Rubigen - Auf dem Berner Inselparadies dudelt Chartmusik

In der vor zehn Jahren renaturierten Hunzigenau bei Rubigen prallen die Bedürfnisse von Tieren und Erholungssuchenden aufeinander. Die Natur gedeiht trotzdem prächtig.

Simon Preisig, Der Bund
Direkt nach der kleinen Fussgängerbrücke beginnt das Paradies. Totholz liegt im Wasser, Vögel zwitschern und das Kies knirscht in der Strömung. Obwohl man sich nur auf einer kleinen Aareinsel befindet, fühlt man sich ein bisschen wie in der wildesten Natur Kanadas. Bereits seit zehn Jahren ist die Hunzigenau bei Rubigen nun renaturiert. Die Aare hat seit damals mehr Platz und ist nicht mehr in den im 19. Jahrhundert gebauten Kanal gezwängt. Rund um die bei der Umgestaltung geschaffenen Inseln sucht sich der Fluss seinen eigenen Weg.

Die Äschen laichen wieder

Hans Thönen, ehemaliger Präsident des Fischereiverbands Aaretal und langjähriger Hunzigenau-Kenner, schwärmt über die Vorteile solcher Renaturierungen: «Die Kiesbänke sind perfekte Laichplätze für Forellen und Äschen.» Als die Aare noch im Kanal floss, hatte Hans Thönen seit Jahren keine abgelegten Fischeier mehr gefunden.

Nun habe es gleich mehrere Laichgebiete. Anders als in verbauten Flussabschnitten fliesst das Wasser in naturnahen Gewässern nicht überall gleich schnell, was etwa den Äschen erlaubt, ihre Eier im dort lockereren Kiesboden abzulegen. Mit den Fischen sind auch andere Tiere wie der Biber, der Fischotter und seltene Entenarten in die Hunzigenau zurückgekehrt.

Neben der Natur wird mit einer Renaturierung laut Thönen auch das Trinkwasser geschützt: Ein kanalisierter Fluss gräbt sich jedes Jahr tiefer in sein Bett ein und gefährdet so früher oder später das Grundwasser. Zudem stelle die Aare, wenn sie Platz hat, auch bei einem Hochwasser eine kleinere Gefahr dar.

Was den Tieren gefällt, liebt auch der Mensch. Bereits wenige Meter nach dem Brücklein ist zum ersten Mal laute Chartmusik zu hören. Eine Gruppe von gerade dem Teenager-Alter entwachsenen Männern und Frauen sitzt dort auf ihren Campingstühlen, trinkt Bier, grilliert und diskutiert. «Wir kommen in den Sommerferien fast jedes Wochenende hierher», so einer der jungen Männer vor Ort. Jeweils in unterschiedlichen Zusammensetzungen, sagt er, werde hier «abgehängt».

Während die Truppe auf ihren Campingstühlen mit dem Auto angereist ist, landen viele Erholungssuchende auch direkt mit dem Gummiboot in der Hunzigenau. «An einem schönen Tag sind dutzende Boote unterwegs», so Fischer Hans Thönen. Am Sonntagabend zeige sich dann jeweils die Kehrseite dieses Rummels. Obwohl die Gemeinde Rubigen mehrere Container und einen grösseren Autoanhänger für Kehricht bereitstellt, bleiben immer wieder Abfälle liegen. Dies verursacht der Gemeinde Rubigen Kosten von mehreren 10 000 Franken pro Jahr. Nicht zuletzt wegen des Drecks musste die Gemeinde vor einigen Jahren sogar ihre Reinigungsequipe verstärken.

Der Müll stört die Tiere

«In der Schule sollte mehr für dieses Thema sensibilisiert werden», sagt darum Thönen. Dass die Leute der Hunzigenau fernbleiben, wünscht er sich trotzdem nicht. «Die Natur ist für alle da, nicht nur für uns Fischer», sagt er. Laut Thönen sind es jeweils nur einzelne Personen, die sich danebenbenehmen. Wenn kein Müll zurückbleibe, würden die Naturgänger die Tiere nicht stören. Abgesehen von Besuchen in den späten Abend- oder Morgenstunden: «Dann irritiert man die Biber oder die Fischotter auf ihrer Nahrungssuche.»

Einige Minuten Fussweg weiter und verschiedene Gruppen von Picknickern und Gummibootfahrern später ist der südlichste Punkt der Aareinsel bei Rubigen erreicht. Hier am sogenannten Prallhang kann man die Kraft der Aare hören und fühlen. Dass die Aare seit zehn Jahren sich selber überlassen ist, sorgte schon für Probleme.

Da die Insel an der Aussenseite einer Flusskurve liegt, werden in diesem Bereich ständig unverbaute Landmassen abgetragen. Erst vor wenigen Monaten musste der Kanton das Ufer mit zusätzlichen Betonelementen sichern. Der Weg für die Fussgänger und Fussgängerinnen drohte damals weggespült zu werden.

Landwirte sind skeptisch

Trotzdem ist Thönen überzeugt, dass Renaturierungen ein langfristig lohnender Weg sind: «Nach jedem verheerenden Unwetter heisst es: Hätte der Fluss doch nur mehr Platz gehabt.» Zudem könne man die Schäden an der Natur gar nicht in Franken beziffern. Mit dem 2009 gestarteten Projekt Aarewasser sind in den letzten Jahren weitere Abschnitte der Aare in ihren ursprünglichen Zustand versetzt worden (siehe Text links). Gegen solche Renaturierungen stellen sich oft die Landwirte: Sie befürchten zu grosse Kulturlandverluste.

Heuer geht der «Bund» in seiner Sommerserie «D Aare ab», von der Quelle bis zur Mündung. Alle bisher erschienen Beiträge mit weiteren Bildern und Videos auf: www.aare.derbund.ch (Der Bund)

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Erstellt: 21.07.2016
Geändert: 21.07.2016
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