Rad - Zwischen Traum und Realität
Gabriel Chavanne befindet sich in einer schwierigen Phase. Die Karriere des aussichtsreichsten Berner Nachwuchsfahrers verläuft nicht wunschgemäss. Am Sonntag bestreitet der 22-Jährige aus Worb an der EM in Nyon das U-23-Strassenrennen.
Im Radsport ist der kürzeste Weg nicht immer der am meisten Erfolg versprechende. Dem Aargauer Silvan Dillier beispielsweise, welcher im BMC-Trikot einen bestechenden Eindruck hinterlässt, gelang der Durchbruch erst nach seiner U-23-Zeit. Gleiches gilt für den Walliser IAM-Cycling-Profi Sébastien Reichenbach, an der Tour de France als einer der wichtigsten Adjutanten Mathias Franks beschäftigt. Um solche und ähnliche Fakten kreisen die Gedanken von Gabriel Chavanne. Die Karriere des aussichtsreichsten Berner Nachwuchsathleten verläuft nicht mehr so linear wie früher. «Ich hatte mir das ein bisschen anders vorgestellt», sagt der 22-Jährige, welcher die Schweiz an der EM in Nyon im Strassenrennen vom Sonntag vertreten wird. Auf kontinentaler Ebene werden nur in der U-19- und in der U-23-Kategorie Titelkämpfe durchgeführt.
Als Letzter hat er den Sprung in die siebenköpfige Auswahl von Nationaltrainer Heiko Salzwedel geschafft. Im U-23-Bereich sei Swiss Cycling «so stark wie schon lange nicht mehr», hält Chavanne fest. Aushängeschild ist Stefan Küng, ein 20 Jähriger aus Wil, dessen Qualitäten an jene Fabian Cancellaras erinnern. Was den Körperbau anbelangt, lässt sich eher der breitschultrige, 1,94 Meter grosse Chavanne mit dem vierfachen Zeitfahrweltmeister vergleichen. Seit zweieinhalb Jahren tritt er für die Nachwuchsequipe des französischen World-Tour-Rennstalls AG2R in die Pedale; sitzt er nicht im Sattel, lässt er sich via Fernstudium zum Wirtschaftsingenieur ausbilden.
Die Beine seien nicht das Problem, sagt der in Chambéry und Worb wohnhafte Ittiger; «auf dem Velo fühle ich mich gut». Was fehle, seien die Resultate; Konstellation und Rennverlauf hätten sich oft zu seinen Ungunsten entwickelt. Gefragt ist Geduld, dessen ist sich Chavanne bewusst. Sein Vertrag läuft Ende Jahr aus, eine Verlängerung ist unwahrscheinlich. «Ich brauche einen Tapetenwechsel», hält der Berner fest. Im besten Fall wird er von AG2R oder einem anderen Profiteam wie IAM Cycling engagiert. Der Berner müsste jedoch in der zweiten Saisonhälfte mehrfach auf sich aufmerksam machen, damit sich eine Türe in dieser Grössenordnung öffnen könnte. Realistischer ist, dass er in einer drittklassigen Continental-Mannschaft landet.
Seinen Traum, die Leidenschaft zum Beruf zu machen, lebt Chavanne jedenfalls weiter. Den Horizont bildet das Jahr 2016, dannzumal wird er voraussichtlich sein Studium beenden. Es bleiben demnach reichlich Gelegenheiten, Versäumtes nachzuholen – die erste bietet sich am Sonntag in Nyon.