Ostmission in der Ukraine: So geht das Hilfswerk mit dem Krieg um

Die Worber Ostmission ist mit ihrer humanitären Hilfe auch in der Ukraine präsent. BERN-OST hat nachgefragt, wie sich der Krieg auf die tägliche Arbeit auswirkt und was das Hilfswerk für die zahlreichen Kriegsflüchtlinge macht.

Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch

Die Ostmission mit Hauptsitz in Worb leistet in verschiedenen Ländern des ehemaligen Ostblocks, in Zentralasien, Vietnam, Kambodscha und Indien humanitäre Hilfe, vor allem mit Kleidersendungen und Nahrungsmittelhilfe. In Moldawien betreibt sie Tageszentren für Kinder aus armen Verhältnissen. Andrej Ivanov* ist Projektleiter humanitäre Hilfe und fährt auch selber regelmässig in die Ukraine, nach Moldawien und nach Belarus. Er kümmert sich darum, dass die Hilfe am richtigen Ort ankommt und an die richtigen Leute verteilt wird. Dabei arbeitet er mit lokalen Partner:innen zusammen.

 

Gemeinsam mit Gallus Tannheimer, dem Leiter der Ostmission, stellte er sich den Fragen von BERN-OST.

 

BERN-OST: Herr Ivanov, wie hat der Krieg in der Ukraine Ihre tägliche Arbeit verändert?

Andrej Ivanov: Es ist einiges anders. Es fahren nicht mehr alle Transportunternehmen in die Ukraine. Und wir laden unsere Hilfsgüter im Westen des Landes ab. Einheimische LKW-Fahrer transportieren die Fracht dann näher an die Front in der Ostukraine.

Gallus Tannheimer: Probleme machen uns auch die Sanktionen gegen Russland und vor allem gegen Belarus. Alle Lebensmittel für die humanitäre Hilfe werden vor Ort gekauft, auch um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. In Belarus haben wir zum Beispiel auch ein grosses Spitex-Projekt. Heute müssen wir die Finanzen für Lebensmittel und Löhne teilweise in bar transportieren, weil der Banktransfer nicht mehr möglich ist.

Ausserdem haben wir als Reaktion auf den Krieg unser Hilfsprogramm verstärkt und leisten für Menschen in der Ukraine und für geflüchtete Ukrainer:innen in Moldawien und Rumänien zusätzliche Nothilfe.

 

BERN-OST: An was fehlt es den Flüchtlingen am meisten?

Gallus Tannheimer: Am wichtigsten sind Lebensmittel. Ausserdem warme Kleider und Decken. Wir kaufen und verteilen vor Ort auch Hygieneartikel, Windeln und Dinge, die Leute eben benötigen.

 

BERN-OST: Wie kommt die Hilfe zu den Betroffenen?

Gallus Tannheimer: Wir arbeiten mit einem Hilfszentrum in Saporischschja zusammen. Die lokalen Mitarbeitenden verteilen jeden Tag Hilfsgüter im Kriegsgebiet und evakuieren Menschen. Als die Front näher rückte, haben sie ein weiteres Hilfszentrum gegründet in Mukatschevo, einer Stadt im Westen des Landes. Es spricht sich jeweils schnell herum, wo es Hilfe gibt. Da braucht es keine extra Bemühungen.

 

BERN-OST: Hinter die Front gehen Sie nicht?

Gallus Tannheimer: Nein, die Grenze zu den besetzten Gebieten ist nicht passierbar und das ist schon seit 2014 so.

 

BERN-OST: In Moldawien betreibt die Ostmission Tageszentren für Kinder aus armen Verhältnissen. Was ist das genau?

Gallus Tannheimer: Es sind aktuell 134 Zentren, in denen Kinder von der 1. bis zur 9. Klasse am Nachmittag betreut werden. Sie bekommen  jeden Tag eine warme Mahlzeit, Hilfe bei den Hausaufgaben, Zuwendung, wenn nötig Kleider und Schuhe und jeweils ein Päckli aus unserer Weihnachtsaktion. Es sind Kinder, die bedürftige Eltern haben oder verwahrlost sind. Wir haben schon Sechsjährige getroffen, die alleine in einem ungeheizten Haus wohnen und ganz auf sich gestellt sind. Man geht davon aus, dass rund 250'000 Kinder verwahrlost oder auf sich gestellt sind, laut UNICEF lebt jedes vierte Kind in Armut. Moldawien ist das ärmste Land in Europa. Da ist das Helfen oft auch mit Trauer verbunden. Aber mit unserer Hilfe geben wir den Leuten auch Hoffnung und Mut.

 

BERN-OST: Einige der Tageszentren sind sehr nahe an der Ukrainischen Grenze. Betreuen Sie dort jetzt auch Flüchtlingskinder?

Gallus Tannheimer: Nur vereinzelt. Die Zentren sind vor allem auf dem Land und abseits der grossen Fluchtouten. In den Städten kommen teilweise ukrainische Kinder, die mit ihren Eltern auf der Flucht sind. Es ist aber so, dass viele Flüchtende aus der Ukraine in Moldawien nur auf der Durchreise sind. Es ist als armes Land meist nicht die Wunschdestination.

 

BERN-OST: Wie geht es Ihren Leuten in Moldawien mit dem Krieg? Hat man Angst? Ist der Krieg ein Thema?

Gallus Tannheimer: Ja, man hat Angst. Moldawien ist ein kleines und nicht sehr stabiles Land. Durch seine Lage könnte der Krieg schnell ins Land kommen, wenn Russland im Süden der Ukraine entlang des schwarzen Meers vorrückt. Die ukrainische Hafenstadt Odessa etwa liegt sehr nah an Moldawien. Einige setzen deshalb jetzt auch lange gehegte Auswanderungspläne um. Meist in Richtung USA.

 

BERN-OST: Wie können wir hier helfen?

Gallus Tannheimer: Wir brauchen immer Kleider und Schuhe, aktuell besonders Wintersachen. Die Flüchtenden haben sich zum Teil ohne Gepäck auf den Weg gemacht. Es ist auch so, dass in den Ländern, in denen wir präsent sind, die Heizkosten enorm gestiegen sind. Viele Leute müssen sich entscheiden, ob sie heizen oder Essen kaufen. Da können warme Kleider entscheidend helfen.

 

BERN-OST: Bekommen Sie viele Kleider, die sie wegwerfen müssen?

Gallus Tannheimer: Es ist natürlich wichtig, dass die Kleider sauber und in einem guten Zustand sind. Die meisten Leute schauen darauf. Unbrauchbares bewegt sich im Promillebereich. Wir sammeln und verteilen rund 134 Tonnen Kleider pro Jahr, das sind über 20 Lastwagen voll.

 

BERN-OST: Heute früh fuhr der erste Lastwagen mit Weihnachtspäckli in die Ukraine, weitere sind schon los in Richtung Moldawien und Belarus. Können Sie mir etwas dazu sagen?

Gallus Tannheimer: Mit drei weiteren Schweizer Hilfswerken sammeln wir Weihnachtspäckli, letztes Jahr waren es 124'800. Verteilt werden sie an Bedürftige in Albanien, Bulgarien, Moldawien, Rumänien, Kosovo, Belarus und in der Ukraine. Auf unserer Website kann man nachlesen, was in so einem Päckli enthalten sein muss. Die Freude, die die Päckli jeweils auslösen ist wunderschön und entschädigt einen für vieles.

 

BERN-OST: Sie haben das Christentum und die Mission im Namen Ihrer Organisation. Inwiefern spielt das eine Rolle?

Gallus Tannheimer: Unsere Hilfe ist für alle, wir arbeiten aber vor Ort oft mit christlichen Organisationen zusammen. Unsere Mission ist es, zu helfen und Hoffnung zu verbreiten. Die Motivation, die Liebe zum Menschen, hat schon mit der Bibel zu tun. Aber wir erwarten nichts zurück.

 

*Name geändert.

 

[i] Die Christliche Ostmission beschäftigt in Worb 17 Personen in den Bereichen Geschäfts- und Projektleitung, Aussendienst, Fundraising, Sekretariat, Hausdienst und Logistik. Das entspricht 10,5 Vollzeitstellen. 2021 hatte die Organisation einen Umsatz von rund 11,7 Millionen Franken. Davon gingen 10,1 Prozent weg für das Fundraising und 2,6 für die Administration. Nebst der oben erwähnten humanitären Hilfe, den Tageszentren und der Weihnachtspäckliaktion engagiert sie sich auch in der lokalen Gewerbeförderung und weltweit gegen Menschenhandel.

 

[i] Die Aktion Weihnachtspäckli ist ein Projekt von vier Schweizer Hilfswerken, darunter die Ostmission. Hier finden sich Infos, was in ein Päckli gehört. Offizieller Sammelschluss war letzten Samstag, nach Absprache können aber auch jetzt noch Päckli gebracht werden.


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Erstellt: 05.12.2022
Geändert: 05.12.2022
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