Rubigen - Bahnbillette und dazu einen Kaffee

Otto Rüfenacht ist mit dem Bahnhof Rubigen seit 1972 verbunden, zuerst als Beamter und in den letzten Jahren als «Bahnhof-Öttu». Sein Bistro im Bahnhof wurde zum Dorftreffpunkt. Nun geht er in Pension.

Markus Dütschler, Der Bund

Auf der schnurgeraden Eisenbahnstrecke in Rubigen nähert sich ein ICE. Die Zugkomposition rast am Perron vorbei, und die Luftwirbel zerzausen die Frisuren der Leute, die auf die S-Bahn warten. Die Bahnstation ist modern, zweckmässig, nüchtern – und etwas seelenlos. Das ändert sich, sobald man durch die Lücke in der gläsernen Schallschutzwand auf die andere Seite tritt. Hier, im Stationsgebäude, riecht es nach Kaffee. Der Ankömmling fühlt sich wie in einer Dorfbeiz. Hier kennen sich alle, flotte Sprüche machen die Runde. Ein Gartenbeizli gibt es auch, in dem man zuweilen einen Satz wiederholen muss, weil ein lärmiger Güterzug vorbeidonnert.

Hinter dem Bistrobuffet im Bahnhof steht ein Mann im blauen T-Shirt, auf dem «Öttu» steht. Eigentlich unnötig, denn ihn kennt hier jeder. «Sogar Schulkinder nennen mich so», sagt der 62-jährige Otto Rüfenacht. Das war früher anders. Als er 1972 in Rubigen anfing, nannten ihn ältere Kunden «Herr Vorstand», obwohl er diese Funktion noch nicht bekleidete. Er wurde Betriebsbeamter, verkaufte am Schalter Billette, schaltete im Stellwerk Signale von Hand und stellte Weichen, indem er die Hebel des mechanischen Stellwerks umlegte.

Passierte ein Zug die Nachbarbahnhöfe Münsingen oder Ostermundigen, klingelte in Rubigen die Signalglocke. Der Bähnler wusste nun, dass ein Zug kommt, und schaltete die Fahrstrasse frei. Oder verschwitzte es hie und da, sodass der Lokführer vor dem Signal unnötigerweise halten musste. «Der Kondukteur des Zuges und ich einigten uns, was wir in den Fahrbericht und in den Rapport schreiben», erinnert sich Rüfenacht – meist den unverfänglichsten Grund: «technische Störung».

Er wollte weg – und blieb doch

Vor dem Taktfahrplan 1982 gab es während einer Dienstschicht ruhige Phasen. «Dann füllte man Formulare für den Güterverkehr aus.» Selbst an kleineren Stationen konnte man Güter aufgeben und Reisegepäck abholen. Nachts «hütete» ein Beamter das Stellwerk für die Güterzüge. Heutzutage wird das Bahnnetz der Schweiz von wenigen computerisierten Leitstellen aus rund um die Uhr gesteuert und überwacht.

Eigentlich wollte Rüfenacht bald wieder weg aus Rubigen, doch fand sich in den SBB-Stellenlisten nie das Passende. Also blieb er, heiratete, bekam zwei Kinder, wurde SP-Amtspräsident, Gemeinderat, Vormund und bekleidete Chargen in der Eisenbahnergewerkschaft SEV. «Ich habe fast alles gemacht, was es gibt.» Zum Glück sei er in Rubigen geblieben, sagt Rüfenacht, denn die Bahnhöfe, zu denen er hätte wechseln können, seien bald geschlossen worden.

Vom Beamten zum Unternehmer

Der Bahnhof Rubigen wurde 1985 gar abgebrochen, jedoch durch ein neues Gebäude ersetzt. Der Neubau bekam als zweckmässigster Kleinbahnhof Europas den Brunel-Award, ein internationaler Preis für Eisenbahndesign. Das mechanische Stellwerk und der Streckenblock der Berner Signaltechnik-Firma Hasler, die später in der Ascom aufging, bekam zur Freude vieler Bahnfans einen Platz in einer Glaskabine. Auch die Läutanlage steht noch immer da, wenn auch ohne Funktion.

Als 1985 der Billettschalter geschlossen werden sollte, sammelten die Rubiger 700 Unterschriften. Obwohl Billettautomaten immer mehr aufkamen, blieb der Schalter bestehen, und Rüfenacht verkaufte weiterhin die kleinen Fahrausweise aus Karton. Da es kein Stellwerk mehr gab und somit weniger Arbeit, war die Station ein Einmannnbetrieb. 1999 sollte auch dieser eine Mann abgeschafft werden. Das wollte Rüfenacht verhindern. «Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann», zititer er einen Satz des französischen Künstlers Francis Picabia. Nicht ohne Grund, denn Picabia war mit der Rubigerin Olga Mohler verheiratet. Rüfenacht nahm sich den Spruch zu Herzen und wandelte sich vom Beamten zum Unternehmer.

Im Jahr 2000 eröffnete er im Bahnhof das Reise-Bistro.Hier gibt es seither Kaffee und Gipfeli, Toasts aus einem Öfeli, Bier, Zigaretten – und Billette. Vereine liessen sich Reisli organisieren und meldeten danach, wenn ein Hotel nicht den Erwartungen entsprochen hatte. Für Lehrer arbeitete «Öttu» Schulreisen aus. Es schien ein Modell für andere Kleinbahnhöfe zu werden, doch versandete die Idee in der SBB-Führung.

Das Rubiger Konzept – Teilzeitanstellung bei den SBB und privates Nebengeschäft – blieb ein Einzelfall, der Ende Monat endet. Den Wechsel zum roten Swiss Pass habe er nicht mehr mitgemacht, sagt Rüfenacht, dazu hätte es eine neue Software gebraucht. Ohnehin kaufen heute die meisten Kunden ihre Billette am Automaten, im Internet oder über das Smartphone. «Das Persönliche geht immer mehr verloren, aber ich weiss auch nicht, wie man das ändern kann.»

Bahnhoffest zum Abschied

Otto Rüfenacht, bekannt als «Bahnhof-Öttu», geht mit 62 Jahren in Pension. Das von ihm «erfundene» Café mit Billettschalter ist am kommenden Montag letztmals geöffnet. Vom 4. bis 6. September gibt es ein Bahnhoffest, nicht das erste Mal, doch diesmal wird «Öttu» verabschiedet. Das «Bistrotto» wird vom 14. 9. bis zum 4. 10. umgebaut.

Der Billettdrucker verschwindet, dafür gibt es mehr Sitzplätze, und dank einer Küche wird das Speiseangebot grösser. Rüfenachts Tochter Cornelia Wittwer-Rüfenacht und Schwiegertochter Nicole Rüfenacht Tschanz übernehmen den Betrieb, in dem sie seit Jahren mitarbeiten. Ein Café mit Billettverkauf gibt es auch in der RBS-Station Fraubrunnen. Schweizweit gibt es nur elf private SBB-Stationshalter.

[i] Siehe auch News-Bericht "Bahnhof Rubigen: Otto Rüfenacht geht, Billettschalter wird geschlossen, Bistro bleibt" vom 04.07.2015...


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Erstellt: 27.08.2015
Geändert: 27.08.2015
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