Pfarrerin Barbara Ruchti: «Glitzer, Sprudel und starke Träume»

Kurz vor Weihnachten haben wir in Wichtrach Pfarrerin Barbara Ruchti und Kirchgemeinderätin Brigitte Beutler-Kohler getroffen. BERN-OST wollte von ihnen wissen, wie Barbara Ruchti die Kirchgemeinde erlebt, und was Brigitte Beutler dazu bewegt, ihr Amt niederzulegen.

Pascale Groschel, info@bern-ost.ch

BERN-OST: Frau Ruchti, wie sind Sie nach Wichtrach gekommen?

Barbara Ruchti: Zuerst kam ich im Sommer 2021 als Vertretung hierher. Später wurde die Stelle nochmals ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Mein Vorgänger war lange – über 30 Jahre - in der Gemeinde tätig und wurde sehr geschätzt, er hat grosse Fussstapfen hinterlassen. Aber die Stimmung hier war von Anfang an wertschätzend und schön. Nach einem halben Jahr haben wir uns dann beiderseits entschieden, dass ich bleibe.

 

Frau Beutler, wie erleben Sie Barbara Ruchti als Pfarrerin?

Beutler: Wir hatten grosses Glück, mit Barbara eine Pfarrerin zu finden, die so offen und herzlich ist. Sie ist nicht einfach jemand, der nur auf der Kanzel vorne steht und predigt. Ihre unbeschwerte Art, mit allen Altersgruppen umzugehen, zeichnet sie aus. Sogar ehemalige Konfirmand:innen begegnen ihr offen und ungezwungen. Und man trifft sie auch mal in der Beiz bei einem Kaffee oder Bier – das macht sie nahbar.

 

Ruchti: Das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, ist nicht selbstverständlich. Ich war 45 Jahre lang nicht Pfarrerin, und es war für mich anfangs ungewohnt, mit der Rolle als 'Frau Pfarrerin' umzugehen.

 

Wie erleben Sie die Adventszeit?

Ruchti: Die Adventszeit ist von der Tradition her eine stille Zeit, eine Zeit des Wartens auf Weihnachten, auf die Geburt Jesu. Für mich und meine KollegInnen ist es eine arbeitsintensive Zeit. Wir haben viele Anlässe und Feiern, die auf den Advent und Weihnachten ausgerichtet sind. Dieses Jahr durfte ich beispielsweise mit Jugendlichen das Friedenslicht in Zürich holen, das in Bethlehem entzündet wird und durch die Welt reist. Diese Zeit ist reich an Emotionen – von Vorfreude auf Weihnachten und schöne Feiern bis zu Trauer, diese Tage das erste Mal oder schon wieder ohne einen wichtigen Menschen zu verbringen.

 

Es geht darum, diese unterschiedlichen Emotionen einzufangen. Deshalb bieten wir verschiedene Anlässe, Feiern oder Gespräche an, um den Menschen die Hand zu reichen.

 

Was begleitet Sie aktuell?

Ruchti: Mich begleitet – vielleicht wegen dem diesjährigen Krippenspiel - das Bild vom  Stern von Bethlehem als Zeichen am Himmel. Dieses Jahr schaue ich besonders darauf, wo das Licht bei uns hinfällt und wo es leuchtet. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich den göttlichen Funken suche und spüre, dass der da ist und Menschen dafür offen sind. Als wir zum Beispiel in Zürich mit hunderten von Menschen auf das  Friedenslicht warteten und es einander weiterreichten, war das ein Hühnerhautmoment. Das hat mich berührt.  Solche Momente stärken mich, den göttlichen Funken in anderen Menschen zu sehen und mich daran zu freuen.

 

Was macht die Kirchgemeinde Wichtrach besonders?

Ruchti: Ein Highlight sind in den Sommermonaten die Gottesdienste im Predigtwald, die seit  125 Jahren gefeiert werden. Das begann, als die Kirche 1900 renoviert wurde, und hat sich bis heute gehalten. Im Sommer, bei gutem Wetter, feiern wir dort mit der Dorfmusik Oppligen und Wichtrach – das wird sehr geschätzt, besonders auch für Taufen. Es schafft eine besondere Gemeinschaft.

 

Welche Themen beschäftigen die Menschen derzeit?

Ruchti: Es ist schwer, das zusammenzufassen. Neben den gesellschaftlichen Themen sind es vor allem die persönlichen, wie die Freude über die Lehrstelle bis hin zu Sorgen um die Gesundheit. Ich versuche, ein Gespür dafür zu entwickeln, was sie brauchen, und dafür Raum zu schaffen. Was ich besonders schätze ist, dass in unserer Kirche alle Emotionen Platz haben.

 

Beutler: Ich beobachte, dass  die Menschen vermehrt wieder die Gemeinschaft suchen, in der Begegnung Kraft tanken – auch in der Kirche.

 

Welche Angebote der Kirchgemeinde werden besonders geschätzt?

Ruchti: In den letzten Monaten waren stille Anlässe wie unsere "Lichtmomente" sehr beliebt. Wir haben die Kirche mit Kerzen erleuchtet, und die Menschen kamen vom ersten Tag an, um diesen Moment der Ruhe zu geniessen. Auch der neue Kinderchor mit 30 Teilnehmenden und das Generationenbistro, das viermal das Haus füllte, zeigen, wie stark der Wunsch nach Begegnung ist. Die Menschen suchen nach Covid wieder den Kontakt zueinander. Es ist bunt durchmischt und sehr lebendig.

 

Wie ist es bei Jugendlichen?

Ruchti: Ich merke und man weiss, dass einige Jugendliche unter Einsamkeit und psychischen Herausforderungen leiden. In unserem Unterricht gibt es keine Prüfungen, keinen Leistungsdruck. Es geht um die Auseinandersetzung mit allem Menschlichen und dem Göttlichen. Und dass wir Menschen bei Gott angenommen sind genauso wie wir sind. Auch bei auffälligem Verhalten versuchen wir, ihnen zu zeigen: "Ich sehe dich." Es geht neben der Wissensvermittlung darum, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich angenommen fühlen.

 

Beutler: Das Gefühl der Gemeinschaft ist für die Kinder wichtig. Im KUW-Untereicht zum Beispiel, können sie ohne Leistungsdruck den Unterricht absolvieren. Sie sollen spüren, dass es hier nicht um Leistung, sondern um ihr Wohl geht.

 

Frau Beutler-Kohler, Sie waren zehn Jahre im Kirchgemeinderat tätig. Warum treten Sie zurück?

Beutler: Ich hatte das Gefühl, dass nach zehn Jahren Zeit für etwas Neues ist – für beide Seiten. Der Kirchgemeinderat lebt von den Persönlichkeiten, neuen Ideen und frischem Schwung. Deshalb fand ich, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, das Amt weiterzugeben. Trotzdem bleibe ich der Kirchgemeinde als Freiwillige erhalten.

 

Ruchti: Brigitte ist bis zuletzt sehr aktiv. Ihr Wissen und ihre Erfahrung aus zehn Jahren waren oft eine grosse Hilfe für mich. Sie war für mich das "institutionelle Gedächtnis", und das war sehr wertvoll.

 

Bald fängt ein neues Jahr an: Was bedeutet Silvester für Sie?

Ruchti: Auch wenn Silvester kein kirchlicher Feiertag ist, ticken wir nach dem Kalender und feiern diesen Übergang. Wir blicken mit den Menschen zurück, schauen nach vorne und lassen Glitzer regnen. Es ist ein sinnlicher und überraschender Moment, den wir zusammen verbringen – dieses Jahr unter dem Motto Glitzer, Sprudel und starke Träume.

 

Was geben Sie den Menschen mit ins neue Jahr?

Ruchti: Einen Teil des Silvestergottesdienstes nenne ich ausmisten: Alles prüfen und das Gute behalten. Das gilt wörtlich – etwa, die Handtasche des vergangenen Jahres auszuräumen, abzustauben und Ballast abzuwerfen, aber auch sinnbildlich, ich mache beispielsweise gemeinsam mit den Leuten einen Jahresrückblick. Der zweite Teil lautet  "starke Träume": den Blick nicht nur auf den Boden, sondern auch auf das Hoffnungsvolle richten. Glaube kann helfen, das Hoffnungsfähnlein hochzuhalten, in guten und auch in schwierigen Situationen. Träume, wie Martin Luther King sie hatte, symbolisieren das: Sie geben Orientierung und Stärke, um realistisch, aber hoffnungsvoll ins neue Jahr zu gehen.
 

Beutler: Das spiegelt sich auch in der Kirchgemeinde wider. Wir entscheiden gemeinsam, was gut ist und was wir behalten. Worauf wollen wir uns fokussieren? Was ist unser Weg – persönlich und als Gemeinschaft?

 

Was möchten Sie den Menschen ganz allgemein mitgeben?

Ruchti: Es ist keine umwerfend neue Botschaft. Wichtig ist: da zu sein, weiterzugehen, sich gegenseitig zu unterstützen, verbunden zu sein. Es geht darum, die Brücke zwischen dem Leben, das wir führen, und dem Glauben, dem Göttlichen zu pflegen, zu suchen, zu bewahren. Und manchmal einem Gedanken, einem Funken, einem Licht, einem Traum nachzugehen und schauen, was daraus entsteht.

 

[i] Barbara Ruchti, die Pfarrerin von Wichtrach, ist nicht in der Region aufgewachsen. «Ich stamme aus dem Simmental, und die letzten Jahre lebte ich in Bern», erzählt sie. Dass sie wieder auf dem Land leben würde, hätte sie nicht gedacht. Doch sie merkt, wie gut ihr das tut: «Das Grüssen auf der Strasse, das Wissen um die Menschen im Dorf – das entspricht mir.»

 

Pfarrerin ist sie erst seit fünf Jahren. Zuvor hat sie Soziologie studiert und zuletzt als Betreuerin im Strafvollzug gearbeitet. «Weihnachten habe ich damals im Gefängnis gefeiert, in einer geschlossenen Welt», berichtet sie. Zum Glauben fand sie still für sich selbst, ohne dass ihr Umfeld es gross bemerkte. Als sie jedoch ankündigte, Theologie studieren zu wollen, sorgte das für überraschte Gesichter. «Heute weiss ich, dass ich meinen Beruf gefunden habe – und mein Umfeld stimmt mir zu», sagt sie lächelnd.


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Erstellt: 25.12.2024
Geändert: 25.12.2024
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