Melanie Favaretto: «Manchmal werde ich junges Fräulein genannt»

Melanie Favaretto ist 18 Jahre alt, lebt in Walkringen und absolviert derzeit ihre Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit im Altersheim Oberdiessbach. Im Gespräch erzählt sie, wie sie reagiert, wenn sie mit Fräulein angesprochen wird.

Pascale Groschel, info@bern-ost.ch

Die Pflegewelt prägte Melanie schon früh: Ihre Mutter und Grossmutter arbeiteten beide in diesem Bereich. «Ich war viel bei meiner Grossmutter, was mich inspirierte, selbst in diesem Beruf zu starten», erinnert sie sich. Ein Praktikum mit 15 Jahren half ihr, ihre berufliche Richtung zu finden. Heute ist sie im dritten Lehrjahr und fühlt sich in ihrer Wahl bestätigt.

 

Nähe und Distanz im Berufsalltag

Der Beruf stellt sie vor vielseitige Herausforderungen, sowohl körperlich als auch emotional. Besonders das Thema «Nähe und Distanz» sei nicht immer einfach. «Am Anfang war ich unsicher, wie ich mit dem Tod von Bewohner:innen umgehen soll. Man lernt das zwar in der Schule, aber die Praxis ist oft anders», sagt Melanie. Im Laufe der Zeit habe sie Strategien entwickelt, um mit belastenden Situationen umzugehen.

 

«Es erfordert viel Geduld und Verständnis, vor allem, wenn die Zeit knapp ist», erklärt sie. Besonders schwierig sei es, wenn Bewohner:innen intensive Betreuung benötigen und der Zeitdruck spürbar wird. «Manchmal werde ich ‚junges Frölein‘ oder ‚Meitschi‘ genannt. Das lasse ich mir aber nicht anmerken», erzählt sie. Stattdessen versucht sie, mit Professionalität und Ruhe zu überzeugen.

 

Alltag zwischen Schichtdienst und Teamarbeit

Melanie Favarettos Arbeitsalltag ist geprägt von unterschiedlichen Schichten – von Frühdiensten ab 7 Uhr bis hin zu Spätschichten, die bis 22 Uhr dauern können. Der Beruf erfordert nicht nur körperliche Fitness, etwa bei der Mobilisation von Bewohner:innen, sondern auch Teamfähigkeit. «Konflikte oder Fehler im Team anzusprechen und ehrlich zuzugeben, war am Anfang schwierig für mich. Aber genau das hilft, sich weiterzuentwickeln», sagt die junge Frau.

 

Zeit zum Abschalten

Bei einem Beruf, der körperlich und emotional viel fordert, ist der Ausgleich in der Freizeit besonders wichtig. Melanie verbringt ihre freie Zeit gerne an der frischen Luft, sei es beim Skifahren, «Lädele» oder bei Spaziergängen mit ihrem Hund. «Das hilft mir, den Kopf freizubekommen», erzählt sie. Ihr ist es wichtig, sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen. «Diese Momente geben mir Energie für den Arbeitsalltag», sagt sie.

 

Dankbarkeit als Bestätigung

Trotz der Herausforderungen gibt es viele Momente, die Melanie bestätigen, dass sie den richtigen Weg gewählt hat. «Wenn sich Bewohner:innen für die Zeit bedanken, die ich mir für sie nehme, dann weiss ich, dass sich die Mühe lohnt.» Sie schätzt auch die Abwechslung in ihrem Beruf: Neben der Pflege gehören organisatorische Aufgaben und die Arbeit im Team dazu. «Es ist viel mehr als Essen geben und ‘Füdli’ putzen.»

 

Das Tabu «Sexuelle Belästigung»

Melanie steht nun vor dem ersten Teil ihrer Abschlussprüfung, der Vertiefungsarbeit. Obwohl sie kein Oberthema vorgegeben bekam, hat sie ein gut durchdachtes Thema gewählt: Sie entwickelte ein Konzept für ein Altersheim zum Thema sexuelle Belästigung. «Bereits während meines Praktikums bin ich mit diesem Thema in Berührung gekommen und hätte mir mehr Unterstützung gewünscht, um zu wissen, wie ich richtig hätte handeln sollen», erklärt Melanie.

 

«Sexuelle Belästigung kann überall passieren und bleibt in der Pflegebranche oft ein Tabuthema - unabhängig davon, ob sie von Bewohner:innen, Mitarbeitenden, Vorgesetzten oder Angehörigen ausgeht. Mein Konzept soll dazu beitragen, in solchen Situationen angemessen reagieren zu können.»

 

Blick in die Zukunft

Nach ihrer Ausbildung möchte Melanie weiter in der Pflege bleiben, vielleicht auf einer Akutstation oder in einem anderen Altersheim. Langfristig zieht sie in Betracht, die Weiterbildung zur diplomierten Pflegefachfrau (HF) zu machen. Auch die Rolle der Berufsbildnerin reizt sie: «Ich arbeite gern mit Menschen und gebe mein Wissen weiter. Geduld und Kreativität bringe ich mit.»

 

Mit ihrer positiven Einstellung sieht sie ihren Beruf als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung und ermutigt andere, ihn ebenfalls zu ergreifen. «Man wächst an den täglichen Herausforderungen und lernt viel fürs Leben.»

 

[i] Der Artikel erschien zuerst im Newsletter der Gemeinde Oberdiessbach.


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Erstellt: 21.12.2024
Geändert: 21.12.2024
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