Oberthal - Ittigen zu Besuch: Wo das Geld aus der Agglo hinfliesst
Ittigen zahlt jedes Jahr Millionen in den Finanz- und Lastenausgleich, während Oberthal Hunderttausende Franken bezieht. In Oberthal haben sich die Exponenten der beiden Extreme getroffen – und nicht nur viele Unterschiede, sondern auch eine Gemeinsamkeit entdeckt.
Schmale, zum Teil ungeteerte Strassen schlängeln sich hinauf ins Gebiet Häuslenbach. Die schwarzen Rohre neben dem Strassenrand zeugen davon, dass soeben eine neue Kanalisationsleitung eingelegt wurde. Auf der Schattseite liegt noch immer Schnee. Dafür bietet sich eine wunderbare Aussicht über die Emmentaler Hügel bis zu den Berner Alpen. Der Häuslenbach liegt am östlichen Ende von Oberthal, jener Gemeinde, die letzten Winter ihren Steuerfuss auf einen Schlag von 1,8 auf 2,15 Einheiten erhöhte. Dass die Medien den Ort daraufhin als «Steuerhölle» betitelten, stiess den Oberthaler Behörden sauer auf. «Wir würden gerne weniger Steuern zahlen», sagt Gemeindepräsident Andreas Steiner, «doch es geht nicht anders.» Die Einkommen und damit die Steuerzahlungen der Bauern seien rückläufig. Zudem investierten mehrere Hausbesitzer eine grössere Summe in den Liegenschaftsunterhalt, was für Oberthal einen jährlichen Steuerausfall von 100 000 Franken bedeute. Das ist ein Zehntel der gesamten Steuereinnahmen.
Bald ohne Postauto
Das Gegenteil von Oberthal ist Ittigen. Alleine von der Swisscom, die dort ihren Hauptsitz hat, nahm die Berner Agglogemeinde in den letzten Jahren Steuern in zweistelliger Millionenhöhe ein. Der Steuerfuss ist mit 1,24 der viertgünstigste im Kanton. Die Gemeinde hat null Franken Schulden und 15,2 Millionen Eigenkapital. Entsprechend zahlt sie pro Jahr über 7 Millionen in den kantonalen Finanz- und Lastenausgleich, in jenen Topf, aus dem Oberthal 700 000 Franken bezieht (siehe Kasten). Nun stehen die Vertreter der beiden Extreme nebeneinander: Beat Giauque, vollamtlicher Gemeindepräsident von Ittigen, sowie Andreas Steiner, Landwirt und nebenamtlicher Gemeindepräsident von Oberthal. Auf Initiative dieser Zeitung haben sie sich im Häuslenbach getroffen, hier, wo die Weitläufigkeit von Oberthal besonders gut sichtbar ist. Insgesamt 52 Kilometer Strassen muss die Landgemeinde unterhalten, fast doppelt so viele wie Ittigen. «Von einem Kilometer Schneeräumung profitieren in Oberthal vielleicht 5 Einwohner, in Ittigen dagegen 500», erklärt Andreas Steiner. Wegen der grossen Distanzen gehen diverse Oberthaler Kinder in Nachbargemeinden zur Schule, was jährlich 150 000 Franken Schulgeld kostet. Und die Postautolinie von Zäziwil her, der einzige Oberthaler ÖV-Anschluss, wird im Dezember wegen zu geringer Auslastung gestrichen.
«Das kostet alles»
«Das stimmt einen nachdenklich», sagt Beat Giauque. Sorgenfrei sei allerdings auch Ittigen nicht: In den Stosszeiten droht die Gemeinde fast im Verkehr zu versinken. Es gibt grosse Quartiere wie den Kappelisacker, wo 2500 Leute aus sechzig Nationen aufeinandertreffen. «Nicht immer einfach» sei das, erklärt Giauque. Deshalb investiere die Gemeinde nun 1,2 Millionen Franken in ein vierjähriges Pilotprojekt für die Quartierentwicklung sowie weitere 3,4 Millionen in ein neues Quartierzentrum. Natürlich profitiert Ittigen von der Nähe zu Bern, von der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr. «Wir müssen den Leuten aber auch etwas bieten», gibt Beat Giauque zu bedenken. Er zählt auf: gymnasialer Unterricht, Schulsozialarbeit, Kindertagesstätten, eine moderne Infrastruktur und, und, und – «das kostet alles.» Andreas Steiner nickt. «Eure Probleme sind ganz anders gelagert als unsere», sagt er. «Wir dürfen das nicht gegeneinander ausspielen.»
Was wäre ohne Swisscom?
Etwas haben Ittigen und Oberthal allerdings gemeinsam, wie Giauque und Steiner herausfinden: Beide Gemeinden können fast kein neues Bauland mehr einzonen. Oberthal darf nicht, weil es zu weit weg vom ÖV liegt. Und Ittigen ist schlicht überbaut. «Damit wir die hohen Ausgaben bewältigen können, braucht es aber eine Entwicklung», sagt Beat Giauque. Wie das ohne Bauland gehen soll? «Das ist eine unserer grossen Herausforderungen für die Zukunft.» Derweil hofft Andreas Steiner, dass Oberthal die Bevölkerungszahl (784) wenigstens halten kann. «So kann auch die Schule überleben. Das ist ganz wichtig.» Zudem müsse man den Finanzhaushalt wieder ins Lot bringen. «Ansonsten droht ein Leistungsabbau, zum Beispiel beim Strassenunterhalt oder bei der Schneeräumung», sagt Steiner. Giauque hört ihm zu, denkt einen Moment nach. «Würden bei uns in Ittigen die Steuerzahlungen der Swisscom einbrechen», sagt er schliesslich, «müssten auch wir den Gürtel enger schnallen, viel enger».