Phenomen: Vier Sänger stehen am Scheideweg

Von der Fernsehshow in die Kirche auf dem Land: Phenomen konzertierten gestern in Grosshöchstetten. Und sagten offen, dass sie darum kämpfen müssen, nicht vergessen zu werden.

Stephan Künzi, Berner Zeitung BZ
Phenomen. Das sind vier Männer zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig, ein angehender Musikproduzent, ein Jurist, ein Aussendienstler und ein Operator in der Möbelproduktion. Als Gruppe, die im Stil der drei oder der vier Tenöre klassische Hits singt, sind Stefan Baumann aus Hasle, Patrick Heller aus Rüfenacht, Yves Rico Jaquillard aus Kirchberg und Erwin Schneider aus Rubigen seit vier Jahren unterwegs. Wobei sie den Vergleich mit ihren Kollegen nur bedingt zulassen, weil diese Pop oder auch Klassik in der Regel ganz klassisch brächten: «Wir dagegen singen Klassisches auf eine moderne, auf eine poppige Art», hielt Stefan Baumann schon vor zwei Jahren fest.
 
Phenomen waren damals unvermittelt in die Schlagzeilen geraten. Die vier Berner hatten es ins Fernsehen geschafft, sangen sich im Finale der Castingshow «Die grössten Schweizer Talente» auf den fünften Platz.

Bach mit Schlagzeug

Klassisches auf poppige Art: Was das heisst, zeigen Phenomen in Grosshöchstetten. Die Kirchgemeinde hat zu einem Konzert geladen, um den Freiwilligen für ihren Einsatz zu danken, und die vier legen gleich mit einem stimmungsvollen Intro los. Gedämpftes Licht erfüllt die Kirche, sphärische Töne gehen langsam in eine Melodie über. Nacheinander schreiten die Sänger auf die Bühne, ihre Soli verweben sich mehr und mehr zum dichten Klangteppich, genau: Phenomen begrüssen ihr Publikum mit einem vertrauten Kirchenchoral.
 
Sie singen «Jesus bleibet meine Freude», einen Choral aus der Feder von Johann Sebastian Bach. Allerdings mit englischem Text sowie dann und wann unterlegt von Schlagzeugrhythmen – modern eben.

TV-Präsenz verblasst

Konzerte wie jenes in Grosshöchstetten sind seltener geworden für Phenomen. Stefan Baumann mag gar nicht erst um den heissen Brei herumreden. Ohne Wenn und Aber gibt er zu Protokoll, dass die Wirkung der Fernsehpräsenz nach zwei Jahren abgeklungen ist. In der ersten Zeit nach der Show und auch noch im darauffolgenden Winter sei die Agenda mehr oder weniger automatisch voll geworden.
 
Mittlerweile sei das anders: «Wir müssen darauf acht geben, dass wir nicht vergessen werden.» Auf 150 schätzt Stefan Baumann die Zahl der Auftritte, die Phenomen bislang bestritten hat. Grosse Konzerte wie jene auf der Tournee vor einem Jahr gehörten genauso dazu wie die vielen Darbietungen im kleinen Rahmen, an Firmenanlässen zum Beispiel, an Hochzeiten oder an Geburtstagsfeiern. Dass es im vergangenen Sommer aber auch Monate ohne Termine gab, verschweigt er nicht. Und auch nicht, dass diese Flaute am Zusammenhalt in der Gruppe nagt. Zumal alle voll und ganz im Berufsleben stehen und Singen nur nebenbei läuft.

Gedanken ans Aufhören
 
Stefan Baumann redet offen davon, dass Phenomen an einem Punkt angelangt sind, an dem auch schon der Gedanke ans Aufhören im Raum gestanden ist. Eine CD-Produktion soll nun aber wieder neuen Schwung bringen. Dafür stehen in den kommenden Monaten die Aufnahmen in der Schweiz und in Südafrika an, später ist eine Tournee geplant. Nebenbei hoffen die vier auch, dass ihnen die Scheibe neue Türen öffnen wird. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man ohne CD weder beim Fernsehen noch bei Gesangswettbewerben Chancen auf einen Auftritt hat.»

Hits von heute

Natürlich würden solche Auftritte Einnahmen verheissen und eine Reduktion der Pensen im Beruf erlauben. Vor allem aber brächten sie auch eine schöne Portion Prestige für das Quartett, «immerhin», fügt Stefan Baumann noch an, «haben wir alle eine Ausbildung in modernem Gesang durchlaufen».
 
In Grosshöchstetten haben Phenomen mittlerweile den Bogen vom Kirchenchoral über die Operetten bis zu den Hits von heute geschlagen. Mit einem solchen schliessen sie ihr Konzert auch ab. «Por ti sere» ist ein modernes Kirchenlied, das es dank mehrerer Interpreten weltweit zu grosser Popularität gebracht hat.
 
Die vier geben nochmals alles, lassen ein letztes Mal ihre Stimmen in ihren verschiedenen Ausprägungen zur Geltung kommen. Besinnliche, leise Töne steigern sich zu lauten, intensiven Melodien – das Publikum dankt es mit stehendem Applaus. Wenn das kein gutes Zeichen fürs Weitermachen ist.

www.phenomen.ch

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Erstellt: 21.01.2013
Geändert: 21.01.2013
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