorf- und Weilerlandschaft wird zur Industrielandschaft», sagt Projektleiterin Anita Wyss. Der Standort der Überbauung sei nur «bedingt nachvollziehbar», und der Beeinträchtigung der Landschaft sei «zu wenig Beachtung» geschenkt worden.
Einen «Turm» gibt es nicht
«Es gibt eine Veränderung der Landschaft», sagt auf der anderen Seite Daniel Kästli. Der Eingriff solle aber so rücksichtsvoll wie möglich erfolgen. Zudem spricht er das Fachgremium an, das gemäss Überbauungsordnung vorgesehen ist. Dieses soll überprüfen, ob sämtliche Bauten landschaftsverträglich sind. «Es ist besser, am Rand der heutigen Kiesgrube zu bauen, als losgelöst irgendwo auf freiem Feld», sagt Renato Krähenbühl.
Im Mitwirkungsverfahren wurde die maximal mögliche Höhe des geplanten Dienstleistungsgebäudes von 30 auf 15 Meter reduziert. Einen «Turm» wird es also nicht geben. Für die Stiftung Landschaftsschutz ist das «erfreulich» - für Kästli weniger: «Dadurch müssen wir in die Breite bauen und werden in unserer Entwicklung eingeschränkt.» Er erwähnt in diesem Zusammenhang, dass nur mit verdichtetem Bauen haushälterisch mit dem Boden umgegangen werden könne. «Wenn wir nicht in die Höhe bauen, ist eine Verdichtung nicht möglich.»
«Typischer» Planungsprozess
Durch die Überbauung würden 6770 Quadratmeter sogenannte Fruchtfolgefläche verloren gehen. In einem Gutachten wird die Qualität des Bodens zwar bestritten. Doch den fortschreitenden Verlust der qualitativ guten Böden beobachten insbesondere die Bauern mit Argusaugen, da diese Böden Grundlage ihrer Existenz sind. Daher will der Bauernverband Lobag noch in diesem Monat - zusammen mit den Grünen und der BDP - eine kantonale Volksinitiative lancieren, damit das Kulturland besser geschützt wird.
Für Lobag-Präsident Hans Jörg Rüegsegger ist das Beispiel Rubigen «typisch» dafür, wie heute ein Planungsprozess abläuft. «An das Kulturland denkt man zuletzt», sagt er. Mit der Initiative will die Lobag erreichen, dass die Kulturlandfrage bei solchen Projekten künftig zuerst angeschaut wird. «Eine Entwicklung soll weiterhin möglich sein. Heute macht man es sich bei der Interessenabwägung aber oft zu einfach.»
Abstimmung in Rubigen: Weniger Unfälle dank neuem Kreisel?
An Stelle der heutigen Unterführung soll auf der Strasse von Rubigen nach Allmendingen ein neuer Kreisel gebaut werden.
Die Überbauungsordnung Rubigen-Nord, über welche am 24. November die Stimmberechtigten der Gemeinde befinden, sorgt nicht nur wegen des Eingriffs in die Landschaft für Diskussionsstoff (siehe Haupttext), auch der geplante neue Kreisel gibt zu reden. Dieser soll an Stelle der 1958 errichteten Unterführung auf der Hauptstrasse Richtung Allmendingen gebaut werden. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 3,2 Millionen Franken. Es ist vorgesehen, dass die Firma Kästli 1,7 Millionen beisteuert, der Kanton 600 000 Franken. Die restlichen 900 000 Franken gehen zulasten der Gemeinde. Dieser Betrag wird zu etwas mehr als der Hälfte durch die Mehrwertabschöpfung in der Höhe von einer halben Million Franken gedeckt, welche Rubigen aufgrund der Einzonung geltend macht.
Die IG Landschaftsschutz Rubigen-Nord bemängelt, dass der Kreisel zu stark auf die Firma Kästli ausgerichtet sei und diese bei der Kostenaufteilung zu gut wegkomme. Der Gemeinderat schreibt in der Abstimmungsbotschaft, dass auch andere Firmen, die auf dem Areal bei der Kiesgrube ansässig seien, vom Kreisel profitierten. Zudem werde die Zufahrt zum Rubigen-Center, dem Werkhof oder dem nahen Weiler Kleinhöchstetten verbessert. Ferner argumentiert der Gemeinderat mit der Sicherheit. In den letzten vier Jahren gab es auf der Strasse zwischen Rubigen und Allmendingen zwei schwere Unfälle wegen übersetzter Geschwindigkeit. Einer endete tödlich. «Wir gehen davon aus, dass diese Unfälle mit dem Kreisel nicht passiert wären», sagt Gemeindepräsident Renato Krähenbühl (BDP).
Gegen die Überbauungsordnung Rubigen-Nord sind derzeit vier Einsprachen hängig. Im Weiteren läuft ein baupolizeiliches Verfahren gegen die Firma Kästli. Anwohner, die der IG angehören, haben Anzeige erstattet, weil Kästli das Kiesabbaureglement der Gemeinde aus dem Jahr 1961 verletzen soll.