Region Bern-Ost - Biedermänner und Brandstifter

Sie legten im Herbst 2007 Dutzende von Bränden, mehrere auch in der Region Bern-Ost. Die "NZZ am Sonntag" beschreibt, wie eine Gruppe Jugendlicher aus wohlbehüteten Familien plötzlich Amok lief. Jetzt stehen die Jugendlichen vor dem Kreisgericht Bern-Laupen. Nächsten Freitag fällt das Urteil.

Christine Brand / NZZ am Sonntag
Diesmal sind sie zu dritt unterwegs. Die jungen Männer fahren durch die Nacht. Wie schon so oft. Ziellos. Irgendwohin. Und doch mit einem Plan im Kopf: Feuer legen. Sie halten an, wo es etwas anzuzünden gibt. Zuerst in Worb bei Bern. Steigen aus, zwei Dosen Brennpaste im Gepäck. Setzen die Reifen eines Autos in Brand. Schnell zurück zum Wagen, wegfahren. Es ist ein Kick, sie lachen, klatschen. Give me five. «Jeder, der mitmachte, hatte Spass daran», sagt einer.

Weiter ins Dorf Kiesen. Ein Holzlager brennt. Dann: Oppligen bei Thun. An einer Hauswand stehen Paletten mit Holz. Die jungen Männer steigen aus, greifen zur Brennpaste. Zünden das Holz an. Hauen ab. Nahe des Brandherds stehen ein vollgetanktes Wohnmobil, gefüllte Gasflaschen. Unmittelbar daneben, im Haus, schlafen fünf Menschen, darunter ein Kind. Ein Glück, dass ein Passant das Feuer früh genug entdeckt. Es sind die Brandstiftungen Nummer 25, 26, 27 einer unheimlichen Brandserie, die in den Kantonen Bern und Freiburg die Bevölkerung in Angst versetzt. Im «Thuner Tagblatt» steht: «In drei Nächten neun Feuer gelegt! Bange Frage: Wo schlägt der Feuerteufel wieder zu?»

Ausser Rand und Band

Jetzt, drei Jahre später, sitzen die Feuerteufel im Audienzlokal 220 des Kreisgerichts Bern-Laupen und sehen ganz harmlos aus. Sie tragen Namen wie Käsermann, Zgraggen, Bärtschi oder Ulrich*. Sie sind Metzger, Bodenleger, Sanitärinstallateur, einer lernt Pflegefachmann, einer studiert Betriebsökonomie. Sieben Schweizer, ein Iraker, heute zwischen 21 und 25 Jahre alt. Sie wirken wie zu gross geratene Jungs, die noch nicht wirklich angekommen sind im Dasein der Erwachsenen. Alle sprechen von einem «sehr guten» Verhältnis zu den Eltern, zu den Geschwistern. Keine zerrütteten Familien. Keine tragischen Schicksale. Kein offensichtlicher Grund, warum es schieflaufen musste. Warum die Jugendclique aus einer Berner Vorortsgemeinde derart ausser Rand und Band geriet. Warum sie die Grenzen sprengten und jugendlichen Leichtsinn in gefährlichen Wahnsinn steigerten. «Vorher hatte ich mein Leben im Griff», sagt ein Angeklagter, «danach machte ich in kurzer Zeit alles kaputt.»

Es begann mit einer angezündeten Plakattafel in einem Bahn-Wartehäuschen. Der Angeklagte Käsermann, damals unterbeschäftigtes Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, stiftete einen Kumpel dazu an. «Mach doch mal was!», habe er immer wieder gefordert. Käsermann wollte zu einem Einsatz kommen. «Kam ein Feueralarm rein, war das für mich etwas Wohlwollendes», versucht er zu erklären.

Käsermann, 25, der Anstifter und Anführer, sitzt seit drei Jahren im vorzeitigen Vollzug im Gefängnis. Einmal in der Woche hat er Therapie, zweimal Geigenstunde. In Letzterer macht er die grösseren Fortschritte. Ein «Aufmerksamkeitsdefizit» hat die Psychiaterin bei ihm diagnostiziert, er habe Probleme mit dem Selbstwertgefühl, reagiere heftig auf Stress, sei schnell gekränkt. Die Beweggründe für seine Taten seien ihm noch immer verborgen.

Käsermanns blonde Haare sind leicht fettig, das Gesicht käsig. Er, der einst der Rädelsführer war, spricht vor Gericht so leise, dass kaum einer ihn versteht. Ein Grummeln mehr. An vieles will er sich nicht erinnern können. Fragen nach dem Warum beantwortet er mit sturem Schweigen. «Ich weiss auch nicht», und «das Ganze hat sich irgendwie so entwickelt», ist das Einzige, was der Richter aus ihm herausbekommt. Käsermann war bei allen 38 Brandstiftungen dabei. Ohne ihn hätte es die Deliktserie, an der die acht Angeklagten in unterschiedlicher Zusammensetzung beteiligt waren, nicht gegeben. Er selbst sagt: «Alleine hätte ich diese Serie nicht begangen.»

Nach der Plakatwand brennen ein Töggelikasten, zahlreiche WC-Häuschen, immer wieder Holzlager, Personenwagen, Werkunterstände, Scheunen, Schuppen. Ein Bauernhaus, unbewohnt. Der Sachschaden beläuft sich insgesamt auf fast zwei Millionen Franken. Für die Täter ist es ein Hochgefühl, wenn sie etwas über ihre Taten in der Zeitung lesen. «Manchmal schauten wir bei mir zu Hause die Nachrichten und fanden es toll, wenn über uns berichtet wurde», erzählt Bärtschi, der breitschultrige Metzger mit der Gelfrisur, der bei 28 Brandstiftungen mitgezeuselt hat. «Einmal äusserte sich auf Tele Bärn ein Psychologe dazu. Da dachte ich: Eigentlich ist es schlimm, was wir da machen. Aber das war schnell wieder vergessen.»

Sie zündeln weiter. Und es bleibt nicht beim Feuerlegen. Als wären die Burschen auf ein Karussell aufgesprungen, das sich unaufhaltsam immer schneller dreht, steigern sich ihre Delikte. Die Hemmschwelle sinkt von Mal zu Mal. Sie blockieren eine Autobahnausfahrt. Schiessen mit dem Sturmgewehr auf einen Hochspannungsmast, treffen, lösen einen grossräumigen Stromausfall aus. Ein Triumph! Sie klauen Golfbälle, Hunderte. Werfen sie erst aus fahrendem Wagen auf Ortstafeln, dann auf Autos. Dann von Autobahnbrücken auf die durchbrausenden Wagen. Der laute Knall bei jedem Treffer! Partystimmung bei den Werfern.

Im dicken Überweisungsbeschluss an das Gericht lautet dieser Anklagepunkt: «Gefährdung des Lebens». Weil die Angeklagten gewusst hätten, dass sie mit dem Werfen der Bälle gegen fahrende Autos Ausweich- und Bremsmanöver, Schreckreaktionen mit Unfallfolgen auslösen könnten. Sie hätten «skrupellos eine unmittelbare Gefährdung des Lebens der Verkehrsteilnehmer» herbeigeführt. Und in einer Nacht sind es nicht Golfbälle, die auf die Autobahn fliegen. Sondern drei Molotowcocktails. Einer der Angeklagten sagt: «Es ging uns nicht darum, Menschen zu gefährden – sondern darum, etwas gemeinsam zu unternehmen, darum, nicht nichts zu tun.»

In flagranti erwischt

Golfbälle auf Autos werfen als Hobby. Brände legen als ultimativer Kick. «Ich hatte schon das Gefühl, dass es irgendwie krank war, was wir da machten», sagt Bärtschi heute. «Doch ich konnte mich nicht abgrenzen.» Er sei irgendwie in die Sache reingerutscht, verteidigt sich ein anderer. «Ich weiss nicht, warum ich nicht den Entschluss fasste, einfach wegzugehen und nicht mitzumachen.» Sein Kollege, der Student mit den linealgerade geschnitten Stirnfransen, meint: «Es war ein fertiger Blödsinn, ein jugendlicher Leichtsinn unter Alkoholeinfluss.» Jemand spricht von «Gruppenzwang». Das Ganze habe sich hochgeschaukelt, bis keiner mehr einen Schritt zurück habe machen wollen. Der Fünfte sagt: «Ich wollte nicht riskieren, dass die Freundschaft kaputtgeht. Sie waren meine besten Freunde, von klein auf.»

Die Freundschaft findet trotzdem ein Ende. Am 1. Oktober 2007, kurz vor Mitternacht. Käsermann und Bärtschi sind zu zweit unterwegs. Was sie nicht wissen: Sie sind nicht allein. Als sie ein WC-Häuschen anzünden, greift die Polizei zu. Die 38. Brandstiftung ist ihre letzte. «Ich bin froh, dass sie uns verhaftet haben», sagt Bärtschi. «Von uns hätte niemand gewagt, zu sagen: Wir hören jetzt auf.»

Brandstiftung wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft. Für Gefährdung des Lebens drohen bis zu fünf Jahre Haft. Das Gericht fällt die Urteile nächsten Freitag.

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Erstellt: 21.11.2010
Geändert: 21.11.2010
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